Autonomer Bootsverkehr in den Amsterdamer Grachten könnte künftig das Müllproblem der historischen Innenstadt lösen

Foto: MIT-AMS Institute

Amsterdams goldenes Zeitalter hat eine einzigartige Stadtarchitektur hervorgebracht. Die Grachten, wasserführende Kanäle, die man hier im 17. Jahrhundert anlegte, machen die Stadt zu einem vielbesuchten "Venedig des Nordens".

Doch für das tägliche Leben heute haben sie nicht nur Vorteile. Drängen sich Touristenscharen, Autokolonnen und Fahrradschwärme gleichzeitig entlang der Grachten, wird es eng. Auch für die Stadt wird es dabei zur Herausforderung, die kommunalen Dienstleistungen zu erledigen – allen voran die Müllentsorgung.

Nicht nur aus Platz-, auch aus Umweltgründen möchte man die Mülllaster aus den schmalen Gassen der Innenstadt wegbekommen. Deshalb wird im Rahmen eines Forschungsprojekts ein neuer, für die Stadt maßgeschneiderter Ansatz entwickelt.

Das Amsterdam Institute for Advanced Metropolitan Solutions (AMS) will gemeinsam mit dem Senseable City Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA die Müllabfuhr gänzlich weg von der Straße bringen. Sie soll mittels robotischer Hightech-Boote auf die Grachten verlagert werden.

Zurzeit ist die Mülllogistik der Stadt zweigeteilt. In den Außenbezirken, wo genug Platz zur Verfügung steht, wird der Hausmüll mittels zahlreicher im Boden versenkter Container gesammelt. Im historischen Zentrum ist das nicht möglich.

Hier bekommen die Anwohner zweimal pro Woche Zeitfenster vorgegeben, in denen der Abfall abgeholt wird. Dann stapeln sich in den engen Straßenzügen die Müllsäcke vor den Häusern, während die Mülltrucks durchpoltern, um sie einzusammeln – nicht nur für die Optik der Unesco-Weltkulturerbestadt, sondern auch von der Geruchsbelastung her keine optimale Lösung.

Autonome Schleppboote

Die Idee, die nun das Projekt "Roboat" verfolgt, sieht schwimmende Abfallbehälter vor, die an günstigen Stellen in den Grachten positioniert und von autonomen Schleppbooten gebracht und abgeholt werden. "Wir haben errechnet, dass es insgesamt 283 Punkte in der Stadt geben muss, an denen die schwimmenden Abfallbehälter ein- oder zweimal pro Woche verfügbar sind. Dazu würden genau 48 Containerboote benötigt", erklärt Katja Schechtner, die als Research Fellow am MIT Senseable Lab tätig ist.

Für die Anwohner entsteht damit ein kurzer Fußweg: "Die genannten Zahlen gehen von einer Verteilung der Container aus, bei der 80 Prozent der Bewohner nicht weiter als 100 Meter zur nächsten Sammelstelle haben", erklärt die Stadtforscherin. "Es war eine durchaus schwierige Aufgabe für Fábio Duarte vom MIT und sein Team, auf Basis der Örtlichkeiten, Einwohnerzahlen und durchschnittlichen Müllmengen die optimale Lösung zu extrahieren."

Beispielsweise mussten auch die Zugänglichkeit der Grachten sowie die Niveauunterschiede von Randstein und Wasser – die in der Nähe von Brücken oft zu hoch sind – berücksichtigt werden. Die Behälter verfügen über spezielle Deckel, die aufgeklappt als Rutsche hinab zum Behälter dienen.

Strömungen erkennen

Die schwimmende Mülllogistik soll mit vielerlei smarter Technik ausgestattet sein. Sensoren beobachten Füllstände, automatische Greifarme docken mehrere Container aneinander. Motorisiert sind nur die Schleppkähne, die selbstständig ihren Weg durch das Kanalsystem finden sollen. Dazu gehört Technologie, die auch andere Verkehrsteilnehmer auf dem Wasser identifizieren und umschiffen kann, sowie Sensorik, die Strömungen erkennt und in die Routenführung miteinbezieht.

Natürlich müssen bei den Gefährten mit bis zu vier Anhängern auch die Driftkräfte in Kurven entsprechend berücksichtigt werden. Ihr Ziel, die zentrale Müllsammelstelle, liegt passenderweise auch an einem Kanal. Die gesammelten Sensordaten sollen zudem auch anderweitig im Smart-City-Kontext verwendbar sein – etwa zum Monitoring der Wasserqualität.

Noch heuer soll zu Testzwecken ein Boot in Originalgröße gebaut werden, bevor in den kommenden Jahren Pilotumsetzungen folgen könnten. Das Konzept soll zudem nicht ausschließlich der Abfalllogistik gewidmet sein, sagt Schechtner: "Die schwimmenden Elemente könnten künftig auch als Ersatzbrücken bei Bauarbeiten, als Bühnen bei Festivals, als Transportservice oder sogar zum Passagiertransport einsetzbar werden."

Die Grachten Amsterdams wären dann auch wieder näher an ihrer ursprünglichen Bestimmung. Sie wurden einst für den Transport von Waren zu den zahlreichen Lagern in der von Kaufmannsfamilien geprägten Stadt gebaut. (Alois Pumhösel, 19.3.2021)