Lann Hornschneidt hat die Endung -ens erfunden.

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Henning Lobin: Das Binnen-I gibt es nur noch in Österreich.

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Laura Neuhaus beobachtet für Duden Sprachentwicklungen.

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Gendersternchen ja oder nein? Seit der Duden beschlossen hat, das generische Maskulinum in seinen Onlineeinträgen zu schwächen, kocht die Debatte um gendergerechte Schreibweisen wieder einmal hoch. Vielleicht liegt das ja auch an einer gewissen Verwirrung angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten, sich gendergerecht auszudrücken? Das glaubt Laura Neuhaus aus der Redaktion des Duden nicht, eher gehe es vielen ums Prinzip. Was die Rechtschreibbibel aber feststellt, ist "jedenfalls ein Bedürfnis nach einer Antwort, wie gegendert werden soll. Wir beobachten eine gewisse Orientierungslosigkeit."

DER STANDARD hat bei Experten nachgefragt. Neben Neuhaus sind dies Henning Lobin vom Leibniz-Institut zur Dokumentation und Erforschung der deutschen Sprache in Mannheim und Lann Hornscheidt. Hornscheidt hat einst das Anhängsel-x erfunden, eben das Handbuch Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? publiziert und strebt per Klage die Löschung des Geschlechts im deutschen Personenstandsregister an.

An eine schnelle Lösung glaubt Neuhaus nicht: "Ich denke, wir müssen noch eine Weile durchhalten, bis sich eine Schreibung so durchgesetzt hat, dass man sagen kann, das ist die eine." Für Lobin läge der größte Vorteil einer Vereinheitlichung neben Verständlichkeit in der Nutzbarkeit: Übersetzungssoftware oder Korrekturprogramme auf immer neue Varianten zu trimmen scheint ihm kompliziert.

Käme es nicht zu einer Vereinheitlichung, fände Hornscheidt das aber nicht schlimm. "Es geht mir nicht um eine bestimmte Form, sondern darum zu zeigen, dass wir uns Sprache aneignen müssen und sie immer wieder neu benutzen können. Wenn wir differenzierter sprechen, verändern sich auch Wirklichkeiten. Diskriminierungskritische Sprachveränderungen sind eine Frage des Respekts." Es könne also ruhig sein, dass "verschiedene Varianten von Schreibungen nebeneinander existieren, auch weil sich eine Community von anderen abgrenzen will. Wir werden aber sehr schnell lernen, dass, egal welche benutzt wird, wir verstehen, worum es geht."

Ja, bitte – zu Gendersternchen und Doppelpunkt

Die heißesten Pferde im Stall der genderneutralen Schreibung sind aktuell das Sternchen (Asterisk) und neu: der Doppelpunkt. Die Popularität des * erklärt Neuhaus damit, dass Medien wie Taz und Brigitte sich recht früh dafür entschieden hätten. "Wenn die das machen, tun sie das natürlich mit der Wahrnehmung, dass so ein Phänomen schon weit genug verbreitet ist. Je häufiger man es dann liest, desto häufiger verwendet man es aber auch selbst."

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Was Mieter*in oder die pronominale Form sie:r ausdrücken, ist, dass es "nicht nur männlich und weiblich gibt, sondern viele verschiedene Möglichkeiten", erklärt Hornscheidt. Ganz so einfach ist die Sache aber trotzdem nicht. Denn innerhalb dieser Schreibungen gibt es verschiedene Varianten, an welcher Position Sternchen und Doppelpunkt gesetzt werden – zwischen die konventionelle männliche und weibliche Form wie in Arbeiter:in oder nach dem gedachten Wortstamm wie in Arbeit:erin, um grafisch gar nicht erst die Polarität von männlich und weiblich aufzurufen. Für Hornscheidt würde es überhaupt reichen, statt Radfahr*erin nur Radfahr* zu schreiben, "da der Stern an sich schon Geschlechtervielfalt symbolisiert".

Ein Vorteil des Sternchens gegenüber dem Doppelpunkt ist für Hornscheidt, dass es bisher keine Funktion als Satzzeichen erfüllt, orthografisch also noch nicht besetzt ist. Somit sei es klar als Genderform kenntlich. Andererseits spricht für die Nutzung des Doppelpunkts, dass er von Screenreadern besonders gut gelesen werden kann, nämlich einfach als kurze Pause, wohingegen das Sternchen oft noch als solches ausgesprochen wird, sagt Lobin.

Ganz praktische Probleme ortet Lobin aber für beide Varianten: Wie etwa teilt man Wörter ab, die ein Sternchen oder einen Doppelpunkt beinhalten? Und wie geht man mit einem Umlaut um? So sei das männliche "Arzt" in "Ärzt*in" ja nicht mehr wahrnehmbar, gibt er zu bedenken.

Hände weg vom Binnen-I und Gender-Gap

Vor einigen Jahren noch gehypt, werden Unterstrich ("Gender-Gap") und Binnen-I mittlerweile in der Community und in Deutschland kaum noch verwendet. Laut Lobins Beobachtung ist das nur in Österreich anders, wo wegen Empfehlungen staatlicher Stellen in der Vergangenheit das Binnen-I noch präsenter sei. Untersuchungen hätten aber gezeigt, dass ein Gender-Gap wie in Student_in oft als Lücke und Mangel gedeutet und folglich negativ bewertet werde. Das Binnen-I dagegen lege einen Fokus auf männliche und weibliche Form und rufe so Zweigeschlechtlichkeit auf, sagt Hornscheidt.

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Die ist zudem im historischen Ursprung des Binnen-I begründet, das in den 1980ern von der feministischen Sprachwissenschafterin Luise Pusch erfunden wurde, um Frauen in der Sprache sichtbarer zu machen. Dass es nun aus der Mode kommt, findet Pusch gar nicht gut, denn dem Sternchen, das viele diverse Geschlechtsidentitäten umfasst, sieht man den einstigen feministischen Kampf nicht mehr an. Dabei sind Frauen immer noch die größte diskriminierte Gruppe. Aber Puschs Versuch, das Zeichen weiterzuentwickeln und ein Binnen-I mit Sternchen darüber zu etablieren, schlug fehl. Denn die Schreibung am herkömmlichen Computer ist schlicht nicht möglich.

Überholt sind in aktuellen Diskursen zur gendergerechten Schreibung übrigens auch vor einigen Jahren weitverbreitete Varianten wie Arbeiter/-in oder Künstler(in) und heute noch oft gebräuchliche Doppelnennungen wie "Kollegen und Kolleginnen". Analog zum Binnen-I und dem Gender-Gap fokussieren nämlich auch sie auf ein prinzipiell als binär-geschlechtlich gedachtes System, indem sie die weibliche Form an eine männliche dranhängen. Das ist für Insider schlicht keine Option mehr: So etwas benutze nur noch jemand bewusst als Statement, der ein zweiwertiges Modell von männlich und weiblich demonstrieren wolle, ohne weitere Diversität zuzulassen.

Genderfrei geht's auch

Neben den genannten genderneutralen Sprachformen gibt es auch eine Reihe von genderfreien Möglichkeiten, jemanden anzusprechen oder zu bezeichnen, beginnend mit der Begrüßungsformel "Guten Tag XY" statt "Liebe*r XY" für Personen, von denen man nicht weiß, wie sie sich hinsichtlich Gender identifizieren.

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Bereits etabliert haben sich für den weiteren Kontakt Partizipformen wie "Mitarbeitende", das Wort "Person" oder statt Teilnehmerliste die "Teilnahmeliste". Statt "jemand, der" kann man "alle, die" sagen, manche schreiben statt "man" auch "mensch". Das Problem geschlechtsfreier Pronomina analog zu er/sie ist aber nicht gelöst. Behelfen kann man sich etwa mit der Nennung des Namens. Im Schwedischen wurde dafür das Pronomen "hen" neu erfunden.

Noch radikaler wäre aber die von Hornscheidt erst vor kurzem erfundene Endung -ens, abgeleitet vom Mittelteil von Mensch. Dabei geht es nicht darum, möglichst viele verschiedene Genderidentitäten zu benennen, sondern in Situationen, in denen Geschlecht keine Rolle spielt, den "Menschen als Menschen" anzusprechen. In Gesetzestexten etwa könnte "Bürgens" den Bürger und die Bürgerin ersetzen. Dass das mehr noch als Sternchen und Co mit Gewohntem bricht, findet Hornscheidt nötig. "Herkömmliche Sprache zementiert ein Geschlechtersystem. Wenn wir aus dem aussteigen wollen, bedarf es auch sprachlich größerer Änderungen."

Ist das realistisch? "Vorschläge wie -ens kommen aus einem gewissen akademischen Kreis", sagt Duden-Expertin Neuhaus, "andererseits hat das Deutsche sich so radikal gewandelt, denkt man ans Althochdeutsche oder Goethe, dass ich ganz neue Entwicklungen nicht ausschließe." Die seit 2018 in Deutschland und Österreich bestehende Option auf das dritte Geschlecht im Geburtenregister schaffe zudem eine "außersprachliche Realität, über die wir irgendwann im vollen Umfang werden reden können müssen". (Michael Wurmitzer, 19.3.2021)