Bild nicht mehr verfügbar.

Mehr als 600 Euro kostet eine VWA. Oft wünschen die Auftraggeber eine Arbeit mit mittelmäßiger Qualität, erzählt eine Ghostwriterin. (Symbolbild)

Foto: Reuters/ Emily Elconin

Das Thema Ghostwriting ist derzeit in aller Munde. Die türkis-grüne Regierung will kommende Woche im Uni-Gesetz einen neuen verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestand zur Verfolgung von Ghostwriting einführen. Obwohl das Einreichen von gefälschten Uni-Arbeiten jetzt schon strafbar ist und zur Aberkennung eines Titels führen kann, ist die Zahl der tatsächlich aufgedeckten Fälle gering. Experten rechnen mit einer hohen Dunkelziffer.

Frau R. arbeitet seit über zwei Jahren als eigenständige Ghostwriterin in Österreich. Sie ist Magistra einer geisteswissenschaftlichen Disziplin, hat in ihrem Beruf jedoch hauptsächlich mit IT zu tun. Bis zu fünf Arbeiten schreibt sie daneben monatlich für Fremde. Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt sie, warum ihr verzweifelte Eltern die Probleme ihrer Kinder beichten und wieso sie mehr Geld für Tierschutz spendet, seit sie als Ghostwriterin arbeitet.

STANDARD: Warum sind Sie Ghostwriterin geworden?

R.: Geschrieben habe ich immer schon gerne, auch auf der Uni kannte ich keine Schreibblockaden. Ich habe dann einige Jahre für einen deutschen Verlag Crowdwork gemacht und Werbetexte, Produktbeschreibungen sowie Lexikoneinträge verfasst. Die Entlohnung dafür war sittenwidrig niedrig, obwohl die Qualitätsanforderungen enorm waren. Wenn man ein Leerzeichen vor einem Bindestrich gemacht hat, wurde einem das als schwerer Fehler angekreidet. Diese Ausbeutung hat mich empört.

STANDARD: Und wie kam es dann zum Ghostwriting?

R.: In der Zeit gab es vor ein paar Jahren einen Artikel über einen Ghostwriter, der sich damit sein eigenes Studium finanziert hat. Ich habe mir gedacht: Das wäre auch für mich eine Chance, dass mir das Schreiben einmal im Leben etwas einbringt und geistige Arbeit für andere doch einen Wert haben kann.

STANDARD: Sind Sie bei einer der großen Agenturen unter Vertrag oder eigenständig?

R.: Nach den Erfahrungen beim Crowdwork war ich gegenüber Agenturen misstrauisch. Darum habe ich es gleich allein versucht und einfach eine Online-Anzeige geschaltet. Ein paar Minuten später war schon die erste Anfrage da, die Nachfrage ist enorm.

STANDARD: Wie viele Arbeiten haben Sie bisher geschrieben?

R.: Da ich nur nebenberuflich ghostwrite, komme ich maximal 20 Stunden in der Woche zum Schreiben. Bisher waren es rund 15 Seminararbeiten für Uni oder FH und 30 Vorwissenschaftliche Arbeiten (VWAs) für die Schule.

STANDARD: Was? Schon Schüler und Schülerinnen melden sich bei Ihnen?

R.: In den meisten Fällen sind es die verzweifelten Eltern, die nervös werden, wenn der Abgabetermin naht. Die erklären mir dann, der Sohn hätte noch immer nicht mit der VWA begonnen oder kommt nicht weiter. Ich verlange eigentlich überhaupt keine Rechtfertigung von den Auftraggebern, aber die Eltern liefern sie freimütig von sich aus mit. Man merkt, dass ihnen das Ganze sehr unangenehm ist.

STANDARD: Welche Ausreden bekommen Sie da zu hören?

R.: Oft heißt es, das Kind habe durch freizeitliches Engagement zu wenig Zeit oder es gebe atmosphärische Probleme mit der Lehrerin, die das Kind nicht mag. Von einem unbegabten oder faulen Kind hab ich seitens der Eltern noch nie gehört.

STANDARD: Was kostet eine Arbeit?

R.: Ich versuche, dass ich unter dem Preis der Agenturen bleibe, ich habe ja auch keine Verwaltungskosten. Für eine VWA nehme ich zwischen 600 und 700 Euro. Wenn der Zeitdruck so groß ist, dass ich Nachtschichten einlegen muss, kommt natürlich ein fürstlicher Aufschlag dazu. Bei aufwendigeren Uni-Arbeiten bewegt sich der Preis um die 1000 Euro.

STANDARD: 700 Euro für eine VWA sind eine stolze Summe. Gutbetuchte Familien können sich also widerrechtlich durchschummeln, während weniger begüterte Schüler sich vielleicht mit Müh und Not eine magere Note erarbeiten müssen. Stört Sie das?

R.: Es ist sicher ethisch fragwürdig, was ich da mache. Hinzu kommt, dass ich kein Gewerbe angemeldet habe, obwohl ich prinzipiell eine Verfechterin des Sozialstaats bin und gerne Steuern zahle. Aber ich will der Kundschaft Diskretion garantieren und verhindern, dass deren Namen durch Zahlungsflüsse irgendwie bei den Behörden aktenkundig werden. Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, spende ich das Geld, das ich versteuern müsste, für den Tierschutz.

STANDARD: In welchem Stadium bekommen Sie die VWAs? Haben die AHS-Schüler schon einen Rohtext angelegt, oder bekommen Sie ein leeres Blatt?

R.: Die meisten Aufträge kommen im Jänner und Februar der achten Klasse, also recht knapp vor dem Abgabetermin. Die Schüler müssen aber schon in der siebten Klasse einen sogenannten Erwartungshorizont abgeben, wo das Thema skizziert wird. Einen darüber hinausgehenden Rohtext bekomme ich im Normalfall nicht, ich schreibe tatsächlich alles von der ersten bis zur letzten Zeile.

STANDARD: Arbeiten Sie dann auch Feedback der Lehrer und Lehrerinnen ein, wenn die etwas auszusetzen haben?

R.: Ja, das ist inkludiert. In meiner Anfangszeit musste ich manchmal umfangreichere Korrekturen machen, weil manche Lehrer und Lehrerinnen zu meiner Verwunderung ihre eigenen Zitierregeln stricken, auf denen sie beharren. Zitate im Harvard-Style wurden mir als falsch zurückgeworfen. Seither frage ich vor dem Schreiben genau nach, welche Zitierregeln denn gewünscht sind.

STANDARD: Überzuckern die Lehrer den Schwindel ihrer Schüler nicht? Die müssten doch wissen, wer was kann.

R.: Um ein Auffliegen zu verhindern, werde ich angehalten, mittelmäßige Arbeiten zu erstellen. Sie sollen eher einem Dreier als einem Einser entsprechen. Zum Beispiel lese ich meine Arbeiten nach dem Schreiben absichtlich nicht auf Rechtschreibfehler durch, damit es glaubwürdiger wirkt. Manche Lehrer ahnen wohl trotzdem, dass etwas nicht stimmt, nur können sie wenig dagegen tun. Man kann immer noch sagen, die große Schwester, die studiert, hat "bei den akademischen Formulierungen geholfen". Und es gibt ja auch Familien, wo die Eltern nicht zum Ghostwriter gehen, sondern die Arbeiten selbst mitverfassen.

STANDARD: Hat sich durch die Pandemie etwas geändert?

R.: Für den vergangenen und den heurigen Maturajahrgang wurde wegen Corona die verpflichtende Präsentation und Diskussion der VWAs abgeschafft. Die Arbeiten wurden schon davor in der Regel nicht sonderlich streng abgefragt, habe ich mir sagen lassen. Doch durch den Wegfall der Präsentation wurde es leichter, sich durchzuschummeln, wenn man den Text nicht selbst verfasst hat.

STANDARD: Was ist, wenn Sie sich mit einem Thema nicht auskennen?

R.: Bei den VWAs traue ich mir fast alle Themen zu. Außer vielleicht Hardcore-Naturwissenschaftliches, aber das kommt kaum vor. Ich finde es gerade reizvoll, dass ich mich in so viele Themen einlesen musste, mit denen ich mich sonst nie beschäftigt hätte. Bei den Hochschularbeiten stammen die meisten Aufträge aus berufsbegleitenden Studiengängen, bei denen es so wirkt, als würde es nur um den schnellen Abschluss gehen. Das hat dann oft mit Management und wirtschaftlich-politischer Führung zu tun.

STANDARD: Durch die Novelle des Uni-Gesetzes soll Ghostwriting und dessen Bewerbung ab Oktober verwaltungsstrafrechtlich hart sanktioniert werden. Wie werden Sie reagieren?

R.: Die Geldstrafen von bis zu 60.000 Euro sind exorbitant – da braucht man ewig, um das wieder hereinzuschreiben. Ich will nicht kriminell werden, also werde ich wohl aufhören und die Anzeigen entfernen. Mir ist aber noch nicht ganz klar, ob die Bestimmung auch VWAs trifft oder nur Uni-Arbeiten. (siehe Artikel dazu hier) Eine Option für die Zukunft wäre noch, dass ich akademisches Coaching anbiete – das würde jedoch mehr Aufwand und weniger Lohn bedeuten. Ein Traum wäre es, einmal unter eigenem Namen ein Buch herauszubringen. Die Ideen hätte ich in der Schublade, aber für den kreativen Prozess fehlt mir momentan die Zeit. (Theo Anders, 19.3.2021)