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Wie jeden Samstag hat sich in Jerusalems Zentrum eine Menschenmenge angesammelt, die sich den Abend mit Tanzen und Trommeln vertreibt und das Ende der Ära Netanjahu fordert. Der israelische Premierminister stellt sich nächsten Dienstag der Wahl. Es ist die vierte Wahl in zwei Jahren, nicht immer ging Benjamin Netanjahu als Sieger hervor – aber jedes Mal als Regierungschef.

Eyal, ein Mittdreißiger, gesellt sich flotten Schrittes zur Demonstration. Das, was von Eyals Gesicht zwischen blitzblauer Mütze und Maske zu sehen ist, wirkt fröhlich, und sein selbstgebasteltes Schild verkündet: "Das Ende naht!" Welches? "Das von Netanjahu", sagt er. Bei der Frage, ob er wirklich an einen Regierungswechsel glaube, verdüstert sich sein Gesicht. "Na gut, es ist auch ein bisschen zynisch gemeint", gibt er zu. "Wenn Netanjahu Regierungschef bleibt, ist das wirklich das Ende dieses Landes."

Satire oder echtes Leben?

Zynismus ist in Israel derzeit öfter präsent als sonst. Wenn manche schon von der fünften Wahl sprechen, bevor die vierte überhaupt stattgefunden hat, ist das aber keine Satire, sondern Realismus: Laut Umfragen bringen weder Netanjahu noch Oppositionschef Yair Lapid die nötige Mehrheit zustande. Netanjahus Likud wäre mit 29 Sitzen zwar stärkste Partei, Lapid mit 19 Nummer zwei – aber beide wären weit entfernt von den 61 Abgeordneten, die es für eine Regierungsbildung braucht. Sie müssen sich Koalitionspartner suchen. Da aber nicht jeder mit jedem will, ist die Auswahl begrenzt. Und jede denkbare Variante stünde derzeit mit einer Mandatssumme unter 61 da.

Im Endspurt zur Wahl steigt die Nervosität. Sie äußert sich in Fehltritten, die auf der von kurios über unappetitlich bis hin zu perfid reichenden Skala alles bieten. Wer nicht Netanjahus Partei Likud wähle, sei "undankbar und misanthrop", meint etwa Verkehrsministerin Miri Regev. Nur ihrer Partei, nicht etwa Pfizer oder dem Gesundheitssystem, sei Israels Impferfolg zu verdanken.

Netanjahus Spin, sich als Mensch gewordenen Covid-Antikörper darzustellen, wurde sogar dem Generalstaatsanwalt zu viel: Netanjahu solle aufhören, den Slogan der Impfkampagne "Zurück zum Leben" für Wahlkampfzwecke zu verwenden.

Eier und Fäuste flogen

Nicht nur verbale Fouls teilten Netanjahus Anhänger aus. Zwei Events des Likud-Dissidenten Gideon Saar, der mit seiner Liste Neue Hoffnung antritt, wurden von jungen Likudniks gestürmt. Eier flogen, später auch Fäuste. "Das ist nur ein Vorgeschmack, was diesem Staat droht, wenn Netanjahu Premier bleibt!", twitterte Saar, der bis vor kurzem selbst Parteifreund Netanjahus war. Oppositionschef Lapid lässt indes Massen-SMS verschicken, in denen er sogar vor einer Stimme an die eigenen Verbündeten im Anti-Netanjahu-Lager warnt.

Netanjahus Bündniswille hingegen kennt keine Grenzen. Er wirbt um arabische Stimmen und hat sich sogar mit dem Rechtsextremen Itamar Ben-Gvir zusammengetan. Ob das zur Regierungsbildung reicht, ist fraglich. Das Gesetz gibt bis 6. Juli Zeit, eine Koalition zu schmieden – sonst droht Wahl Nummer fünf. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 16.3.2021)