Kosmologische Simulation der Filamentstrukturen im entfernten Universum.
Illustr.: Jeremy Blaizot, SPHINX-Pro

Auf den ganz großen Skalen ist das Universum von einem Netzwerk gigantischer fadenförmiger Gas-Strukturen durchzogen. Diese Filamente sind die Geburtsorte der Galaxien, enthalten den Großteil der existierenden Wasserstoffatome und dürften bereits sehr früh nach dem Urknall entstanden sein. Die Existenz dieses Netzes bestätigt die wichtigsten Vorhersagen darüber, wie sich die Struktur des Universums im Laufe der Jahrmilliarden verändert. Einem internationalen Team von Astronomen unter der Leitung der Universität Lyon sind nun erstmals sehr detailreiche Aufnahmen der Netz-Filamente gelungen, die weit in die Zeit zurück reichen.

13 Milliarden Lichtjahre entfernt

Um die bislang wenig untersuchten Bereiche in den Fokus zu rücken, beobachteten die Wissenschafter – verteilt über ein halbes Jahr – insgesamt 140 Stunden lang einen kleinen speziellen Ausschnitt des Himmels, die sogenannte Hubble Ultra Deep Field Region (HUDF). Die HUDF ist jene Himmelsregion, die bisher am längsten mit dem Hubble-Weltraumteleskop über einen Zeitraum von vielen Wochen beobachtet wurde. Die Entfernung der Galaxien in dem Feld beträgt drei bis 13 Milliarden Lichtjahre.

Das Team nutzte für seine Untersuchung den 3D MUSE-Spektografen am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile. Das Ergebnis zeigte eine beeindruckend große Anzahl von Galaxien in dem vergleichsweise kleinen Feld. "Es waren 100 Mal mehr Galaxien als man üblicherweise bei klassischen Himmelsdurchmusterungen findet", sagt Koautor Wolfram Kollatschny vom Institut für Astrophysik der Universität Göttingen. "Vierzig Prozent von ihnen waren so extrem leuchtschwach, dass sie nicht einmal mit dem Hubble Teleskop entdeckt worden sind."

Das Hubble Ultra Deep Field: Die Aufnahme ist ein Mosaik aus 800 Belichtungen um Verlauf von 400 Orbits des Hubble Weltraumteleskops um die Erde.
Foto: Nasa/Esa

Zwischen den Knoten

Bislang wurden vor allem die Knotenpunkte des kosmischen Netzes untersucht, weil dort auch die Quasare, extrem leuchtstarke Kerne von Galaxien, zu finden sind. Allerdings sind diese Knotenpunkte sehr dichte Bereiche im kosmischen Netz – die diesbezügliche bisherige Datenlage ließ sich also nicht ohne Weiteres auf die dazwischen liegenden Netzfilamente übertragen.

Die Beobachtung dieser Filamente gewährt zugleich einen Blick in die Geschichte des Universums. Die Wissenschafter konnten mit den gewonnenen Daten die ersten Karten des kosmischen Netzes im jungen Universum – weniger als zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall – erstellen. "Überrascht hat uns, dass der Anteil des diffusen Lichts der Filamente, der von der ultravioletten Hintergrundstrahlung stammt, viel geringer ist als erwartet", so Kollatschny.

Ein Meer von winzigen Galaxien

Das kosmische Netz ist nämlich nur deshalb beobachtbar, weil es durch Sterne und Quasare beleuchtet wird. Das Team vermutet, dass der größte Teil der Hintergrundstrahlung von einem riesigen "Meer" an Galaxien mit sehr geringer Leuchtkraft stammt. Diese sind viel zu schwach, um einzeln entdeckt zu werden. "Dies hilft uns, den Ursprung der Galaxien zu verstehen: Es bedeutet, dass die meisten Vorfahren unserer heutigen Galaxien kaum mehr als winzige Klumpen von wenigen, gerade entstandenen Sternen waren", so Kollatschny.

Wie die Wissenschafter im Fachjournal "Astronomy and Astrophysics" berichten, bestätigt die direkte Beobachtung des kosmischen Netzes zudem die Vorhersage zur großräumigen Materieverteilung und Entwicklung des Universums – ausgehend von einer sehr homogenen Verteilung des Urgases 400.000 Jahre nach dem Urknall. "Es hilft uns, zu verstehen, wie und wo Galaxien entstehen und mit ihrer Umgebung interagieren", so Kollatschny.

Schärferer Blick aufs Netz

Die Entdeckung ebnet laut den Wissenschaftern den Weg für weitere Fortschritte in der Erforschung des jungen Universums. Die Charakterisierung des kosmischen Netzes im fernen Weltall sei denn auch eines der Hauptziele des BlueMUSE-Instruments, das bis im Jahr 2030 am VLT in Betriebe gehen solle, sagte die Genfer Astronomie-Professorin Anne Verhamme und Mitverantwortliche des BlueMUSE-Projekts. (red, 22.3.2021)