Wenn Kanzler Sebastian Kurz jetzt die Koalition zerstört, hat niemand etwas davon.

Foto: Imago

Sebastian Kurz schlägt wild um sich. Offenbar hat Österreich nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um an mehr Impfstoff zu kommen. Daran sind einmal alle anderen schuld, die EU, die Beamten im Gesundheitsministerium, deren Chef Rudolf Anschober, also der grüne Koalitionspartner – nur er nicht. Wie auf dem Basar werde da auf EU-Ebene gehandelt, und die Spitzenbeamten im Gesundheitsministerium in Wien hätten hier quasi die gesamte Republik und die Staatsspitze über den Tisch gezogen, lautet sein Vorwurf.

Gehöriger Wirbel

Das kann so nicht stimmen. Alle Beschlüsse, was die Impfstoffbeschaffung anbelangt, gingen durch den Ministerrat, das Kanzleramt war ebenso eingebunden wie das Finanzministerium, das jede Beschaffung bewilligen muss, und natürlich das Gesundheitsressort, das alle Vorgänge vorbereitet. Es gibt ein gemeinsames Gremium, in dem alles besprochen wird. Drei Mal die Woche.

Mit seinen Vorwürfen und vor allem der Heftigkeit, mit der er sie erhebt, hat Kurz nicht nur auf EU-Ebene für gehörigen Wirbel gesorgt, sondern auch die schwerste Krise seit Bestehen dieser türkis-grünen Koalition ausgelöst. Und Krisen gab es schon einige.

Schwer vorstellbar

Dass die Regierungsspitze nichts davon wusste, dass zusätzliche Impfdosen abrufbar gewesen wären – schwer vorstellbar. Andere EU-Staaten haben das sehr wohl hinbekommen. Österreich ist ja nicht einmal benachteiligt, sondern bekommt die Mengen, die ihm nach dem Bevölkerungsschlüssel zustehen – aber eben nicht mehr. Und wir hätten gerne mehr. Wer ist daran schuld?

Offenbar läuft die Kommunikation in der Koalition ganz miserabel. Wenn Österreich die Impfstoffbeschaffung dermaßen vergeigt, ist auch der Kanzler in der Pflicht. Aber nicht nur. Da dürfte Gesundheitsminister Anschober ebenso sein Scherflein zum Misslingen beigetragen haben. Die Schuld auf zwei Beamte, die eine übrigens eher rot, der andere tiefschwarz, zu schieben wird nicht funktionieren.

Impfstoff auf Lager

Tatsächlich holpert Österreich bei der Impfstoffbeschaffung und -verteilung nur so dahin. Auch wenn dieser Tage die millionste Impfung verabreicht wird, da hat nichts wirklich gut funktioniert. Wir haben zu wenig Impfstoff – und hätten offenbar mehr haben können. Es wurde spät begonnen. Die Priorisierungspläne wurden mehrfach umgestellt. Die Verteilung ist schwer nachvollziehbar. Offenbar liegt zu viel Impfstoff auf Lager, statt verimpft zu werden. Die Anmeldesysteme sorgen für Unmut. Dem Impfschwindel sind Tür und Tor geöffnet. Da ist der Gesundheitsminister in der Verantwortung, da sind die Länder in der Verantwortung, und selbstverständlich ist auch der Kanzler in der Verantwortung: Der kann sich nicht davonstehlen, indem er alle anderen anschwärzt.

Wenn Kurz jetzt die Koalition zerstört, hat niemand etwas davon. Der Weg aus der Krise führt über das möglichst rasche und flächendeckende Impfen. Fehler sind gemacht worden, auf allen Ebenen. Jetzt gilt es, es besser zu machen. Sich mehr anzustrengen, konzentrierter zu arbeiten. Konsequenzen dort zu ziehen, wo sie angebracht sind. Mehr Impfstoff zu besorgen. Ihn flächendeckend zum Einsatz zu bringen. Den Impfplan abzuarbeiten, endlich einmal alle älteren Personen dranzunehmen, dann die Risikogruppen. Darauf zu schauen, dass die Wirtschaft nicht zerbricht. Wir haben keine Zeit, keine Kraft und keine Geduld für kleinliche Koalitionsstreitereien. (Michael Völker, 14.3.2021)