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Menschenmassen beim Begräbnis von Kyal Sin Anfang März in Mandalay. Die 19-Jährige gilt als Ikone der Protestbewegung.

Foto: Reuters

Im Gastkommentar sagen die Myanmar-Experten Georg Bauer, Rainer Einzenberger, Michael Lidauer und Philipp Annawitt, dass Österreich und die EU inmitten der politischen Krise in Myanmar auch eine Chance sehen sollten.

Kyal Sin war 19 Jahre alt. "Everything will be OK" stand auf ihrem T-Shirt, als sie am 3. März von den Sicherheitskräften bei einer Demonstration in Mandalay gezielt per Kopfschuss getötet wurde. Sie steht symbolisch für mittlerweile über 70 Menschen, die seit dem Militärputsch am 1. Februar bei friedlichen Protesten oder in Haft ermordet wurden. Was das Militär seit Jahrzehnten gegen kleinere ethnische Gruppen anwendet, erreicht nun die gesamte Bevölkerung: Mord, Folter, Entführung, Terror.

Auslöser für den Putsch war der erneut überwältigende Sieg von Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD) bei den Wahlen am 8. November und das historisch schlechte Ergebnis der militärnahen Partei (USDP). Daraufhin bezichtigte das Militär die NLD des Wahlbetrugs und ließ am 1. Februar den Notstand ausrufen, womit alle Macht im Staat auf den Oberbefehlshaber, General Min Aung Hlaing, übertragen wurde. Zuvor wurden Staatsrätin Aung San Suu Kyi und Präsident Win Myint verhaftet. Eigentlich hat nur Letzterer die Befugnis, den Notstand zu erklären. Der Präsident genießt Immunität; seine Verhaftung und alle folgenden Schritte verstoßen gegen die, vom Militär geschriebene, geltende Verfassung – entgegen den eigenen Behauptungen der Junta, die sich weiterhin darauf beruft.

Enormer Widerstand

Dabei hat das Militär die Rechnung ohne die Bevölkerung gemacht: Zu gut kann sich diese an Jahrzehnte der Militärherrschaft erinnern, während derer sich die Generäle am Land bereicherten und die Bevölkerung unter Unterdrückung und Armut litt. Der massive zivilgesellschaftliche Widerstand ist beeindruckend und effektiv. Durch den Streik im öffentlichen Sektor hat es die neue Junta trotz aller Gewalt noch nicht geschafft, die Macht im Staat gänzlich an sich zu reißen. Die Demonstrationen im ganzen Land brechen nicht ab.

Der Bevölkerung geht es dabei längst um mehr als um die Freilassung der inhaftierten Politiker und Aktivisten, und vor allem nicht um eine Rückkehr zum Status quo ante. Das Militär hat mit dem Putsch bewiesen, dass es in dem von ihm selbst geplanten Übergang zur "disziplinierten Demokratie" jederzeit wieder die Zügel an sich reißen kann.

Leid der verfolgten Ethnien

Die Forderungen der Bevölkerung beinhalten längst auch die nach einer neuen Verfassung – und zwar einer föderalen und demokratischen, ohne der Handschrift des Militärs. Dies zeigt auch, dass im Zuge der Protestbewegung eine Einigung stattgefunden hat, wie sie im Land lange nicht zu sehen war. Viele Bewohner der zentralen Regionen setzen sich erstmals mit dem Leid der verfolgten Ethnien auseinander und übernehmen deren Forderungen nach Erfüllung historischer Vereinbarungen zu Föderalismus und Autonomie. Auch wenn es Unterschiede gibt: Das Ziel der Verabschiedung des Militärs aus den Zentren der Politik scheint viele zu einen.

Illegitime Machtübernahme

In einem wichtigen Schritt auf der Ebene internationaler Politik hat der Botschafter Myanmars bei den Vereinten Nationen die Machtübernahme des Militärs als illegitim bezeichnet. Obwohl sich der Hauptschauplatz des Kampfes für die Zukunft weiterhin im Land selbst befindet, kann und soll die internationale Gemeinschaft – und damit auch Österreich und die EU – wichtige Beiträge zur Demokratisierung des Landes leisten, die über reine Betroffenheitsbekundungen hinausgehen. Wenn der außenpolitische Ausschuss des Nationalrats morgen, Dienstag, über einen österreichischen Entschließungsantrag abstimmt, sollten die folgenden Kernpunkte maßgebend sein:

· Die Zivilbevölkerung und ihre Anliegen müssen im Zentrum der Entscheidungen stehen;

· Der neuen Militärjunta muss klar gezeigt werden, dass sie als illegitim betrachtet wird;

· Die Regierung, die derzeit von demokratisch gewählten Abgeordneten des Parlaments gebildet wird, soll anerkannt und unterstützt werden.

Dies auch, weil ihr und der Protestbewegung damit wichtige finanzielle, rechtliche und politische Möglichkeiten geboten werden. Die Anerkennung sollte jedoch an die Forderung geknüpft sein, dass die Volksvertretung nicht nur aus der NLD besteht, sondern Vertreter aller ethnischen Gruppen sinnvoll einbezieht.

Diese Forderungen decken sich mit dem offenen Brief der burmesischen Gemeinde in Österreich an den Nationalrat. Österreich und die EU sollten inmitten der politischen Krise in Myanmar auch eine Chance sehen: Erstmals seit über einem halben Jahrhundert scheint es möglich, Einigkeit zwischen den Ethnien in diesem von Bürgerkriegen geplagten Land herzustellen, die Militärs zu delegitimisieren und damit der Bevölkerung zu ermöglichen, die zahlreichen Herausforderungen des Landes auf demokratische Weise anzugehen. Die Bevölkerung beobachtet genau, wer in diesem Moment auf ihrer Seite steht. Jede Maßnahme, die das Land einen Schritt näher Richtung Demokratie bringt, ist wichtig.

Demokratie stärken

Auch über die Grenzen des Landes hinaus ist Myanmars Krise von großer Bedeutung, zumal in einer Region, in der Demokratie allgemein im Rückzug ist. Eine österreichische Außenpolitik, die sich der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet, muss auch konkrete Beiträge zur Stärkung der Demokratie beinhalten. Nun liegt es in der Verantwortung des Nationalrats und der Bundesregierung, über Parteigrenzen hinweg einen solidarischen und effektiven Beitrag für den Kampf der Bevölkerung Myanmars für Demokratie zu leisten. (Georg Bauer, Rainer Einzenberger, Michael Lidauer, Philipp Annawitt, 15.3.2021)