Wien – Eine Aussendung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), in der die Impfstoffmodalitäten gegen das Coronavirus in der EU thematisiert werden, gibt im Streit, den Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Brüssel vom Zaun gebrochen hat, neue Rätsel auf. Denn in Anschobers Zeilen klingt der von Kurz erst jetzt beanstandete Missstand an, der Ländern beim Ausschöpfen verfügbarer Impfdosen raschere Lieferungen beschert.

Konkret teilte Anschober per Originaltextservice am 20. Jänner mit, dass Österreich "seinen vollen Anteil aus dem zweiten Vorverkaufvertrag" der EU-Kommission über 200 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer in Anspruch nehmen werde, denn: "Diese Gesamtmenge dient dabei als Beschleunigungsfaktor, da ein großer Teil dieser Menge nur dann bereits im zweiten und dritten Quartal 2021 geliefert wird, wenn die maximal mögliche Gesamtmenge in Anspruch genommen wird."
Damit konfrontiert, turnte sich Kanzler Kurz in der "Zeit im Bild 2" am Mittwochabend über die Fragen von Moderator Martin Thür, der Anschobers Aussendung ausgegraben hat, hinweg, dass ihm Anschober glaubhaft versichert habe, dass auch er über die Konditionen zusätzlicher Impfdosen nicht informiert war.
Wie berichtet, wurde Impfkoordinator Clemens Martin Auer von Kurz und Anschober zu Wochenbeginn von seiner Funktion abgezogen, weil der Spitzenbeamte über einen Reservetopf der EU rund 100.000 zusätzliche Vakzine von Biontech/Pfizer (allerdings bis Juni) hätte abrufen können, davon aber sang- und klanglos nicht Gebrauch gemacht habe.
Beschleunigungsfaktor bleibt ungeklärt
Auf STANDARD-Anfrage, ob Anschober über den nun als Lieferungsbeschleuniger kritisierten EU-Bestellmechanismus vielleicht doch schon eher informiert war, heißt es dazu – wenig erhellend und auf das eigentliche Auskunftsbegehren nicht eingehend – schriftlich aus seinem Büro: "In Bezug auf die Aussendung muss präzisiert werden: Wenn die Gesamtmenge bestellt wird, kommen im 2. und 3. Quartal entsprechend mehr Impfdosen. Wenn wir weniger bestellt hätten, entsprechend weniger. Bei den Bestellungen handelte es sich um das vollständige Abrufen des Kontingents, das Österreich auf Basis des Bevölkerungsschlüssels zustand."
Unter Verweis auf Anschobers Ministerratsvortrag am 19. Jänner kritisierte die Opposition bereits, dass er damals auch die Regierung über die Option, weitere Impfdosen abzurufen, informiert habe, "für die mögliche Erweiterung des österreichischen Covid-19 Impfstoffportfolios" aber Geld benötigt werde. Dazu kämen Ministerratsvorträge vom 29. Juli und 15. September 2020, die zeigen, dass das Finanzministerium von Gernot Blümel (ÖVP) für die Impfkampagne einen Kosten-Deckel von 200-Millionen vorsahen – für die SPÖ und die Neos sei Auer auch damit allein gelassen worden.
Keine Limits für Blümel
Erst am 9. Februar sei der Rahmen für 30,5 Millionen Dosen auf 388,3 Millionen Euro festgelegt worden. Blümel wies Grenzen zurück, das sei die Planung vom Vorjahr. Wegen dieser Ungereimtheiten wollten SPÖ, FPÖ und Neos am Donnerstag sofort auch Kanzler Kurz zum "Impfstoffdesaster" in den nicht medienöffentlichen Rechnungshof-Unterausschuss zu den Corona-Beschaffungen laden, in dem auch die Malversationen rund um die Maskenproduktion bei der Hygiene Austria beleuchtet werden sollen.
Doch das Begehren scheiterte an der türkis-grünen Mehrheit. Nicht nur die ÖVP, sondern auch Grünen-Mandatar David Stögmüller verspricht aber auf Nachfrage: "Kurz kommt" – es ginge darum, dass zunächst die gesamte Ladungsliste miteinander abgestimmt werden müsse.
Dafür erschienen noch am selben Tag Blümel und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) freiwillig – Ersterer versicherte, beim Retten von Menschenleben gebe es "kein Limit". Rot, Blau und Pink genügt das nicht – ihr Tenor: Erst mache Kurz die Impfstoffbeschaffung zur Chefsache, dann wolle er von nicht abgerufenen Impfstoffen nichts gewusst haben und schiebe die Schuld auf Beamte. (Nina Weißensteiner, 18.3.2021)