Cannabis kann nicht nur entspannen, sondern auch die Gemüter erhitzen: An der Frage, ob eine Legalisierung sinnvoll ist, scheiden sich die Geister.

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Seit der Pandemie boomt die Cannabisindustrie und mit ihr das Geschäft von kleinen Dealern bis hin zu großen Konzernen und Staaten. Immer mehr US-amerikanische Cannabiskonzerne wollen ihre Marihuanaproduktion in Europa ausbauen. Und auch in den eigenen vier Wänden floriert der Hanfanbau. Laut ersten Zwischenergebnissen einer internationalen Studie gaben 16 Prozent der global befragten Cannabiszüchter an, erst in der Pandemie mit der Cannabisproduktion begonnen zu haben, 18 Prozent sagten, sie hätten während der Lockdowns mehr angepflanzt.

Während Polizistinnen, Sozialarbeiter und Suchtexperten bereits verstärkt mit den Folgen des privaten Konsums zu kämpfen haben – sei es in Form von mehr Anzeigen oder Beratungen –, sehen Konzerne, einige Regierungen und Befürworter schon ein liberales Hanfzeitalter herannahen: Eines, in dem Cannabis im medizinischen und privaten Bereich zum Standard wird. Einerseits könnten Hanfmedikamente künftig vermehrt bei Krankheiten wie Krebs, Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen helfen. Andererseits soll Cannabis auch für den "Freizeitkonsum" auf regulierte Art und Weise verkauft werden, so die Befürworter. Die Frage nach der Legalisierung spaltet seit Jahrzehnten. Müssen wir sie uns jetzt wieder stellen?

Gegen Drogenkartelle

Die Cannabisdebatte hat in den letzten Monaten in einigen Ländern deutlich an Fahrt aufgenommen. Mexiko beispielsweise steht kurz vor der Legalisierung von Cannabis. Damit wäre das Land neben Uruguay und Kanada das dritte weltweit, in dem Cannabis in bestimmten Mengen für den Eigenbrauch erlaubt ist. Laut Angaben der Regierung soll der Schritt dabei helfen, die Drogenkartelle im Land einzudämmen. Und auch in einigen US-Bundesstaaten wie Pennsylvania und New York könnte Cannabis bald für den Privatgebrauch legalisiert werden.

Die Debatten sind selbst bis nach Frankreich durchgedrungen. Das Land hat eines der strengsten Cannabisgesetze in ganz Europa. Seit 1970 ist Cannabis weder im medizinischen noch im privaten Bereich erlaubt, gesetzlich gibt es keine Unterscheidung bei Strafen zwischen persönlichem Gebrauch und Verkauf von Marihuana. Gleichzeitig gehören die Franzosen – trotz der Verbote – zu den größten Cannabiskonsumenten in ganz Europa.

Jetzt wird die Debatte um die Legalisierung im Land immer lauter: Laut einer vor kurzem vom Parlament gestarteten Umfrage ist die Mehrheit der Franzosen für eine Legalisierung von Cannabis für den Freizeitkonsum. Der private Anbau und Konsum soll demnach bis zu einer gewissen Grenze erlaubt sein. Ende des vergangenen Jahres segnete die Regierung ein Testprogramm ab, bei dem auch der medizinische Nutzen der Pflanze genauer untersucht werden soll.

Medizin und Freizeit

Die Unterscheidung zwischen medizinischem und "Freizeit"-Cannabis ist entscheidend. Die Pflanze enthält mehr als 113 verschiedene Wirkstoffe, die psychoaktive Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) ist nur einer davon. Studien haben belegt, dass Cannabis bei der Behandlung von chronischen Schmerzen helfen kann. Auch bei Multipler Sklerose, Tumorschmerzen sowie Erbrechen und Übelkeit bei Chemotherapien könnte Cannabis von Nutzen sein – wissenschaftlich eindeutig und qualitativ belegt ist das allerdings noch nicht. Dass Cannabis häufig als illegal eingestuft wird, schränkte bisherige wissenschaftliche Untersuchungen stark ein.

Meist wird Cannabis als Arzneimittel unter staatlicher Aufsicht angebaut, in Österreich beispielsweise von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Hierzulande ist die Verwendung von medizinischem Cannabis aber stark eingeschränkt. Der Besitz und Verkauf von Cannabis mit einem THC-Gehalt von über 0,3 Prozent ist verboten. Lediglich die nichtpsychoaktive Substanz Cannabidiol (CBD) kann legal gekauft und konsumiert werden. Die Argumente gegen eine weitere Verwendung von Cannabis in der Medizin lauten meist ähnlich: Es gebe immer noch zu wenig aussagekräftige Studien, die die Wirkung von Cannabis untersuchen. Zudem bestehe die Gefahr vor psychischen Erkrankungen und Psychosen.

Cannabis als Alltagsprodukt

Den weitaus größeren Markt sehen viele Konzerne aber nicht im medizinischen, sondern im privaten Nutzen von Cannabis, soll heißen, im Konsum von Marihuana in der Freizeit, zur Entspannung und zum Genuss. Große US-amerikanische Cannabisunternehmen wie Curaleaf investieren bereits hunderte Millionen Dollar in den Marktausbau in Europa und spekulieren auf eine weitere Liberalisierung in vielen Ländern. Ihre Hoffnung ist, dass Cannabis in der Zukunft zunehmend zu einem Alltagsprodukt wird.

Auf ihrer Seite stehen nicht wenige Regierungen, Wirtschaftswissenschafterinnen und auch Sozialarbeiter. Eine Entkriminalisierung von Cannabis soll den illegalen Drogenmarkt unterbinden, wodurch auch die Kriminalität sinken soll, den Verkauf besser regulieren und zusätzliche Steuereinnahmen bringen, so die Befürworter. Zudem könnte es innerhalb eines geregelten Markts bessere Alters- und Qualitätskontrollen geben.

Nicht unbedingt mehr Konsum

Unterstützend kommt hinzu, dass die UN-Suchtstoffkommission seit Dezember vergangenen Jahres Cannabis nicht mehr als eine der gefährlichsten Drogen einstuft. Sie folgt damit einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Befürworter einer Legalisierung argumentieren zudem, dass Cannabis keine Einstiegsdroge sei und nur wenige Menschen später auf härtere Drogen umsteigen. Cannabis zu legalisieren müsse auch nicht zu einem Anstieg der Konsumierenden führen. Denn während in Frankreich der Cannabiskonsum trotz strenger Drogenpolitik äußerst hoch ist, liegt er im vergleichsweise liberalen Portugal deutlich darunter. Insgesamt mangelt es aber auch hier an Studien und ausreichenden Daten.

Höherer THC-Gehalt

Suchtexperten warnen jedenfalls davor, das Suchtpotenzial von Cannabis zu unterschätzen. Laut einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2017 bestehe ein Zusammenhang zwischen dem THC-Gehalt in Cannabis und der Zahl an Menschen in Suchtbehandlungen.

"Cannabis ist heute viel potenter als noch vor fünfzig Jahren", sagt Andreas Prenn, Leiter der Suchtpräventionsstelle Supro in Vorarlberg. Während der THC-Gehalt damals noch bei rund fünf Prozent lag, liege er heute oftmals bei 15 bis 20 Prozent. "Wir sehen mehr Jugendliche mit Psychosen und psychischen Erkrankungen in Krankenhäusern." Die Einwirkungen auf das Gehirn von Jugendlichen durch Cannabis sollte nicht unterschätzt werden. Allerdings sind diese Effekte wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt – gerade weil Untersuchungen dieser Art äußerst schwierig durchzuführen sind.

Schwarzmarkt trotz Legalisierung

Mit der generellen Legalisierung habe Prenn jedenfalls keine Freude. "Dann drängen immer mehr Firmen auf den Markt, die Cannabis so vermarkten wie es bereits bei Tabak, Alkohol und dem Glücksspiel der Fall war." Es brauche jedenfalls eine klare Reglementierung, einen geregelten Anbau und Verkauf, bei dem der THC-Gehalt niedrig gehalten wird, sowie einen besonderen Schutz von Jugendlichen. Besonders synthetische Cannabinoide müsse man durch bessere Regulierung in den Griff bekommen, da die Wirkung dieser Substanzen meist völlig unklar sei.

Zudem werde eine Legalisierung den Schwarzmarkt nicht wegbringen, weil Konsumenten sich wieder nach anderen Preisen und Qualitäten umsehen würden, sagt Prenn. Tatsächlich boomt in Kalifornien, wo Cannabis legalisiert ist, der Schwarzmarkt, weil dort Marihuana durch die fehlende Besteuerung viel billiger zu haben ist. Zu viel Besteuerung und Regulierung könne bei einer Legalisierung daher kontraproduktiv sein, sagen einige Experten.

Zumindest in Österreich scheint eine vollständige Legalisierung im Moment ohnehin noch in weiter Ferne zu sein. Viel spricht aber dafür, dass auch hierzulande vermehrt über das Thema diskutiert werden wird – nicht zuletzt aufgrund der Veränderungen im Ausland. Entscheiden könnte die Diskussion am Ende vielleicht mehr die Gesellschaft als die Wissenschaft. (Jakob Pallinger, 16.3.2021)