Am 16. März 2020 wurden Österreichs Schulen geschlossen und die Schülerinnen und Schüler ins Distance Learning, also in einen Fernunterricht, entlassen. Seither blieb kein Stein auf dem anderen, und da die Pandemie uns ein Jahr später noch voll im Griff hat, kämpfen auch die Schulen im März 2021 mit zahllosen Herausforderungen: Tests, Schichtbetrieb, Distance Learning, Impfungen, steigenden Infektionszahlen, Fragen der Benotung, Zunahme von psychischen Störungen unter vielen Schülerinnen und Schülern – die Liste ließe sich ewig fortsetzen.

Corona traf die Schulen hart

Wie also sieht die Bilanz nach einem Jahr Pandemie aus? Was ist gelungen? Was wartet noch auf Lösungen? Wo ist ein Versagen zu orten? Was hätte man besser machen können? Fakt ist, dass die Pandemie, die wie ein Tsunami ins Land eingefallen ist, gerade auch im Bildungsbereich eine Situation geschaffen hat, wie wir sie jedenfalls nach 1945 nicht erlebt haben. Man kann sagen, es herrschte von einem Tag auf den anderen eine Art Ausnahmezustand. Wie auch in anderen Politikfeldern kamen die Schwächen des Systems schonungslos an die Oberfläche, und jahrzehntelange Versäumnisse rächten sich bitter.

Dass unsere Schulen im Großen und Ganzen noch nicht im Zeitalter der Digitalisierung gelandet sind, machte sich nicht nur im Fehlen von Endgeräten schmerzlich bemerkbar, sondern auch in der fehlenden Infrastruktur an vielen Schulen sowie an mangelnden einschlägigen Kompetenzen vieler Lehrkräfte. Dass die österreichische Schule strukturell die Mitarbeit der Eltern voraussetzt, führte viele im Homeoffice Tätige an die Grenzen der Belastbarkeit und ließ diejenigen, deren Eltern diese Aufgabe nicht erfüllen konnten, noch weiter zurückfallen. Dass die – praktizierte – Leistungsbeurteilung vielfach nicht mehr State of the Art ist, zeigte sich vor allem dort, wo man bislang vorwiegend auf Schularbeiten, Tests und Prüfungen zurückgegriffen hatte. Die fehlenden Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen, Förderlehrkräfte oder Sprachförderlehrkräfte – im internationalen Vergleich sind wir zahlenmäßig an einer der letzten Stellen – machten sich besonders dort bemerkbar, wo sie am meisten gebraucht worden wären, an den sogenannten Brennpunktschulen. Kinder fielen leistungsmäßig weiter zurück, ja, manche wurden überhaupt nicht mehr erreicht.

Dass eine gerechte Zuteilung von Ressourcen, der sogenannte Chancenindex, bislang aufgrund des Widerstands der ÖVP nicht umgesetzt werden konnte, führte in der Pandemie dazu, dass die Herausforderungen an den betroffenen Schulen noch größer wurden, als sie bisher schon waren. Dass wir, ebenfalls im internationalen Vergleich, eklatant wenige Schulpsychologinnen und -psychologen haben, ließ die vielen Kinder und Jugendlichen, denen die Krise schwer zusetzte, wie eine aktuelle Studie der AK zeigt, an den Schulen ohne Unterstützung zurück. Dass wir ein unter vergleichbaren Ländern (OECD) besonders ungerechtes Schulsystem haben, führt dazu, dass die Schere jetzt noch weiter auseinandergeht. Man könnte die Liste von strukturell bedingten Schwächen, die im Frühjahr 2020 für eine breite Öffentlichkeit sichtbar wurden, noch fortsetzen, denn leider ist unser Schulsystem, das durchaus auch einige Stärken aufweist, im Großen und Ganzen nicht so gut, wie immer gerne von jenen behauptet wird, die sich über Jahrzehnte hinweg grundlegenden Änderungen widersetzten.

Ein Jahr danach

Nun aber zur Frage, wie es ein Jahr danach aussieht. Was ist gelungen, was nicht? Nun, die Bilanz ist durchwachsen. Was auf jeden Fall positiv zu verbuchen ist: In Umgang mit der Digitalisierung hat sich am meisten zum Positiven verändert. Während etwa zu Beginn der Pandemie laut der aktuellen AK-Studie 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler kein Endgerät hatten, um am Distance Learning teilzunehmen, sind es heute zwei Prozent. Wobei erwähnt werden soll, dass der Minister bereits im Frühjahr 2020 per Verordnung dazu ermächtigt gewesen wäre, diese Geräte nicht nur den Bundesschulen, sondern allen Schulen zu Verfügung zu stellen. Hat er nicht getan.

Dass jetzt zwar leider noch nicht alle, aber immerhin ein hoher Prozentsatz aller Schülerinnen und Schüler über diese Endgeräte verfügen, ist auch dem Einsatz von Pädagoginnen und Pädagogen, Schulleitungen und NGOs zu verdanken. Auch auf Lehrerseite hat sich einiges getan im Umgang mit dem Distance Learning. Es gibt dazu zwar keine Zahlen, aber Rückmeldungen aus den Schulen lassen darauf schließen, dass sich die Zahl derer, die noch nie mit Lernplattformen gearbeitet hat, deutlich reduziert hat. Allerdings gibt es auch Kritik im Umgang mit dem Distance Learning. Viele Lehrkräfte überschütten ihre Schülerinnen und Schüler mit Aufgaben, während andere wiederum nur als Minimalisten im Einsatz zu sein scheinen.

Lernziele und Beurteilung wurden nicht an die neuen Voraussetzungen angepasst. Dafür braucht es mehr als nur das Aufsteigen mit einem Nicht genügend oder den Verzicht auf die mündliche Matura. Die Leistungsbeurteilung ist überhaupt eine ganz große Schwachstelle im System, und so verwundert es nicht, dass es jetzt hinten und vorne nicht mehr passt. Dass es im aktuellen Sommersemester zusätzliche Fördermittel gibt für jene, die leistungsmäßig zurückgefallen sind, sei ebenso positiv vermerkt, wie grundsätzlich die angekündigte Fortsetzung der Sommerschule. Dass die Sommerschule ihren Ursprung in der Förderung der Schülerinnen und Schüler aus den Deutschklassen hatte, für die es – schändlicherweise – als einzige im Vorjahr wie auch in diesem Jahr keine Erleichterungen in der Leistungsbeurteilung gab, sei in Erinnerung gebracht. Dennoch positiv, dass sie in abgeänderter Form fortgeführt werden soll. Schließlich: Gut ist auch, dass jetzt an Schulen regelmäßig getestet wird und dass Lehrkräfte geimpft werden.

Schülerinnen und Schüler demonstrieren gegen die Bildungspolitik, die alles andere als geglückt ist.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Es fehlt die Perspektive

Dennoch: Auch wenn manches geglückt ist, Grund zur Freude sehe ich keinen. Warum? Die Antwort lässt sich so auf den Punkt bringen: Die mittel- und langfristige Perspektive fehlt fast völlig. Welche Maßnahmen wird es im nächsten Schuljahr geben, um sicherzustellen, dass im letzten Jahr oder in den letzten zwei Schuljahren Versäumtes auch nachgeholt werden kann? Wie soll das vor sich gehen, und wer wird dafür zuständig sein? Gibt es dafür überhaupt Lehrpersonal, und falls ja: Ist dieses auch qualifiziert dafür? Wird es ausreichend Ressourcen für diese Förderung geben? Was ist seitens des Ministeriums geplant, um die noch weiter auseinandergegangene Bildungsschere zu schließen? Ist das überhaupt Thema? Wer wird die Kinder und Jugendlichen betreuen, die unter psychischen Folgen der Pandemie leiden, wenn wir jetzt schon so wenige Schulpsychologinnen und -psychologen haben, wie in kaum einem anderen vergleichbaren Land? Gibt es dazu, zumindest längerfristig, Überlegungen? Welche Maßnahmen werden künftig ergriffen, um zu verhindern, dass die Bildungsschere nicht noch weiter auseinandergeht? Wird es endlich eine gerechte Mittelzuteilung an Schulen geben, für die bereits ein fertiges Modell vorliegt, der sogenannte Chancenindex?

Werden die Kinder in den Deutschförderklassen weiterhin mit Verlusten von bis zu zwei Schuljahren rechnen müssen? Wird es Änderungen für die Kindergärten geben, die im letzten Jahr kaum Beachtung fanden? Werden alternative Formen der Leistungsbeurteilung künftig stärker an die Stelle von Schularbeiten und Tests treten? Wird es endlich mehr Schulsozialarbeitende geben? Falls ja: Woher sollen sie kommen? Haben wir überhaupt Reserven? Werden die Schulen endlich, wie international üblich, autonome Entscheidungsräume erhalten?

Auf keine dieser Fragen sehe ich Antworten, schlimmer: Die Fragen werden nicht einmal gestellt. Und hier haben wir ein Problem. Ein großes. Es ist nicht durch die Pandemie entstanden, aber sie hat es aufgezeigt. Die Schwachstellen unseres Schulsystems liegen jetzt offen auf dem Tisch. Ein politischer Wille zur Änderung ist nicht wahrzunehmen. (Heidi Schrodt, 17.3.2021)

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