Nach der Absage vieler großer Festivals wie dem Rock am Ring, dem Primavera oder dem Glastonbury-Festival, war die Entscheidung von Barracuda Music keine Überraschung: Auch das Nova Rock Anfang Juni in Nickelsdorf wird nicht stattfinden, teilte man am Montag in Form einer Presseaussendung mit. Barracuda-Chef Ewald Tatar ist auch Tagen nach der Entscheidung noch die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Er hofft derweil auf die Austragung des Frequency-Festivals, das genauso von ihm veranstaltet wird wie die Großzahl der heimischen Pop- und Rockkonzerte. Ein Gespräch mit dem größten heimischen Konzertveranstalter über die Hoffnung bald wieder vor einer Konzertbühne zu stehen.


STANDARD: Sie haben am Montag die Reißleine gezogen und das Nova Rock abgesagt. Warum haben Sie nicht länger zuwarten können?

Tatar: Wir haben seit etwa acht Wochen gegenüber der Regierung auf unsere Situation aufmerksam gemacht: Bei einem Festival, bei dem man Mitte Mai mit dem Aufbau beginnt, braucht man Ende Februar, spätestens Anfang März die Entscheidung, ob erstens Großveranstaltungen im Juni möglich sind und zweitens unter welchen Voraussetzungen. Dazu kommt, dass die finanzielle Uhr tickt. Nachdem der Schutzschirm im Juni nur bis 1000 Besucher greift, bleiben die Kosten zu 100 Prozent bei mir hängen. Von der Regierung kam keine Ansage, also musste ich die Entscheidung selbst treffen.

STANDARD: In einem normalen Jahr säßen Sie im März bereits auf finanziellen Verpflichtungen von etwa einer Million Euro. Wie ist die Situation in diesem Ausnahmejahr?

Tatar: Jetzt eine Summe zu nennen wäre unseriös. Wir müssen erst einige rechtliche Dinge klären. Es wird aber wohl um einige Hunderttausend Euro gehen.

STANDARD: Der Schutzschirm für Großveranstaltungen greift erst ab 1. Juli. Dabei weiß man, dass eines der größten Events, das Nova Rock, im Juni stattfindet. Wie sehr ärgert Sie das?

Tatar: Das Ganze hat mehr als eine schiefe Optik. Das Nova Rock ist nicht etwas, das man einfach beiseitewischen könnte. Es zeigt den Stellenwert, den die Popkultur in diesem Land bei den Regierungsverantwortlichen hat.

STANDARD: Werden Hoch- und Popkultur mit unterschiedlichem Maß gemessen?

Tatar: Ich habe nichts gegen die Hochkultur, sie ist extrem wichtig – genau so wie das Nova Rock oder das Frequency. Aber ja: Möglicherweise gibt es Entscheidungsträger, die in der Hochkultur eher den Kulturfaktor widergespiegelt sehen als bei einem Popfestival. Diesen Eindruck habe ich leider.

STANDARD: Von Rock am Ring bis hin zu Glastonbury und dem Primavera sind bereits fast alle internationalen Festivals der kommenden Monate abgesagt. Nachdem viele Bands von einem Festival zum nächsten touren: Hätten Sie die Bands überhaupt bekommen?

Tatar: Bis dato haben wir noch von keiner einzigen Band eine Absage für den Juni bekommen. Wahrscheinlich werden viele Tourneen nicht stattfinden, aber Faktum ist, dass diesbezüglich noch keine Entscheidungen gefallen sind. Wir sind aber guten Mutes, was das Frequency im August angeht. In Holland, England oder der Schweiz geht man davon aus, dass die dortigen Festivals im August stattfinden werden.

STANDARD: Bis wann brauchen Sie für das Frequency eine Ansage von der Regierung?

Tatar: Bis Mitte Mai circa. Ich hoffe, dass wir bis dahin mit dem Impfen weiter und die Infektionszahlen besser sind.

STANDARD: Beim Frequency treten mehr lokale und deutsche Bands auf. Das entspannt die Situation, oder?

Tatar: Ja, das ist ein Riesenvorteil. Mit Headlinern wie AnnenMayKantereit oder Bilderbuch, die beide aus dem deutschsprachigen Raum kommen, tut man sich viel leichter, als das beim Nova Rock mit seinen vielen amerikanischen und englischen Bands der Fall ist. Wir sind da nicht von internationalen Tourneeplänen abhängig. Selbst wenn einige internationale Bands wegfallen, haben wir immer noch ein spannendes Lineup.

STANDARD: Sie sind auch der größte Konzertveranstalter in diesem Land: Wie wird der Konzertsommer und -herbst heuer ausschauen?

Tatar: Das ist schwierig zu beantworten: Im Juni wird wahrscheinlich – was größere Konzerte anbelangt – nichts mehr gehen. Und der Juli schaut nicht rosig aus. Meine Hoffnung liegt auf dem August, und dass dann im Freien etwas geht – mit den entsprechenden Konzepten. Für den Frühherbst bin ich, was Indoorkonzerte anbelangt, skeptisch. Ich hoffe, dass wir zumindest im Spätherbst wieder größere Konzerte auch indoor spielen können. 2022 sollte dann wieder normal verlaufen.

STANDARD: Welche großen Konzerte wackeln?

Tatar: Green Day, Iron Maiden, Aerosmith und Pearl Jam im Juni und Juli, diverse Konzerte auf der Burg Clam – um nur einige zu nennen. Selbst bei Konzerten, die erst im Herbst stattfinden, wird bereits gefragt, ob man sie nicht eventuell auf 2022 verschieben soll.

STANDARD: Wir beleuchten in einer STANDARD-Serie die "Zukunft der Kultur". Wie schaut aus Ihrer Sicht die Zukunft der Konzertbranche aus?

Tatar: Wenn ich meinem Bauchgefühl glauben kann, wird sich die Branche stark verändern. Sehr viele haben den Wunsch, endlich wieder die Sau rauszulassen. 2022 und 23 werden sehr starke Konzertjahre werden. Mein größter Wunsch derzeit ist aber kein spezielles Konzert, sondern endlich überhaupt wieder auf ein Konzert gehen zu können.

STANDARD: Mit oder ohne Maske?

Tatar: Das geben andere vor. Und mit dem werde ich als Veranstalter leben müssen.

(Stephan Hilpold, Christopher Lettner)