Kurz kritisiert, dass die ungleiche Verteilung nicht dem Gedanken der EU entspreche.

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Wien – Es war ein durchaus bemerkenswerter Auftritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Der Kanzler kritisierte Freitagmittag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz, dass die Impfdosen in der EU unterschiedlich verteilt werden. Demnach soll es neben der EU-Beschaffung von Impfstoffen auch weitere Deals zwischen Pharmafirmen und einzelnen Mitgliedsstaaten gegeben haben. Die Vereinbarungen sollen laut Kurz im sogenannten Steering Board der EU getroffen worden sein. Daraus habe sich ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der Impfdosen ergeben. "Das ist nicht das, was Staats- und Regierungschefs vereinbart haben." Kurz meinte, dass die Lieferungen nicht mehr nach dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen würden.

Laut Kurz gibt es "Hinweise darauf", dass es im Steering Board der EU "auch einen sogenannten Basar gegeben haben soll". Details aus diesen Verträgen zwischen Mitgliedsstaaten und den Pharmafirmen seien ihm nicht bekannt. Besonders brisant: Clemens Auer, Sonderbeauftragter für Gesundheit im Ministerium unter Rudolf Anschober (Grüne), ist auch stellvertretender Vorsitzender dieses EU-Lenkungsgremiums und ist federführend bei der Beschaffung von Corona-Impfstoffen dabei. Direkt mit Auer darüber gesprochen hat Kurz nach Eigenangaben noch nicht. Aber er wisse, dass das Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) getan habe.

Österreich selbst habe bisher bei den Lieferungen noch keinen Schaden genommen, wie Kurz sagte. Allerdings seien etwa Staaten wie Bulgarien oder Lettland stark benachteiligt worden.

Setze sich diese Entwicklung wie von Kurz befürchtet fort, werde Malta bis Ende Juni dreimal so viele Impfdosen pro Kopf erhalten wie Bulgarien. Auch die Niederlande würden bevorzugt behandelt und bekämen bis dahin das Doppelte von Kroatien.

Wenn es dabei bliebe, hätten laut Kurz manche Länder ihre Bevölkerung bereits Ende Mai durchgeimpft. Andere wie Bulgarien oder Lettland würden dies mit den derzeit geplanten Impfstofflieferungen erst "Ende des Sommers oder im Herbst" schaffen.

DER STANDARD

Kurz fordert Offenlegung der Verträge

Kurz forderte bei diesen möglichen Impfdosen-Nebenabsprachen "völlige Transparenz und Klarheit" ein. Er will wissen, wie diese Vereinbarungen ausschauen und wer sie getroffen und Verträge unterschrieben hat. Gleichzeitig sagte Kurz aber auch, dass es "kein Indiz" gebe, "dass sich jemand inkorrekt verhalten hat".

Er habe die Impfdosenlieferungen von EU-Ländern mit Regierungskollegen aus Belgien, Griechenland, Polen, Slowenien und Tschechien verglichen, sagte der Kanzler. Demnach sei Malta ein "klarer Ausreißer nach oben", Bulgarien würde "deutlich weniger erhalten". Es gebe aber auch ein großes europäisches Mittelfeld, in dem auch Österreich liege. Die nach Österreich gelieferten Impfdosen seien in etwa der Pro-Kopf-Anteil, der Österreich auch entspreche.

Eine mögliche Vergleichbarkeit schafft die Plattform "Our World in Data": Demnach wurden in Malta bisher 24,68 Impfdosen je 100 Einwohner verimpft (Stand 10. März). Malta ist der einzige Ausreißer, dahinter folgen ebenfalls schon deutlich abgeschlagen Ungarn (16,37; 11. März) und Dänemark (13,75; 10. März). Österreich (10,32; 11. März) befindet sich wie Deutschland (10,49) und der Großteil der anderen EU-Staaten aktuell um den Wert 10.

Lettland (4,83) und Bulgarien (4,87; jeweils 11. März) hinken im Vergleich mit den anderen EU-Ländern etwas nach. Die Daten von "Our World in Data" sowie dem deutschen Robert-Koch-Institut hat zeit.de hier aufbereitet.

EU-Kommission räumt Abweichung von Schlüssel ein

In Brüssel gab man sich nach den Äußerungen des Kanzlers jedenfalls erstaunt. Dies betraf allerdings nicht so sehr die genannten Fakten, sondern die Frage, wieso Kurz diese nun zum Thema mache. Denn: Dass der Impfstoff in der EU nicht eins zu eins nach Bevölkerungszahl verteilt wird, ist an sich nicht neu und war auch bereits bekannt. Auch der STANDARD berichtete schon.

Bei den entsprechenden Treffen im Sommer hatten einige Länder aus dem Osten Europas Bedenken wegen der möglichen Kosten der Impfstoffe angemeldet. Unter ihnen auch die von Kurz genannten Staaten Bulgarien und Lettland. Wie die Kommission in einer Aussendung am Freitag mitteilte, wurde in Folge ein Opt-Out-Prozess entwickelt. Staaten konnten also auf den ihnen eigentlich zustehenden Impfstoff freiwillig verzichten, was in einigen Fällen – darunter wohl auch Bulgarien – dann passiert ist. Der restliche Impfstoff stand dann anderen EU-Mitgliedern zur Verfügung.

Es folgte immer wieder das, was Kurz in seiner Pressekonferenz Freitagfrüh nun als "Basar" bezeichnete – Verhandlungsrunden, in denen diese Vakzine an die Mitglieder verteilt wurden. Was in Brüssel nun allerdings für einiges an Verwunderung sorgt: Während Staaten wie Malta und Dänemark mit großer Verve alles aufkauften, was verfügbar war, habe Österreich keineswegs alles gekauft, was im Angebot gewesen wäre. Das bestätigten dem STANDARD Kreise innerhalb der EU. Konkret hätte Österreich insgesamt Pfizer/Biontech-Impfstoff im Ausmaß von zwei Prozent aller der EU zur Verfügung stehenden Impfdosen kaufen können. Tatsächlich sicherte sich Wien aber nur Vakzin dieses Herstellers im Ausmaß von 1,5 Prozent des EU-Angebots, weil man stärker auf Astra Zeneca gesetzt habe.

Offen ist vorerst, wer im Namen der österreichischen Regierung über diesen Verzicht im Bilde war und wer über ihn entschied. Dass es sich um eine Sache der Regierung – und nicht nur von Beamten – handelt, darauf deutet jedenfalls vieles hin. Denn nach den Verhandlungsrunden muss der Impfstoff von den Regierungen der Nationalstaaten bezahlt werden – und für diese Zahlungen braucht es einen Auftrag. Bezahlt wird auch von den Nationalstaaten.

Aus den EU-Kreisen heißt es nun, "eine Lösung des Problems" könnte darin bestehen, "dass die Staats- und Regierungschefs nun untereinander verhandeln", um die Verteilung des Impfstoffes wieder aufzuschnüren. Realistisch scheint das nicht – denn dafür müssten Dänemark und Malta freiwillig bereits von ihnen bestellte Impfdosen abbestellen.

Am Samstag forderte Kurz in einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zur Impfstoffverteilung. Das Schreiben der Regierungschefs Österreichs, Tschechiens, Bulgariens, Lettlands und Sloweniens richtet sich an die EU-Spitze. Ebenfalls am Samstag widersprach das österreichische Gesundheitsministerium der Kurz-Kritik an der Impfstoffverteilung in der EU.

Impfrekord in Österreich

Erfreuliche Entwicklungen gibt es unterdessen bei der Impfkampagne in Österreich: Laut Dashboard des Gesundheitsministeriums wurden am Donnerstag 38.435 Personen geimpft. Der bisherige Tagesrekord vom vergangenen Freitag (31.180 Impfungen) wurde damit deutlich überboten.

Aufgrund der in dieser Woche eingetroffenen Impfstofflieferungen ist davon auszugehen, dass dieses hohe Niveau in den nächsten Tagen gehalten, wenn nicht überboten werden kann. 667.570 Personen, das sind 8,61 Prozent der impfbaren Bevölkerung über 16 Jahren, haben bisher eine erste Dosis erhalten. 261.927 (3,38 Prozent) haben die für einen vollständigen Impfschutz notwendigen Impfdosen erhalten. (and, krud, mesc, tom, 12.3.2021)