Wir überleben auch ohne Gastronomie, ein gutes Leben ist das aber nicht.

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Im Gastkommentar fordert der Sozioökonom Richard Bärnthaler: Verteilen wir Teile des quasi-privatisierten Straßenraums so um, dass sozioökonomisch schwächer gestellte Haushalte davon profitieren.

Die nun seit gut einem Jahr andauernden Corona-bedingten Einschränkungen des alltäglichen Lebens haben gezeigt: Wir überleben auch ohne Gastronomie, ein gutes Leben ist das aber nicht. Gasthäuser, Lokale, Bars und Restaurants sind Teil eines guten Lebens. Sie sind zentrale soziale Treffpunkte, Teil eines funktionierenden sozialen Gefüges. Wir vermissen sie. Mehr als vieles andere. So gesehen ist die Ankündigung zur Einrichtung öffentlicher Schanigärten durch Bürgermeister Michael Ludwig nur zu begrüßen. Doch die Frage ist nicht ob, sondern wie.

Leider scheint die SPÖ Wien auch in diesem Fall ihrer Politik der nachhaltigen Nichtnachhaltigkeit, die kürzlich mit der Absage zur Umgestaltung der Praterstraße und einer reinen Kosmetikkur des Pratersterns einmal mehr untermauert wurde, treu zu bleiben. Denn die Ankündigungen aus den Reihen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lassen vermuten, dass öffentliche Schanigärten nicht auf Kosten des Autoverkehrs, wie derzeit in New York, sondern auf Kosten öffentlicher, für alle zugänglicher Räume errichtet werden sollen.

Viele Stehzeuge

Zuletzt wurde zum Beispiel der Wiener Stadtpark als Schanigartenareal ins Spiel gebracht. Damit bleibt die "Klimamusterstadt" weiterhin nicht viel mehr als ein Hashtag, ein Slogan. Das mag viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht stören, war doch "das Klimathema" sowieso nie sozialdemokratische Herzensangelegenheit. Soziale Gerechtigkeit hingegen schon! Es verwundert daher, dass gerade die Sozialdemokratie die massive Schieflage sozial-räumlicher Verteilung konsequent ignoriert.

Autos nehmen zwei Drittel des öffentlichen Raums ein, obwohl nur etwa 27 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Darüber hinaus sind, wie der Verkehrsclub Österreich errechnete, private Pkws weniger als eine Stunde am Tag Fahrzeug, mehr als 23 Stunden sind sie Stehzeug. Das geht so weit, dass wir Straßen oftmals nicht einmal mehr als öffentliche Räume wahrnehmen. Es sind Nichtorte, das heißt Räume, durch die man sich bewegt, nicht Orte, an denen man verweilt. Urbanität geht dadurch verloren, öffentlicher Raum wird verknappt und an den Rand gedrängt.

Doch wer wohnt denn an den zentralen Verkehrsadern Wiens, in einer Atmosphäre von Lärm und schlechter Luft, wie am Wiener Gürtel? Wer sitzt denn während der Pandemie in einer zu kleinen Wohnung und weiß nicht wohin? Wer spielt in zu engen Parks und nicht im Wochenendhaus? Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen sind auf hochwertigen und frei zugänglichen öffentlichen Raum besonders angewiesen. Sie wohnen dort, wo andere lieber nur durchfahren.

Bloße Konsuminfrastruktur

Die sozialdemokratische Antwort läge daher eigentlich auf der Hand: Verteilen wir Teile des quasi-privatisierten Straßenraums so um, dass sozioökonomisch schwächer gestellte Haushalte davon profitieren. Öffnen wir Teile monofunktionaler Verkehrsstraßen für öffentliche Gastgärten! Ein solcher Ansatz wäre einst sozialdemokratisch gewesen. Umso mehr verwundert es, dass die neue sozialliberale "Fortschrittskoalition" stattdessen bei der Einrichtung öffentlicher Schanigärten auf Privatisierung und Kommerzialisierung des bisher für alle frei zugänglichen und multifunktionalen öffentlichen Raums zu setzen scheint.

Was vorher konsumfreie Zone unter öffentlichem Recht war, wird so durch private Hausordnungen mit Konsumzwang eingeschränkt. Der gerade in Zeiten von Corona so wichtige und knappe für alle frei zugängliche öffentliche Raum wird zur kommerziell verwertbaren Konsuminfrastruktur, in der andere Nutzungsweisen exkludiert werden. Sozial gerecht ist das nicht. Alternativlos auch nicht. (Richard Bärnthaler, 15.3.2021)