"Die Buchhaltung war nicht unser Job. Wir haben alle Kräfte für die Produktion und Auslieferung gebündelt." sagt Chef von Palmers und Hygiene Austria, Tino Wieser.

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Es ist ein Zufallscoup. Beamte des Kriminalamts und der Finanzpolizei nehmen am 2. März die Werkshalle von Hygiene Austria in Wiener Neudorf unter die Lupe. Der Maskenhersteller steht im Verdacht des Betrugs und der Schwarzarbeit. Es gilt die Unschuldsvermutung. Eine Sicherheitslücke führt die Beamten in die Unterwelt. Eigens abgestellte Aufpasser schlagen nicht rechtzeitig Alarm. Im Keller bietet sich den Ermittlern eine unerwartete Szenerie.

Mehr als 40 Arbeiter sollen emsig damit beschäftigt gewesen sein, Masken von made in China auf österreichische Herkunft umzuetikettieren. Knietief waten die Beamten darin. Granden der Politik, die sich im Geschoß darüber gern in einem jungen "Vorzeigeunternehmen" ablichten ließen, blieb der Zutritt in die Abgründe der Produktion verwehrt.

Tino Wieser ereilt der Anruf seines Produktionsleiters daheim bei einem Kaffee: Die Polizei steht vor der Tür. Kurz darauf sitzt der Chef von Palmers und Hygiene Austria einem Staatsanwalt gegenüber. Fünf Stunden dauert die Einvernahme. Ein Inspektor stellt eine Packung mit Masken auf den Tisch. Nur drei der 20 sollen aus Österreich stammen, der Rest komme aus China. Wieser kann dies nicht bestätigen. Er sei, wie er betont, auch nach einem Jahr Maskenfertigung nicht in der Lage, Unterschiede bei der Herkunft auszumachen. Dass Hygiene Austria FFP2-Masken aus China zugekauft habe, gibt er zu.

Griss um die Maske

Elf Monate ist es her, seit sein Unternehmen, ein Joint Venture zwischen dem Faserkonzern Lenzing und der Wäschekette Palmers an, antrat, um Masken made in Austria zu produzieren. Mehr als 100 Millionen Stück hat Hygiene Austria in diesem Zeitraum in Österreich ausgeliefert und die Kapazität auf jährlich 600 Millionen Stück erhöht. Die größten Kunden sind Rewe, Spar, Hofer, Apotheken und Landeskliniken quer durch die Bundesländer. Auch der Bund hat in Wiener Neudorf eingekauft, gilt es doch, Wertschöpfung im eigenen Land zu bewahren. Bis der Etikettenschwindel auffliegt und das Millionengeschäft mit einem Schlag stoppt.

Palmers-Chef Tino Wieser trank gerade einen Kaffee, als er von der Hausdurchsuchung bei Hygiene Austria erfuhr.
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Den STANDARD erreicht bald nach der Razzia ein Anruf, am Apparat ist ein Insider, der auspacken will. Kurz darauf findet ein Treffen statt. Der Informant spricht schnell. Informationen zu einer zusammenhängenden Geschichte zu verweben fällt ihm in der Aufregung mitunter schwer. Aber er legt Dokumente vor, die authentisch sind.

Die Eindrücke aus dem Maskenwerk haben ihn mitgenommen. Es habe Unfälle gegeben, die Arbeiter seien unter enormem Druck gestanden. Die Maschinen durften niemals stillstehen. Er erzählt von Schwarzarbeitern und Aufpassern vor dem Halleneingang. Er zeigt Bilder einer verdreckten Produktionsmaschine, ein Video belegt, dass nicht immer Handschuhe getragen wurden.

Striktes Handyverbot

In der Halle gilt strenges Handyverbot, berichtet der Informant. Bevor es für manche der Arbeiter von Hygiene Austria in den Keller ging, sei diesen Ermittlerkreisen zufolge vom Securitypersonal davor sogar das Telefon abgenommen worden. Es sollte ja keine Fotos von den Arbeitsbedingungen vor Ort geben. Der Umgangston dürfte rau gewesen sein. Die zuständige Securityfirma Ante Portas ist der Polizei bekannt. Beim Landesgericht Wien ist derzeit ein Zivilrechtsverfahren gegen sie anhängig. Es geht um schwere Körperverletzung.

Das Arbeitsinspektorat beschließt nach der Razzia, das Maskenwerk erneut zu prüfen, und hält am 5. März auch im Keller in Wiener Neudorf Nachschau. Am 8. März erhält Wieser einen Persilschein, der dem Werk ein vorbildliches Attest ausstellt, wie er sagt. Zeitgleich ruft Lenzing ihre Mitarbeiter der Maskenfertigung zu einem Teamlunch in ein Hotel. Und meldet der Öffentlichkeit, ihre Geschäftsführer aus der Hygiene Austria abzuziehen, da sie keinen vollen Zugang zu Unterlagen und Dokumenten erhalte. Sie zieht Forensiker hinzu.

Die Politik nutzte das rotweißrote Vorzeigeunternehmen gern für PR-Zwecke. Das Arbeitsinspektorat schaute sich die Werkshalle nach der Razzia an – und fand nichts zu bemängeln.
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Im Werk fallen Nachtschichten aus, da die Techniker fehlen. Wieser versichert, er könne die Maschinen notfalls auch allein bedienen, und kündigt an, alle Anteile an Hygiene Austria übernehmen zu wollen. Alle Investitionen in den Aufbau des Werks seien zurückverdient worden. Die Buchhaltung sei im Übrigen nicht sein Job gewesen. Er habe alle Kräfte für Produktion und Auslieferung gebündelt. Bis in die Nacht hinein seien die Masken ob der enormen Nachfrage ausgeliefert worden, teils mit privaten Pkws. Verkaufsmitarbeiter gingen, sagt er, bis an ihr Limit.

Zwielichtige Personalpolitik

Währenddessen kommt mehr Licht in die die Personalpolitik von Hygiene Austria. Der Informant weiß, welche Zeitarbeitsfirmen Arbeiter ins Maskenwerk entsandt haben, und deckt damit ein Netzwerk an dubiosen Unternehmen auf, auf die der Maskenhersteller zurückgriff. Hygiene Austria hat selbst nur elf der insgesamt 200 Mitarbeiter gestellt. Doch er kenne die Eigentümer der hinzugezogenen Zeitarbeitsfirmen persönlich, sagt Wieser. Jeden Tag seien diese auf dem Betriebsgelände gewesen.

Stammt dieses Modell aus China? Weder bei Palmers noch bei Lenzing will man die FFP2-Masken der Hygiene Austria nach deren Herkunft unterscheiden können. Insider berichten allerdings, dass es sehr wohl eine Möglichkeit gibt, ein österreichisches Fabrikat von einem Chinesischen zu unterscheiden. Mehr dazu hier.
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Mit der insolventen, in Wien-Penzing gemeldeten AD Job Assist GmbH will Hygiene Austria zwar keinen Vertrag abgeschlossen haben, wird betriebsintern beteuert. Auf Anwesenheitslisten der Firmenkooperation aus dem vergangenen Sommer tauchen jedoch Namen von Personal auf, das zeitgleich bei der AD Job gemeldet war. Geld an die Scheinfirma floss von der Personalfirma First Staff, die nachweislich für Hygiene Austria tätig war. Ebenso gab es Zahlungseingänge bei der AD Job von der Steady Global Partners GmbH. Auch diese soll Insidern zufolge als Scheinfirma im Hygiene-Austria-Kosmos aktiv gewesen sein.

Das Betrugsmodell schwarzer Schafe in der Branche ist der Finanzpolizei schon lang ein Dorn im Auge: Arbeitslose werden geringfügig angestellt. Gearbeitet wird Vollzeit, die Lohndifferenz bar ausgezahlt. Oder man meldet seine Leute zur Kurzarbeit an, kassiert Förderung. Gearbeitet wird jedoch 100 Prozent, die Gehaltsdifferenz gibt es bar auf die Hand.

Mund-Nasen-Schutz aus China

Während Ermittler nach dem Firmennetz im Maskenwerk suchen, weitet sich am Donnerstag die Causa um Schummelmasken weiter aus. Medien berichten, dass auch beim Mund-Nasen-Schutz geschwindelt worden sei. Chinesische Ware soll im Oktober an Hygiene Austria geliefert, umverpackt und als österreichische verkauft worden sein.

Die Chefs der Partnerunternehmen, die Hygiene Austria gegründet haben: Palmers-Chef Tino Wieser (lins) und Lenzing-Chef Stefan Doboczky (rechts).
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Das passt zu Dokumenten, die dem STANDARD vorliegen. Im Werk wurde Buch geführt, Listen zeigen, wie viele Masken jede Maschine produziert hat und wie viele Masken verpackt worden sind. In der ersten Oktoberhälfte übersteigen die verpackten Masken die hergestellten zumeist deutlich.

Wie geht es weiter? Der Textilriese Lenzing, der für Hygiene Austria Geschäftsführer stellte, zieht sich auf die Rolle des Geschädigten zurück. Partner Palmers blickt nach Ende einer Woche mit laufend neuen Enthüllungen zum Maskenskandal statt in die Vergangenheit lieber in die Zukunft. Mit einer neuen Wäschemarke bei Interspar sollen "Frauen in all ihrer Vielfalt zelebriert" und "Sommergefühle" geweckt werden. (Verena Kainrath, Jan Michael Marchart, Aloysius Widmann, 13.3.2021)