Screenshot von Oe24.at am Abend des Anschlags in Wien. Der Presserat rügte das Medium aufgrund eines Erschießungsvideos vom Terroranschlag in Wien, das aufgrund von Serverproblemen nur oe24.tv zu sehen war.

Foto: Oe24 Screenshot

Wien – Berichterstattung in Zeiten von Corona und der Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien: Der Österreichische Presserat war im vergangenen Jahr mit einer Vielzahl an Mitteilungen konfrontiert, von denen 418 als Fälle behandelt wurden – so viele wie noch nie zuvor. Bei 36 davon stellte das Selbstkontrollorgan der Medienbranche Verstöße gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse fest. Sechs Ethikverstöße wurden als geringfügig eingestuft und daher bloß Hinweise ausgesprochen. Zum Vergleich: 2019 gab es bei 297 Fällen 38 Ethikverstöße (davon fünf Hinweise).

Fellner-Medien vor der "Kronen Zeitung"

Die meisten Rügen handelte sich wie bereits im Jahr 2019 Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich ein – genauer gesagt die Kaufzeitung "Österreich", die Gratisvariante "Oe24" sowie das Onlineportal oe24.at. Der Presserat konstatierte 17 Ethikverstöße, informierte er am Dienstag in seiner Jahrespressekonferenz. Auf Platz zwei folgen die "Kronen Zeitung" und krone.at mit insgesamt elf Verstößen und "Heute" mit drei. Mit jeweils zwei Verstößen landeten die "Bezirksblätter" und der "Wochenblick" auf dem vierten Platz der meistgerügten Medien.

Rekord: Beschwerdeflut nach Terrornacht

Die meisten Beschwerden gab es mit rund 1.500 aufgrund der Berichterstattung zum Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020. Ein neuer Rekord. Mehrere davon mündeten – wie berichtet – in der Feststellung von Ethikverstößen. So sah der Presserat in der Berichterstattung der Zeitungen "Oe24" und "Krone" sowie ihrer Plattformen oe24.at und krone.at Verstöße gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse. Krone.at zeigte das Video von der Erschießung eines Opfers, ebenso oe24.tv aus der Fellner-Mediengruppe Österreich. Im Normalfall zeigt oe24.at via Stream die Inhalte von oe24.tv. In der Terrornacht sei das aufgrund von Serverproblemen nicht der Fall gewesen, argumentierte Wolfgang Fellner und kündigte deswegen via STANDARD Klage und Austritt aus dem Presserat an. Der Presserat hat oe24.at dennoch gerügt, obwohl das Video dort nicht zu sehen gewesen sein soll.

Bis dato gebe es weder eine Klage Wolfgang Fellners noch einen Austritt seiner Medien aus dem Presserat, sagte dessen Geschäftsführer Alexander Warzilek am Dienstag. Die Rüge werde der Presserat jedenfalls nicht – wie von Fellner gefordert – zurücknehmen, betonte Warzilek. Der Presserat wurde bereits zweimal von Wolfgang Fellner geklagt – und gewann beide Verfahren, so Warzilek.

Keine medienethische Entscheidung

Andrea Komar, Vorsitzende des Senats 2 des Presserats, verteidigte die Entscheidung: Der Serverausfall sei nur einer Überlastung geschuldet gewesen. Dass das Erschießungsvideo dann nicht auf oe24.at zu sehen gewesen sei, habe keine medienethischen Gründe gehabt. Deshalb müsse oe24.at für den Sender oe24.tv geradestehen. Die Veröffentlichung des Videos sei jedenfalls nicht mit einem legitimen Informationsinteresse zu rechtfertigen, sondern war reine "Befriedigung von Voyeurismus".

Beispiele für Persönlichkeitsverletzungen

Die meisten Ethikverstöße 2020 betrafen Persönlichkeitsverletzungen. Dazu zählten laut Presserat neben jenen im Zuge der Terrorberichterstattung etwa noch die Veröffentlichung des Bildes eines siebenjährigen Mordopfers bei einem Bericht über einen Strafprozess ("Oe24"); die Veröffentlichung eines verfälschten Bildes eines Grünen-Politiker, das ihn mit Covid-Erkrankung darstellt (wochenblick.at); die Nennung von Details über einen Kindesmissbrauch ("Bezirksblätter NÖ") oder die Veröffentlichung des Fotos des Leichnams eines Mordopfers, das der Täter ursprünglich über Whatsapp verbreitete ("Oe24").

Beispiele für korrekte Berichterstattung

Als Beispiele, die in keinen Ethikverstößen mündeten, zählt der Presserat die Veröffentlichung einer Karikatur auf nachrichten.at auf, in der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner als Mädchen aus der Torte dargestellt wurde – mit dem Begleittext "Die neue Verpackung". Auch die Veröffentlichung eines Fotos auf kurier.at, das Ex-FPÖ-Politiker Johann Gudenus beim mutmaßlichen Drogenkonsum zeigt, wurde vom Presserat nicht geahndet. Der Senat 3 argumentierte hier, dass sich Gudenus während seiner politischen Tätigkeit regelmäßig für eine strengere Drogenpolitik starkgemacht hat. Über diesen Widerspruch in Wort und Bild aufgeklärt zu werden war von öffentlichem Interesse. (omark, 16.3.2021)