Ende Februar ist ein riesiger Eisberg vom antarktischen Brunt-Schelfeis abgebrochen. Ein deutsches Forschungsschiff hat die Umgebung nun erstmals erkundet und auf dem Meeresboden eine überraschend große Lebensvielfalt entdeckt. Erste Foto- und Filmaufnahmen hätten ein artenreiches Ökosystem in einer Region gezeigt, die für Jahrzehnte von Eis bedeckt war, teilte das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven am Mittwoch mit.

Die Polarstern vor dem jungen Eisberg A74.
Foto: AWI/Tim Kalvelage

Der Eisberg A74 hatte sich am 26. Februar vom Brunt-Schelfeis im östlichen Weddel-Meer gelöst. Er misst rund 1.270 Quadratkilometer und ist damit mehr als doppelt so groß wie der Bodensee. Das deutsche Forschungsschiff Polarstern, dass sich derzeit auf einer Antarktis-Expedition befindet, konnte nun erstmals in den Spalt zwischen Schelfeiskante und Eisberg vordringen, um den jahrzehntelang unter hunderten Metern Eis verborgenen Meeresboden zu erkunden.

Kalte Unterwasserwelt

Die Polarstern erreichte das Gebiet schon kurz nach der Kalbung – so wird das Abbrechen größerer Eismassen wissenschaftlich bezeichnet. Das Team machte Aufnahmen des Meeresbodens, entnahm Sedimentproben vom Meeresgrund und führte geochemische Messungen der darüber liegenden Wassersäule durch.

A74 ist rund 1.270 Quadratkilometer groß.
Foto: AWI/Christian R. Rohleder, DWD

Das Tiefsee-Forschungsteam beobachtete zahlreiche Tiere, die auf unterschiedlich großen Steinen festsitzen, umgeben von einer Schlammlandschaft. Die Steine stammen vom Antarktischen Kontinent und werden mit den Gletschern ins Meer transportiert. Die meisten dieser Organismen sind sogenannte Filtrierer, die ihre Nahrung aus dem Wasser herausfiltern. Ob sie sich weitgehend von Algenresten ernähren oder von organischen Partikeln, die mit dem Eis transportiert werden, sei noch unklar, hieß es vom AWI. Gesichtet wurden auch einige mobile Arten wie Seegurken, Seesterne, verschiedene Weichtiere sowie mindestens fünf Fischarten und zwei Tintenfischarten.

Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

"Es ist ein Glücksfall, dass wir flexibel reagieren und das Abbruchgeschehen am Brunt-Schelfeis aktuell so detailliert erforschen konnten", sagte Expeditionsleiter Hartmut Hellmer. Die Aufnahmen sorgten für Begeisterung an Bord. Nur selten gelinge es, vor Ort zu sein, wenn ein Gebiet erstmals mit Sonnenlicht in Kontakt komme. So große Eisberge wie A74 brechen laut AWI am Antarktischen Eisschild nur etwa alle zehn Jahre ab.

Folgen des Klimawandels

Das Kalben sei ein normaler Vorgang gewesen, berichtete das AWI. Bislang habe der Klimawandel vor allem die Westantarktis erwärmt, auf die Ostantarktis und somit das aktuelle Forschungsgebiet der Polarstern habe sich der globale Temperaturanstieg noch nicht ausgewirkt. Klimamodelle würden jedoch prognostizieren, dass auch im östlichen antarktischen Weddellmeer die Lufttemperatur im Laufe dieses Jahrhunderts ansteigen werde – mit gravierenden Folgen für das Meereis.

Um die Auswirkungen des Klimawandels zu erforschen und Prognosen erstellen zu können, braucht es Daten über lange Zeiträume. Das Alfred-Wegener-Institut führt mit der Polarstern bereits seit den 1980er Jahren Expeditionen ins antarktische Weddellmeer durch, um Informationen Meeresboden, Ozean, Eis und Atmosphäre zu beobachten. Seit Anfang Februar ist die Polarstern wieder im Weddellmeer unterwegs, um Langzeitdaten für Klimavorhersagen zu ermitteln. Davor war das deutsche Forschungsschiff am anderen Po: Erst im vergangenen Oktober war die Polarstern von der größten Arktis-Expedition aller Zeiten zurückgekehrt. (red, 18.3.2021)