Lana Del Rey kann ihr neuestes Werk noch nicht gehört haben, sonst wäre sie auf diesem Bild nicht wach.

Foto: Universal Music

Lana Del Rey, die vor zehn Jahren mit ihrem damals als "Hollywood sadcore" bezeichneten Sound blitzartig den Status einer Ausnahmeerscheinung im Popgeschäft erreichte, hat seither als Musikerin fraglos viel geleistet. Sie hätte sich also nicht der Physik verschreiben müssen, genauer: der gravitativen Zeitdilatation.

Vielleicht dauert ihr neues Album Chemtrails Over the Country Club im Weltraum tatsächlich nur die 46 angegebenen Minuten, aber hier auf Erden, wo die Gravitation stärker ist und die Zeit langsamer vergeht, kommt es einem vor wie eine halbe Ewigkeit. Das Einzige, was an diesem Album zu schnell ging, war die Auslieferung der CDs: Offenbar wurden einige Tonträger zu früh versandt, woraufhin das Album geleakt, also illegal ins Internet gestellt, wurde. Auch zach.

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Bereits die erste Nummer White Dress will und will kein Ende nehmen. Die 35-jährige gebürtige New Yorkerin erinnert sich darin an ihr 19-jähriges Kellnerinnen-Ich, das gerne weiße, enge Kleider trug und die White Stripes hörte, zurück – und das fünf Minuten lang ohne Pointe. Gesungen wird auch kaum, die ganze Nummer ist ein einziger Aerosol-Ausstoß – textlich und musikalisch bis zum Nihilismus reduziert. Genauso unmunter geht es auch die nächsten zehn Nummern weiter.

Allesamt ganz langsame, melancholische Balladen, mehr als zurückhaltend von Jack Antonoff, der letzthin auch für Taylor Swifts verträumte Quarantäne-Alben (Folklore, Evermore) ein paar Instrumente streichelte, produziert. Antonoff hatte auch bereits am hochgelobten Vorgänger-Album Del Reys, Norman Fucking Rockwell!, gewerkt, das 2019 erschienen war. Das fiel zwar auch durchwegs ruhig aus, war aber im Gegensatz zu Chemtrails Over the Country Club nicht langweilig.

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In den Texten bleibt Del Rey bei ihren alten Themen: Herzen brechende Männer, Einsamkeit und die Nostalgie nach deinem fiktiven vergangenen Amerika. Auch hier hatte sie auf Norman Fucking Rockwell! bereits reflektiertere erzählerische Zugänge gewählt, wirkte insgesamt als Musikerin reifer. 2020 veröffentlichte Del Rey dann das im Zeichen der Sinnsuche stehende Buch Violet Bent Backwards over the Grass mit Gedichten, Kurzgeschichten und Fotos, das auch als Spoken-Word-Album mit Musik von Antonoff veröffentlicht wurde – genau das richtige Format für pandemiebedingt entschleunigte Zeiten.

Lana ist kein Bob

Darin erwähnt sie auch Bob Dylan – nicht nur, weil die 60er als dessen Hochzeit gelten und damit genau jenes Jahrzehnt sind, nach dem sich Del Rey so sehr sehnt, sondern auch weil sie in ihm als Songschreiber und Autor sicherlich ein Vorbild sieht. Über Dylan als Poet lässt sich herrlich streiten, bei Del Rey trennt sich die Spreu vom Weizen aber auf einen Blick. Wiewohl ihr immer wieder tolle, poetische Einzeiler gelingen, überwiegen die textlichen Banalitäten auf Chemtrails Over The Country Club bei weitem. Wir haben das nicht nur alles schon tausendfach gehört, seit es sehnsuchtsvoll singende Frauen gibt, wir haben es auch von Lana Del Rey schon genauso gehört.

Soll nicht heißen, dass diese elf neuen Songs nicht alle schön klingen würden. Breaking Up Slowly, das Del Rey mit der Countrysängerin Nikki Lane im Duett singt, ist ein kleiner Höhepunkt und unterstreicht Del Reys Hinwendung zu Country und Folk, die sich ja bereits schon lange abgezeichnet hatte. Auch das Joni-Mitchell-Cover For Free, das sie zusammen mit Zella Day und der famosen Weyes Blood interpretiert, gelingt ihr gut. Doch produziert reine Schönheit selten spannende Alben, als Schlafmittel kann man diese Chemtrails aber schon verwenden. (Amira Ben Saoud, 19.3.2021)