Der Ruf nach unternehmerischer Verantwortung aufseiten der Internetgiganten wird zu Recht immer lauter. Dass die Algorithmen schärfer eingestellt würden, war also abzusehen.

Foto: AFP / Olivier Douliery

"Männer sind so blöd ... man muss sie einfach gern haben!" So kommentierte ich einen launigen Facebook-Beitrag, der sich über "Typen" lustig machte, die das korrekte Anlegen einer FFP2-Maske zu überfordern schien. Die Verfasserin sei früher der Meinung gewesen, bei der weitverbreiteten Abneigung gegen Kondome aufseiten der Männer gehe es darum, dass jemand "nichts spüre", nun aber erkenne sie ein allgemeines Defizit beim Konzept "Etwas woanders drüberziehen".

Ich fand das sehr lustig und vor allem wahr: Es sind tatsächlich fast immer Männer, die ihre Masken partout nicht so tragen, wie es eigentlich gedacht ist – oft Halbstarke, die zeigen wollen, was für verwegene Outlaws sie sind, manchmal begleitet von einer Freundin, die den eigenen Freund schrecklich peinlich findet; wobei ich selbst ja auch kein Maskenfetischist bin.

Ich hielt meinen flapsigen, doch liebevollen Einwurf für sehr geistreich und sympathisch, weil selbstironisch, und klopfte mir dafür innerlich auf die Schulter. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert, obwohl mir mittlerweile aufgefallen ist, dass man "gern haben" eigentlich zusammenschreibt, also "gernhaben". Männer sind eben blöd.

Leider währte die Selbstbestätigung nur kurz. Der Post wurde umgehend gelöscht, ich bekam folgende Meldung angezeigt: Dein Kommentar verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Hassrede. Das sitzt. Niemand sonst kann deinen Kommentar sehen. Schade, dabei habe ich mir damit doch so viel Mühe gegeben. Wir haben diese Standards definiert, damit sich die Menschen in Diskussionen auf Facebook respektvoll verhalten. Gemeinschaftsstandards? Hassrede? Respekt? Weiter.

Nach fünf Minuten Prüfung

Ich war mit der Entscheidung nicht einverstanden und gab an, dass ich mit der Entscheidung nicht einverstanden war. Die Prüfung meines Einspruchs kam nach exakt fünf Minuten zu folgendem Ergebnis: Wir haben bestätigt, dass dein Kommentar nicht den Gemeinschaftsstandards entspricht.

Damit hatte ich nach bald zwei Jahrzehnten aktiver Teilhabe an sozialen Netzwerken die allererste Verwarnung wegen Hassrede in der Tasche. Meine Prüfung dieser Bestätigung kam nach etwa drei Sekunden zu folgendem Ergebnis: Facebook versteht keine Ironie. Einen Screenshot des gelöschten Kommentars samt Verwarnung – sozusagen als kontextualisiertes Selbstzitat – konnte ich übrigens ungehindert posten, was für anhaltende Erheiterung sorgte.

Ein Text ist ein Text ist ein Text und wird als solcher erkannt. Das Bild eines Textes ist zwar ebenfalls ein Text, aber als Bild. Facebook ist so blöd ... man muss es einfach gernhaben. Soziale Medien waren noch nie der geeignete Ort für leise Zwischentöne oder das vorsichtige Ausverhandeln komplexer Fragestellungen.

Mit großem Erstaunen verfolge ich die mehrere Hundert Kommentare umfassenden Diskussionen, in denen Menschen das noch immer nicht verstanden haben. Auf Facebook nutze ich das Angebot einer privaten Firma, deren Regeln ich mich freiwillig unterwerfe, weshalb ich es wenig legitim fände, mich über Zensur zu echauffieren.

Das wird mir eine Lehre sein

Was ich an mir selbst wahrnehme, ist eine Art euphorische Verwunderung – plötzlich spüre auch ich die Auswirkungen eines geschichtsträchtigen Vorgangs und bin davon glücklich überfragt. Für sich genommen scheint diese Begebenheit trivial, doch sie steht symptomatisch für den Konflikt zwischen demokratiefördernder Meinungsfreiheit und demokratiezersetzender Sprachverrohung, der plötzlich in die nächste Runde geht.

Die Plattformen haben ihre Unschuld verloren. Was sich zur Selbstvermarktung und für das Teilen lustiger Katzenbilder eignet, kann ebenso für die Vernetzung politischer Aktivisten oder das Aufwiegeln eines wütenden Mobs genutzt werden. Hier ist der Ort, an dem Meinungsbildung stattfindet, an dem Stimmungen zu Strömungen werden. Hier schrauben sich erhitzte Gemüter immer tiefer in ihre Empörungsspiralen, hier verabredet man sich zum Sturm auf Regierungsgebäude.

Der Ruf nach unternehmerischer Verantwortung aufseiten der Internetgiganten wird zu Recht immer lauter. Dass die Algorithmen schärfer eingestellt würden, war also abzusehen, nur hätte ich niemals gedacht, meine harmlose Selbstironie könnte dabei unter die Räder kommen. So führt das Ringen um eine Versachlichung der Debatten eher zu ihrer Verlangweiligung.

Wachstumsschmerzen

Was ich am eigenen Leib erfahre, sind die Wachstumsschmerzen einer Technologie, die nicht mehr nur Spielwiese ist, sondern immer öfter zum gnadenlosen Schlachtfeld verkommt. Mit einem Mal habe auch ich den schlafenden Riesen im Silicon Valley geweckt, der sich aufbäumt und mir auf die Finger klopft.

Meine erste Beanstandung wird vermutlich als sture Uneinsichtigkeit gewertet. Mit künstlicher Intelligenz hat das nichts mehr zu tun, als Nutzer sieht man sich einer künstlichen Dummheit überantwortet, die für uns die Grenzen des Sagbaren absteckt und dabei Sprache nur akribisch erntet, ohne sie zu verstehen.

Am nächsten Tag erhalte ich folgende Nachricht: Uns ist bewusst, dass man manchmal Fehler macht. Deshalb haben wir dein Konto noch nicht eingeschränkt. Das erscheint mir äußerst großzügig. Gleichzeitig weist man mich darauf hin, dass ebendiese Einschränkung geschehen kann, sollte ich erneut gegen die Richtlinien zur Hassrede verstoßen. Das wird mir eine Lehre sein.

Da ich mir noch keine Sorgen um meine Redefreiheit mache und es mehr der eigenen Ehrenrettung dienen würde, sehe ich davon ab, als nächste Berufungsinstanz das ominöse Oversight Board anzurufen, wo mein Fall einer Sachverständigengruppe aus Gremiumsmitgliedern zugewiesen und eingehend geprüft wird.

Mein persönliches Ironie-Gate

Es ist lächerlich, sich nach diesem "Fehltritt" überhaupt den Kopf zu zerbrechen, doch was bleibt mir anderes übrig? Ganz unironisch muss ich aus meinem persönlichen Ironie-Gate Konsequenzen ziehen. Facebook ist die einzige Plattform, auf der ich mich bewege. Gerade inmitten harter Maßnahmen gegen die große Pandemie sind die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnung stark reduziert.

Wenn ich eine Kontosperrung samt schmerzhafter zusätzlicher Isolation verhindern möchte, dann müssen meine virtuellen Mitteilungen in Zukunft zurückhaltender und unmissverständlicher sein, mit einem Wort: langweiliger. Unmarkiertes Augenzwinkern, Mehrdeutigkeiten oder Nuancen kann ich mir nicht mehr leisten.

Lukas Meschik
Foto: Maximilian Payer

Ich werde das Gefühl nicht los, dass seit dem Vorfall die Interaktionen mit von mir geteilten Inhalten stark zurückgegangen sind. Wurde die Sichtbarkeit meines Profils gezielt begrenzt, da ich als verwarnter Hassposter eingestuft bin? Meine Ahnung ist weniger paranoid, als sie vielleicht klingt.

Damit hat eine Entfremdung stattgefunden, dieser Ort ist nicht mehr meiner, ich bin bloß noch zu Gast, verkneife mir so manches, das zuvor leichtfertig hingetippt worden wäre. Wahrscheinlich ist damit genau das eingetreten, was mit der Verwarnung bezweckt werden sollte.

Ich bin einverstanden und füge mich dem Algorithmus. Niemand zwingt mich, zu bleiben. Ich könnte jederzeit gehen. (Lukas Meschik, ALBUM, 21.3.2021)