Der Körper als Schlachtfeld höherer Gewalt: "Force Majeure" im TQW.

Foto: Andre Harm

Seit 42 Jahren wird Iran nach den Regeln der islamischen Revolution regiert, in die Ulduz Ahmadzadeh 1981 hineingeboren wurde. Die Choreografin und Leiterin der Company Atash, was auf Persisch so viel bedeutet wie Durst, Sehnsucht, Verlangen, zeigt gerade die Uraufführungsaufzeichnung ihres neuen Stücks Force Majeure ("Höhere Gewalt") auf der Webseite des Tanzquartier Wien.

Die Künstlerin ist in Teheran aufgewachsen, hat dort trotz Verbots dieser Kunst mit dem Tanzen begonnen. 2004 wurde sie eingesperrt und erst gegen das Versprechen freigelassen, den Tanz künftig sein zu lassen. Das hat sie zwar nicht getan, aber nebenher Regie studiert, bevor sie 2008 nach Wien übersiedelt ist. Ulduz Ahmadzadeh trägt die Erfahrung ideologischer Unterdrückung persönlich in ihrem Körper. Dieses Wissen überträgt sie choreografisch auf die nicht-iranischen Tänzerinnen Desi Bonato, Magdalena Chowaniec und Cristina Sandino.

Islamisches Regime

So erweitert die Choreografin ihren Reflexionsradius über die besondere Situation in Iran hinaus. Zugleich hält sie aber doch am Mittel der dokumentarischen Performance fest, um auf den ungeheuerlichen Umgang des islamischen Regimes mit den Frauen des Landes zu verweisen: Ein Mädchen, die 2008 geborene Emma Wiederhold, trägt historische Fakten wie die Daten der Hinrichtungen von Frauen im Jahr 1979 und Passagen aus Erzählungen weiblicher Gefangener vor.

Wiederholds Kinderstimme bildet das dramaturgische "Gestell" für die Tänzerinnen-Trias und ihrer Interaktion mit dem Gestell einer dreiarmigen eiserne Waage, auf deren Tellern drei Objekte aus Eis unter der Hitze rot leuchtender Wärmestrahler schmelzen. Ab und zu wenden sich Bonato, Chowaniec und Sandino dieser Waage zu, um Gewichte neu zu verteilen, die an Fäden von den Tellern hängen.

Distanz

Ebenfalls aus Eisenstäben sind die Oberkörper-Panzer der Tänzerinnen, die, in einen politischen Käfig gesperrt, Bereitschaft zum Widerstand demonstrieren. Ahmadzadeh zeigt den Körper aber auch als von inneren Gefängnissen eingehegtes Tier, als Objekt der Selbstvergewisserung und als Schlachtfeld "höherer" Gewalttätigkeit.

Das Thema braucht keine postmoderne Ironie. Die Frage ist eher, wie mit dem Pathosgehalt von Geschichten um Gewalt umgehen, wenn der Kampfplatz Körper selbst als künstlerisches Medium der Erzählung antritt. Ulduz Ahmadzadeh trifft den richtigen Ton: Sie wahrt Distanz zur eigenen Betroffenheit und gibt so den Folgen kulturideologischer Zerstörungswut eine glaubwürdige Form. (Helmut Ploebst, 15.3.2021)