Nicht erst seit der Corona-Krise ist die Natur Sehnsuchtsort vieler Erholungssuchenden. Schon in den vergangenen Jahren wurde insbesondere das Ökosystem Wald durch immer häufigere Mehrfachnutzung stark belastet. Es sind nicht mehr nur die Grundeigentümer und Forstwirte, die den Wald nutzen und dadurch ihr Einkommen erwirtschaften – auch immer mehr Spaziergänger und Freizeitsportler erfreuen sich an der sogenannten "Erholungsfunktion" des Waldes. Mit der steigenden Zahl unterschiedlicher Nutzungsinteressen steigt aber auch das Konfliktpotenzial zwischen den einzelnen Parteien. Die daraus entstehenden Konflikte enden nicht selten vor Gericht und erlangen damit auch mediale Präsenz.

Bei diesen Konflikten stehen sich meist Menschen gegenüber, die die Natur und den Wald nach ihren Vorstellungen "nutzen" und dabei möglichst ungestört bleiben wollen. Was heutzutage jedoch immer häufiger in Vergessenheit gerät – der Wald dient vor allem unzähligen Wildtieren als Lebensraum. Selbst wenn sich das Wild meist im Verborgenen hält, darf beim Besuch der Natur folgendes Motto nicht gelten: "Aus den Augen aus dem Sinn". Die zunehmende Inanspruchnahme der Natur durch uns Menschen ist nämlich immer auch mit einem Lebensraumverlust für das Wild verbunden, und die dadurch hervorgerufene Beunruhigung bringt nicht selten negative Folgen mit sich.

Ruhe für die Wildtiere und Erholung für den Menschen.
Foto: APA/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

In Anbetracht der immer stärker zunehmenden anthropogenen Beeinflussung des Ökosystems Wald und der darin lebenden Wildtiere drängt sich daher die Frage auf: Hat Wild ein Recht auf Ruhe?

Das freie Betreten des Waldes zu Erholungszwecken

Grundsätzlich steht es jedem Menschen frei, den Wald zu Erholungszwecken zu betreten. Diese Bestimmung des Paragrafen 33 Forstgesetz ermöglicht es, die Erholungsfunktion des Waldes zu nutzen. Spazierengehen, Laufen, Wandern, Skitourengehen oder auch das beliebte Schwammerlsuchen sind von diesem Erholungszweck mit umfasst. Das Forstgesetz kennt zwar bestimmte Beschränkungen des freien Betretungsrechts, beispielsweise dürfen Wiederbewaldungsflächen erst betreten werden, wenn der Bewuchs eine Höhe von drei Metern erreicht hat. Eine Einschränkung zugunsten gewisser Ruhegebiete für Wildtiere ist jedoch nicht vorgesehen.

Die uneingeschränkte Nutzung des Waldes führt jedoch nicht nur in den Wintermonaten, sondern gerade im späten Frühling und in den frühen Sommermonaten zu erheblichen Problemen für das Wild. Gerade erst haben die Tiere die "Notzeit" überstanden, die vor allem bei schneereichen Wintern zu Nahrungsknappheit führt. Sobald die Tage länger werden und die Temperaturen steigen, ist es an der Zeit, den Nachwuchs auf die Welt zu bringen. In dieser herausfordernden Zeit ist Ruhe essenziell für die erfolgreiche Fortpflanzung und den Erhalt des Bestands.

Die Tiere reagieren dabei sehr empfindlich auf jegliche Form der Beunruhigung. Kommt es hier zu Störungen, so ist schlimmstenfalls der Nachwuchs eines ganzen Jahres gefährdet. Solche Ausfälle haben speziell bei reproduktionsschwachen Wildtieren wie den Raufußhühnern verheerende Folgen für den ohnehin schon geringen Bestand. Aber auch bei größeren Wildtieren wie den Schalenwildarten wirkt sich eine Beunruhigung negativ auf den Fortpflanzungserfolg aus.

Wildschutzgebiete und Ruhezonen

Es bestehen aber sehr wohl, abseits vom Forstgesetz, an anderer Stelle die rechtlichen Möglichkeiten, das freie Betreten des Waldes zugunsten der Wildtiere einzuschränken. Neben den umfangreichen Naturschutzgebieten, beispielsweise Natura-2000-Gebieten, sind es vor allem die Landesjagdgesetze, die eine Einrichtung von Wildschutzgebieten oder Wildruhezonen ermöglichen. In solchen Gebieten soll das Wild möglichst vor jeder Beunruhigung (Freizeitnutzung, Tourismus etc.) geschützt werden.

Doch selbst durch die Einrichtung einer solchen Zone kann der Wald nicht gänzlich "gesperrt" werden. Dies verbietet nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs das sogenannte "Berücksichtigungsprinzip". Weil das Forstgesetz (ein Bundesgesetz) das freie Betreten des Waldes erlaubt, darf ein Jagdgesetz (Landesgesetz) nicht zum gänzlichen Sperren eines Waldgebiets ermächtigen. Damit würde nämlich die Effektivität der Regelung des Bundesgesetzes untergraben werden, ein Aushebeln des freien Betretungsrechts wäre die Folge.

Sehr wohl möglich ist aber eine Einschränkung des freien Betretens. In solchen Gebieten, die das Wild vor Beunruhigung schützen sollen, herrscht daher regelmäßig ein Wegegebot. Dementsprechend normiert beispielsweise Paragraf 51 Steiermärkisches Jagdgesetz, dass Wildschutzgebiete außerhalb der zur allgemeinen Benützung dienenden Straßen und der örtlich üblichen Wanderwege, Skiabfahrten und Langlaufloipen nicht betreten oder befahren werden dürfen. Damit die Waldbesucher erkennen, wo entsprechende Wegegebote herrschen, sind diese Gebiete außerdem entsprechend zu beschildern.

Freiwilligkeit vor gesetzlichem Verbot

Damit es jedoch nicht dazu kommt, dass man den Wald vor lauter Bäumen (oder hier: Schildern) nicht mehr sieht, sind Hausverstand und Rücksichtnahme gefragt. Dementsprechend setzten auch Projekte wie "Respektiere deine Grenzen" auf freiwillige Rücksichtnahme der Naturnutzer. Dabei werden Gebiete, die dem Wild als Ruhezonen dienen, ermittelt und als solche in einer online einsehbaren Karte und auch vor Ort ausgewiesen. Dies ermöglicht eine Berücksichtigung dieser Gebiete bei der Routenplanung (Wandern, Skitouren etc.). Dadurch ist weiterhin eine Nutzung der Natur bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse der Wildtiere möglich.

Wenn wir Menschen also gewillt sind, unser Naturnutzungsverhalten zeitlich und örtlich anzupassen, erhalten dadurch nicht nur wir, sondern auch die Wildtiere die angestrebte Ruhe und Erholung. (Moritz Peintinger, 23.3.2021)