Enrico Letta war nur ein knappes Jahr Premier. Jetzt übernimmt er die Führung von Italiens Sozialdemokraten.

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Enrico Letta musste es seinen Parteifreunden im sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) ausdrücklich versprechen: Er werde nicht Parteichef, um eine Vendetta zu veranstalten. Er werde sich also nicht rächen, und es werde in der Parteileitung auch "keine Säuberungen" geben. Grund für Revanchegedanken hätte der 54-jährige Toskaner aus Pisa durchaus: Als er im Februar 2014 von seinem Parteigenossen Matteo Renzi gestürzt und aus dem Amt des italienischen Regierungschefs gedrängt wurde, hatte ihn praktisch die gesamte damalige Parteiführung im Stich gelassen. Und die meisten der damaligen Verräter sitzen immer noch in der Parteileitung.

Letta war nur ein knappes Jahr Premier. Nach seinem Sturz gab er alle Parteiämter ab und ging nach Frankreich: In den letzten sechs Jahren leitete er die renommierte École d’Affaires Internationales des Sciences Po in Paris. Renzi stolperte nach dem Brudermord an Letta zwei Jahre später über das von ihm angestrebte Verfassungsreferendum. Danach gründete er vor eineinhalb Jahren eine eigene Partei. Mit seiner Mini-Formation "Italia Viva" brachte Renzi vor einem Monat immerhin noch das Kunststück fertig, auch den parteilosen Regierungschef Giuseppe Conte zu Fall zu bringen. Er bereitete damit den Weg für die neue Regierung unter dem früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi.

Sozialdemokratie in der Krise

Für Draghi ist Lettas Rückkehr aus dem Pariser Exil zweifellos eine positive Nachricht: Der PD, nach der Fünf-Sterne-Bewegung die zweitstärkste Partei seiner Regierungskoalition, wird schon lange von Flügelkämpfen zerrieben und befindet sich seit dem Rücktritt von Parteichef Nicola Zingaretti vor einer Woche in einer akuten Führungskrise.

Letta gilt innerhalb des PD inzwischen als Außenstehender, der keiner der zerstrittenen Fronten angehört; dank seiner Regierungserfahrung und seiner vermittelnden Art wird ihm zugetraut, dass er wieder etwas Ruhe in die Partei zu bringen vermag. Außerdem steht der liberale Ex-Premier dem aktuellen Premier politisch nahe; die beiden kennen einander seit langem und schätzen einander.

Nicht nur der zweitstärkste, sondern auch der stärkste Koalitionspartner Draghis wird in Zukunft von einem seiner Amtsvorgänger geführt werden: Der Gründer und Guru der Fünf-Sterne-Bewegung, der Komiker Beppe Grillo, hat vor kurzem Giuseppe Conte zum neuen Anführer seiner Protesttruppe ernannt. Die "Grillini" befinden sich in einer fast noch tieferen Sinnkrise als die Sozialdemokraten und sind in den Umfragen ähnlich tief abgestürzt. Conte will den Fünf Sternen ein ökosoziales und europafreundliches Profil geben – und würde damit zu einem natürlichen Verbündeten des PD bei künftigen Wahlen. (Dominik Straub, 12.3.2021)