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Kinder brauchen Nähe, um gesund aufzuwachsen. Und jene, die Schlimmes erlebt haben, umso mehr.

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"Es war ein extrem schwieriges Jahr. Das Leben in sozialpädagogischen Einrichtungen bedeutet Zusammenleben, mit den Kindern in Kontakt sein. Distanz ist bei uns nicht möglich und auch gar nicht wünschenswert. Unsere Kinder sind zum Teil noch sehr klein und wollen natürlich auf den Schoß genommen oder umarmt werden. Aber auch größere kann man ja nicht auf Distanz erziehen und sagen: Du darfst nicht mehr näher als zwei Meter zu mir herkommen und musst dabei eine Maske tragen.

Wir betreuen derzeit 14 Kinder und Jugendliche, zwischen sechs und 16 Jahren. Das sind alles Kinder, die nicht mehr in ihre Familie zurück sollen, die also besonders Schlimmes erlebt haben. Gründe für eine Unterbringung sind zum Beispiel, dass sie psychisch oder körperlich misshandelt oder missbraucht wurden. Ihre Eltern sind häufig alkohol- oder drogenabhängig. Oft auch alles zusammen. Wir müssen viel mit ihnen aufarbeiten, bis es ihnen besser geht. Die Kinder haben oft 'Flashback-Erinnerungen', fühlen sich also wieder genauso wie in dieser traumatisierenden Situation und ziehen sich zurück, werden depressiv oder aggressiv. Diese Symptome sind Ausdruck dessen, wie mit ihnen umgegangen wurde. Derartige Symptome waren in ihrer Geschichte überlebensnotwendig.

Diese Kinder brauchen natürlich die Nähe. Deshalb sind wir auch das Risiko eingegangen, uns anzustecken. Unsere Strategie war, den Kontakt nach außen bestmöglich einzuschränken. Wir haben darauf geachtet, dass sich die Kinder nicht in der Schule oder bei Freunden anstecken. Leider hat es uns, nach einem Jahr, trotzdem getroffen, und wir mussten alle in Quarantäne. Fünf Kinder waren krank und auch fünf Betreuer sind ausgefallen – was bei einer kleinen Einrichtung wie unserer schon viel ist. Wir haben die kranken Kinder in ein separates Zimmer mit eigenem Waschraum gelegt. So ging es irgendwie. Zum Glück gab es keine schweren Verläufe.

Wir hoffen sehr, dass wir bald geimpft werden. Obwohl die Pädagogen in den sozialpädagogischen Einrichtungen ohne Schutz in direktem Kontakt arbeiten, haben wir im Burgenland bis jetzt keinen Termin für eine Impfung und auch keine Informationen, wann es so weit sein wird.

Angst vor dem Lagerkoller

Vor einem Jahr, als der erste Lockdown angekündigt wurde, war das natürlich ein großes Thema für unsere Kinder. Wir haben versucht, viel zu erklären, uns die Nachrichten und Pressekonferenzen gemeinsam mit ihnen angeschaut. Es ist wichtig, dass sie informiert sind. Ehrlich gesagt haben auch wir uns Sorgen gemacht. Wir haben uns gefragt, wie es den Kindern gehen wird, haben einen Lagerkoller befürchtet. Deshalb haben wir darauf geachtet, dass die Kinder trotz Lockdown einen Tagesrhythmus haben. Wir haben jede Woche gemeinsam besprochen, welche Ausflüge und Unternehmungen wir machen werden. Diese Belohnungen konnten sich die Kinder spielerisch erarbeiten, zum Beispiel, indem sie ihre Aufgaben für die Schule gut erledigen.

Ich hatte das Gefühl, dass die Gruppe sogar noch mehr zusammengewachsen ist. Sie wissen es jetzt richtig zu schätzen, dass sie einander haben, dass sie rausgehen können und nicht alleine in einer Wohnung sitzen.

Schwierig war für sie aber, dass ihre Eltern nicht zu Besuch kommen konnten. Drei Monate lang war nur telefonischer Kontakt möglich. In den weiteren Lockdowns wurde die Regelung zum Glück gelockert. Aktuell dürfen die Eltern – unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen – wieder kommen. Auch ihre Hobbys haben die Kinder vermisst. Sie nehmen normalerweise Musikstunden, gehen in Judo, Fußball oder machen einen anderen Sport. Trotzdem waren sie sehr verständnisvoll und haben die Maßnahmen mitgetragen. Unsere Kinder sind um einiges vernünftiger als viele Erwachsene. Das war zum Teil auch ein Problem für sie. Irgendwann war es wieder erlaubt, Freunde im Freien zu treffen. Wenn sie dann gesehen haben, dass sich andere Familien nicht an die Maßnahmen halten, war das für sie gar nicht so leicht zu nehmen.

Keine 'verlorene Generation'

Eine große Herausforderung war für uns natürlich das E-Learning. So viele Computer, dass zwölf Kinder zu Hause lernen können, hatten wir natürlich nicht. Auch das Internet reichte dafür nicht aus, wir haben aber schnell aufgerüstet. Wir mussten auch mehr Personal anstellen. Denn normalerweise am Vormittag, wenn die Kinder in der Schule oder im Kindergarten sind, haben die Betreuerinnen und Betreuer frei. Das waren massive Mehrkosten – wir brauchten 97 Stunden pro Woche mehr Betreuung. Leider gab es dafür keinerlei finanzielle Unterstützung vom Land Burgenland. Wir sparen anderswo und greifen auf unsere Rücklagen zurück, so ist es irgendwie möglich. Für andere Einrichtungen ist das aber existenzbedrohend.

Die Regelung mit dem Schichtbetrieb in den Schulen sehen wir positiv. So treffen unsere Kinder an zwei Tagen ihre Freunde und verlieren den Anschluss nicht. Die restliche Zeit lernen sie daheim. Aus meiner Sicht ein sehr guter Kompromiss. Was mich immer sehr ärgert, und auch die Kinder, ist die Diskussion um die angebliche 'verlorene Generation'. Die Schülerinnen und Schüler haben sicher in dem einen oder anderen Fach weniger gemacht, aber doch immer unter schwierigen Bedingungen ihre Leistung erbracht. Was sie an Selbstständigkeit gewonnen haben, ist enorm. Wenn man sich selbst etwas erarbeitet, lernt man doch mehr, als wenn man alles vorgebetet bekommt.

Weihnachten war bei uns letztes Jahr auch anders als sonst. Normalerweise kommen die jungen Erwachsenen, die früher bei uns gelebt haben, zu uns, und wir machen ein großes Fest. Zu vielen haben wir noch sehr engen Kontakt, man entwickelt ja doch Elterngefühle. Dieses Jahr im Dezember ist hoffentlich wieder mehr möglich." (Protokoll: Lisa Breit, 23.3.2021)