Carl Ritter von Ghega war ein verwegener Bursche. Als er sich an die Semmering-Bahntrasse machte, plante er Steigungen, die die Lokomotiven seiner Zeit gar nicht bewältigen konnten. Er war aber überzeugt davon, dass dies bei Fertigstellung der Strecke der Fall sein würde – und behielt recht. Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der seinerzeitigen Hochtechnologie und ihr Fortschrittspotenzial.

Die Welt ist inzwischen ein paar Erfahrungen reicher, Qualm ausstoßen dürfen nur noch Nostalgiebahnen, aber die Euphorie hinsichtlich der Möglichkeiten der Mobilitätswende, der E-Mobilität, die hängt wieder in der Luft. Elektrisierend.

Der ID.3 als Erstling der E-Massenmotorisierung von VW hat außen nicht von ungefähr etwa Golf-Größe...
Foto: Stockinger

Ein Beispiel, wie man das richtig ernsthaft anpackt, liegt mit dem ID.3 vor. Der Konzern hat sich dazu extra eine sündteure, rein batterieelektrische Plattform zugelegt, und deren enormes Potenzial deutet dieser Golf der neuen Ära erstmals an.

Wir stiegen in die Dachfirst-Edition, nein: nur First, insel- statt niedersächsisch. Da die nicht mehr erhältlich ist, nennen wir den Näherungswert: Pro Performance Upgrade, Ausstattungspaket Max. Mit 150-kW-Maschine und 58-kWh-Batterie wie in der "First".

...innen ist er viel geräumiger. Wie beim Käfer: Heckantrieb.
Foto: Stockinger

Wie Sie sehen: Englisch setzt sich in solchen Bezeichnungsmonstren fort – und in der an sich vorbildlichen Sprachbedienung. Deutsch? Fehlanzeige. Reagiert nur auf englische Anrede – "Aidie, bitte ..." "Idee, bitte ..." ist nicht möglich. Ein echtes Skandalon, dass man die Bedienung eines deutschen Autos nicht auf Deutsch aktivieren kann.

Zumal die Programmierung nix kostet. Bei Mercedes etwa lässt sich sogar die Anrede individualisieren, in "Hallo Schatzi" vielleicht. Der geschätzte Kollege Wolfgang H. von der Auto Revue erlaubte sich sogar einmal den Schabernack, einen Mercedes auf "Hallo BMW" umzustellen. Weiß-blaue Sternstunde.

Im Testzeitraum bewegten wir uns in einem Temperaturfenster von etwa null bis zehn Grad, gemessen nach Anders Celsius, dem großen schwedischen Wissenschafter und Zeitgenossen Swedenborgs und Carls von Linné.

Stichwort Saftladen: Strom getankt haben wir ausschließlich mit elf und 22 kW, beim 58-kWh-Akku ist schnell ausgerechnet, wie lang das allenfalls dauert.

Foto: Gluschitsch

Im Verkehr wiederum bewegten wir uns ganz normal, sprich: Marschtempo Autobahn 130, 140 km/h, wie in Österreich üblich. Auch beim Klima machten wir es uns wie gewohnt bei 22 Grad gemütlich, eine Lenkradheizung hätten wir uns mitunter durchaus noch gewünscht, die ist aber aufpreispflichtig. Für all diese "Sünden" bescheinigte uns der Bordcomputer einen Verbrauch von rund 17 kW/h auf 100 km – zwischen 21 und 22 waren es nur im folgenden Fall.

Reverenz am Denkmal

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Denn um auch eine längere Steigung durchzuspielen nebst reichlich Au tobahn, erwiesen wir dem erwähnten Ritter von Ghega die Reverenz, mit einem Besuch seines Denkmals am Bahnhof Semmering. Von Wien aus (Temperatur bei Start: 4,0 Grad) 90, 95 km. Dann rasch via Bundesstraße nach Spital am Semmering (5,5 Grad) und wieder retour, knapp 20 km, anschließen auf Semmering-Schnellstraße und Südautobahn zurück in die Bundeshauptstadt (7,0 Grad bei Ankunft).

Den Öko-Modus haben wir extra nicht benutzt, der lässt maximal 130 km/h zu und nur moderate Beschleunigung. Gestartet waren wir bei Ladestand 300 km, (uns) überraschende 94 brachten wir zurück in den sicheren Hafen der Standard-Garage, und um auch das zu erwähnen: Voll geladen stand meist eine Reichweite von 324 km in der Anzeige. Das ist zwar von den "bis zu 426" eine Ecke entfernt, andererseits angesichts von Jahreszeit und Testprofil aber ein nachvollziehbarer Wert und die Differenz E-Auto-üblich.

Im Fahrbetrieb selbst fällt der gute Einschlag auf, was am Reinheitsgebot "vorn lenken, hinten antreiben" liegt. Durch den tiefen Schwerpunkt fährt sich der Hecktriebler auch in Kurven sicher und sauber. Und der niedrige Luftwiderstands- (cw: 0,27) trifft auf hohen Aufmerksamkeitsbeiwert, erstaunlich oft wird man angesprochen auf den ID.3, von Passanten, aber auch aus den Autos im Stadtverkehr.

Grafik: Der Standard

Was wir lieben: die luftige, geräumige, nicht allein dem Panoramaglasdach, sondern den Vorzügen der MEB-Plattform geschuldete Atmosphäre. Was wir mieden: allzu oft das viele Hartplastik genauer ins Auge zu fassen. Noch mal Plusminus: Toll ist das Augmented-Reality-Navi im Head-up-Display mit den bei Richtungswechselannäherung größer werdenden Pfeilen. Unverständlich hingegen, warum es keine Sitzpositionsspeicher im ID.3 gibt. Dass man nicht über Wippen manuell ins Rekuperieren eingreifen kann, wird kompensiert durch eine intelligente Automatik, die selbst (meist richtig) entscheidet, wann gesegelt wird und wann verzögert.

Und auch sehr nett: Bei Annäherung gelangt man ohne Schlüsselbetätigung in den ID.3 und kann auch gleich ohne Startknopf losfahren. (Andreas Stockinger, 23.03.2021)