Der Pianist Florian Krumpöck beschwört mit seiner Initiative die Verfassungsbestimmung zur Freiheit der Kunst: "§ 17a StGG: Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei."

Foto: Lukas Beck

Im Jahr zwei der Pandemie regt sich in der Kulturbranche vielerorts Unmut gegen ihre komplette Stilllegung: In Frankreich werden massenhaft Theater besetzt, in Spanien darf nach Protesten schon seit Monaten wieder gespielt werden, in Österreich? Ziehen die Kulturschaffenden vor das Höchstgericht.

Geht es nach der Initiative "Florestan", die von Künstlern wie Alfred Dorfer, Angelika Kirchschlager, Nina Proll oder der Politologin Ulrike Guérot getragen wird, soll der Verfassungsgerichtshof entscheiden, ob die Corona-bedingten Einschränkungen im Kulturbereich rechtens und verhältnismäßig waren.

Gegründet wurde "Florestan" im letzten Jahr von dem Pianisten Florian Krumpöck. "Es war kein Schnellschuss", wie er dem STANDARD sagt, "sondern gut überlegt. Ich hätte es nicht gemacht, wenn mir nicht Juristen gesagt hätten, dass eine solche Beschwerde beim VfGH Erfolg haben könnte." Unterstützt durch zwei Anwälte wurde diese nun beim Höchstgericht eingereicht und sogleich bearbeitet. Acht Wochen hat das Gesundheitsministerium nun Zeit, seine Entscheidungen gut zu begründen, bis zum Sommer könnte der VfGH dann sein Urteil sprechen.

§ 17a Staatsgrundgesetz

Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei

Dass es bis dahin freilich wieder Öffnungsschritte für die Kultur geben könnte, ist den Beschwerdeführern bewusst, es geht ihnen aber um Grundsätzliches: Wie, so Krumpöck, könne sichergestellt werden, dass in Zukunft verfassungsrechtlich geschützte Bereiche der Gesellschaft nicht mehr einfach nach dem "Rasenmäherprinzip" lahmgelegt werden?

Es gehe nicht um ein Ausspielen des Kulturbetriebs gegen andere Bereiche wie etwa den Handel, aber: Dass die Religionsfreiheit bei allen Verordnungen hochgehalten werde und man in diesem Bereich auf freiwillige Selbstbeschränkung der Religionsgemeinschaften setze, sei ein Widerspruch. Außerdem habe "das Gesundheitsministerium bis dato einfach nicht nachgewiesen, dass es kein gelinderes Mittel als einen kompletten Kultur-Lockdown gab, obwohl es aufgrund der hervorragenden Präventionskonzepte zu keinerlei Clusterbildung im Publikumsbereich kam".

War es das gelindeste Mittel?

Erste Studien zur geringen Ansteckungsgefahr in Kultureinrichtungen sowie die Erfahrung aus geglückten Theateröffnungen in Spanien geben Krumpöck und seinen Mitstreitern aktuell Auftrieb. Allerdings wird der VfGH zu klären haben, ob die Bundesregierung im Frühjahr und Herbst 2020 mit dem Wissen von damals richtig gehandelt hat. Verhältnismäßigkeit und das gelindeste Mittel müssen dafür gegeben sein, aber auch die Gleichbehandlung mit anderen Grundrechten muss prinzipiell eingehalten werden.

Die Initiative "Florestan" pocht auf die Freiheit der Kunst, die in Österreich im Paragraf 17a des Staatsgrundgesetzes festgeschrieben ist: "Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei", heißt es dort – eine sehr starke Ausformulierung der Kunstfreiheit, die es so erst seit 1982 gibt. Sie geht zurück auf die Erfahrung mit den Wiener Aktionisten, die in den 1960er- und 1970er-Jahren mehrfach festgenommen und verurteilt wurden für Dinge, die im heutigen Kulturgeschehen fast schon zum guten Ton gehören.

Die Ausübung der Künste ist durch die Pandemie weniger beeinträchtigt als deren Vermittlung. Es wird zu hinterfragen sein, ob die Bundesregierung hier zu wenig ermöglicht, wenn etwa die Vermittlung von Religion in Gotteshäusern nach wie vor zulässig ist.

Bevorzugung der Kirchen

Alle vom STANDARD befragten Verfassungsjuristen sehen denn auch intakte Chancen, dass der VfGH dem Antrag recht geben könnte. "Kritisch ist aus meiner Sicht die Bevorzugung der Kirchen", sagt Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck. "Es gibt keine Hierarchie der Grundrechte, von daher ist es wohlbegründet, wenn Gleichbehandlung eingefordert wird. Das Argument, das entgegengehalten werden kann, ist, dass nur schrittweise geöffnet werden kann und die Situation weiterhin sehr angespannt ist."

Magdalena Pöschl von der Uni Wien meint, man müsse der Politik wegen der Komplexität der betroffenen Interessen einen gewissen Spielraum zugestehen. "Das ändert aber nichts daran, dass Beschränkungen verhältnismäßig sein müssen und dass sie nicht einen Lebensbereich im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen grundlos benachteiligen dürfen." Dass die Beschränkungen im Kulturbereich das derzeit erfüllen, scheint ihr "fraglich".

Auch die Verfassungskoryphäen Bernd-Christian Funk und Heinz Mayer (Uni Wien) teilen die Ansicht. Letzterer hat das grüne Gesundheitsministerium in diesen Fragen sogar beraten, sich mit seiner Ansicht einer Ausnahme des Kulturbereichs aber nicht durchgesetzt. "Ich war im Herbst mehrmals im Theater und habe gesehen, wie gut die Sicherheitsmaßnahmen waren", sagt Mayer. "Aber die Grünen waren hier, denke ich, zu schwach, und den Türkisen ist die Kultur nicht wichtig genug."

Unabhängig vom Ergebnis verweist Krumpöck jedenfalls auf den Druck, den ein Gang zum Höchstgericht aufbauen kann. In Bayern etwa wurde kurz vor Einbringung eines solchen Antrags gelockert. Was würde nun passieren, wenn der VfGH der Beschwerde recht gibt? Vermutlich nicht viel, meinen die Experten. Man müsste wohl prüfen, inwiefern die für die Schließungen geflossenen Entschädigungen ausreichen oder nicht, sagt Jurist Funk. Nachsatz: "Ich möchte das nicht berechnen müssen." (Stefan Weiss, 18.3.2021)