Der Protest gegen die Corona-Maßnahmen ist vielfältig. Er kann laut sein, wenn er auf der Straße ausgetragen wird, er kann im Parlament passieren, wenn die Opposition schreit. Protest und Skepsis gegenüber dem Virus breiten sich auch im Internet aus und in unzähligen Telegram-Gruppen, wo eine offenbar immer größer werdende Menge sich gegenseitig aufstachelt – gegen die Regierung und für ein Leben wie früher.

Je größer ein Punkt ist, desto mehr Flugblätter wurden in einem Bezirk gefunden. Nicht dargestellt sind Flyer aus Deutschland und jene, bei denen kein Fundort angegeben war. Wurde eine Region genannt, wurde eine beliebige Postleitzahl in der Region ausgewählt. Zu bedenken ist: Die Punkte zeigen nur, wo STANDARD-Konsumentinnen und -Konsumenten Flugblätter gefunden haben, nicht eine tatsächliche Verteilung.

Visualisierung: Michael Matzenberger

Unmut und Meinungsmache können aber auch deutlich stiller sein. Sie können in Form von Zetteln, Broschüren und Flyern kommen, die am Boden flattern, die man hin und wieder an Wänden oder Bäumen angeheftet sieht oder die man im Briefkasten findet. Den STANDARD erreichten in den letzten Monaten häufig solche Zettel und Briefe. Der Inhalt hat manche seiner Empfänger oder Empfängerinnen verunsichert, und weil durch das bloße Lesen eines Blatts Papier kein Diskurs entstehen kann, ließ er viele auch irgendwie allein mit dieser Information.

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Also startete DER STANDARD einen Aufruf: die Bitte, Flugblätter, die einem irgendwie suspekt vorkommen, an die Redaktion zu senden. Der Rücklauf war enorm. Das gab erstmals die Möglichkeit, hinter das Phänomen Corona-Flyer zu schauen, die Organisation zu analysieren und zu fragen, wie viel Geld, Arbeitskraft und Engagement hinter den vielen Blättern Papier steckt. Und auch die Information, die da so ungefiltert im ganzen Land verteilt wird, auf ihren Faktengehalt zu überprüfen.

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Die Menge

Über 1.000 Dateien waren es, die dem STANDARD auf seinen Aufruf hin geschickt wurden, sie kamen von etwa 300 Personen und aus ganz Österreich, einige auch aus Deutschland. Mehr als 100 unterschiedliche Flugblätter erreichten uns.

Manche scheinen Einzelstücke zu sein, einige waren sogar mit handgeschriebenen Notizen versehen. Ein Mann aus dem Westen Österreichs berichtet, dass er, während er wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne gewesen sei, gleich einen ganzen Packen an Flyern bekommen habe, zusammengeklammert mit einem Zettel, darauf die Worte: "Gruß aus der Nachbarschaft". Freunde aus ganz anderen Gegenden hätten ähnliche Post erhalten, sagt er, und: Er könne eigentlich ausschließen, dass der Flyer tatsächlich aus der Nachbarschaft gekommen sei.

Andere wiederum sind seriell gefertigt. Besonders hervor sticht ein gelbes Exemplar, A4, Hochglanzpapier. Oben rechts die Zeichnung einer Frau, auf deren Mund-Nasen-Schutz "Corona = Fake!" steht. Über 60-mal erreichten uns derartige Zettel, sie wurden in der Wiener Innenstadt gefunden, genauso wie im steirischen Allerheiligen bei Wildon.

Auffällig sind auch jene hochformatigen Papierflyer, bei denen sich rote und blaue Schrift abwechseln, die voll Großbuchstaben, Fragezeichen und Rufzeichen sind. Es gibt sie mit unterschiedlichstem Inhalt, mal geht es um die Impfpflicht, mal um PCR-Tests, ein andermal ist eine Haftungserklärung dabei, die man einen Arzt oder eine Ärztin unterschreiben lassen soll, bevor man sich impfen lässt. Die tauchten vor allem im Raum Oberösterreich auf, doch auch aus Klagenfurt, Graz und St. Pölten kamen Fotos davon.

Der Inhalt

Die Texte auf den Flugblättern lesen sich höchst unterschiedlich, genauso heterogen ist die Optik. Während manche offenkundig mit einfachsten Word-Funktionen erstellt wurden, haben andere ein professionelles Layout samt Logo. In manchen Fällen muten die Texte wissenschaftlich an, etwa wenn es heißt: "Das Nahinfrarot-Biolumineszenz-Enzym Luziferase ist eine Chemikalie, die die Quantenpunkt-Impfung über eine spezielle App für mobile Geräte lesbar macht." Nur dass auf der umliegenden Seite die heilige Mutter Maria zitiert wird, ihre Botschaft lautet: "Kleine Kinder, hütet euch vor den Impfstoffen, denn Millionen werden mit dem Mikrochip, dem Zeichen des Tieres kommen, der euch bei der Injektion eingeführt wird."

Andere strotzen nur so vor Jus-Fachjargon, da werden Paragrafen und Gutachten zitiert, das Beamtendienstrecht zerpflückt, und da wird zum Volksbegehren aufgerufen. Hochseriös wirkt auch das Schreiben eines nach eigenen Angaben ehemaligen Mitarbeiters des Deutschen Bundestags. Sebastian Friebels Broschüre landete etwa frankiert und persönlich adressiert im Postfach einer Gemeinderätin in Bayern. "Aufgrund der enormen Tragweite der jüngsten Ereignisse sowie der zu erwartenden weiteren Entwicklung" bittet er darum, "sich die Zeit für meine Ausarbeitung zu nehmen".

Die Pressestelle des Deutschen Bundestags antwortete dem STANDARD auf die Frage, ob Friebel denn tatsächlich ehemaliger Berater des Bundetags sei: "Ein Beschäftigungsverhältnis von Herrn Friebel mit dem Deutschen Bundestag oder einem Mitglied des Bundestages ist nicht bekannt. Ein Bundestagsausweis an Herrn Friebel ist nicht ausgegeben." Konfrontiert damit schreibt Friebel dem STANDARD: "Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie diese Information vom Deutschen Bundestag haben."

Manche der Flugblätter, die beim STANDARD landeten, beinhalten aber auch praktische Tipps, bei weitem nicht alle sind vollgedruckt mit unwahren Fakten oder Verschwörungstheorien. So findet man etwa den Hinweis, dass es Ausnahmen von der Ausgangssperre gibt oder dass ein Corona-Test nicht zwangsweise durchgeführt werden darf. Auf anderen Flyern mit fröhlicher Optik aus Blumen und Herzen wird vor der missbräuchlichen DNA-Speicherung beim PCR-Test gewarnt. Die zugehörige Telegram-Gruppe "Eltern stehen auf" hat in Österreich über 2.000 Mitglieder, darin werden fleißig Inhalte von Martin Rutter geteilt, jenem Ex-Landtagsabgeordneten, der erst kürzlich wegen Verhetzung nicht rechtskräftig verurteilt wurde. In wieder anderen Flugblättern wird – das ist auch von einschlägigen Demonstrationen bekannt – Sophie Scholl zitiert und dazu aufgerufen, einen Sanitäter zu rufen, wenn man auf den Virologen Christian Drosten trifft, oder Bundeskanzler Sebastian Kurz als "Volksverdummer" beschimpft.

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Die Fakten

Tatsächlich lassen sich manche Mythen, die darauf zu finden sind, schon durch eine einfache Google-Recherche widerlegen. Zum Beispiel, was PCR-Tests angeht. Da heißt es etwa auf jenem weitverbreiteten gelben Hochglanzflyer, diese würden weder beweisen, dass jemand infiziert, noch, dass jemand ansteckend sei. Tatsächlich macht ein PCR-Test genau das: Er weist eine aktuelle Corona-Infektion nach. Ein positives Testergebnis bedeutet, dass man sich mit Sars-CoV-2 angesteckt hat. Weiter heißt es auf dem Flyer, es gebe keinen Nachweis für Corona-Tote. Auch den gibt es: Weil so viele Menschen an oder mit dem Coronavirus verstorben sind, sank sogar die Lebenserwartung der Österreicherinnen und Österreicher um ein halbes Jahr.

Ebenfalls häufig thematisiert wird, dass es für Menschen, insbesondere für Kinder, schädlich sei, eine Maske zu tragen. Wiederholt wurde von renommierten Ärztinnen und Ärzten klargestellt, dass das nicht stimmt. So heißt es etwa vom deutschen Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes stelle für Kinder keine gesundheitliche Gefahr dar. Dass die Masken – anders als in Flyern behauptet – sehr wohl vor dem Coronavirus schützen, ist ebenfalls belegt. So filtert eine FFP2-Maske mehr als 94 Prozent der Schadstoffe und Aerosole aus der Luft.

Spannender sind da schon Überlegungen zur Impfpflicht, wie sie auf zahlreichen Flugblättern heraufbeschworen wird. Tatsächlich schloss die Regierung eine solche lange Zeit aus. Nicht nur denkbar, sondern verfassungsrechtlich auch gefordert, wie Juristen argumentieren, wäre aber, dass an eine Impfung bestimmte Freiheiten geknüpft werden, dass also eine indirekte Impfpflicht eingeführt wird. Genau das kündigte die Regierung nun für spätestens Juni an, diese Woche wurde der rechtliche Grundstein dafür gelegt.

Die Hintergründe

Doch wer steht hinter diesen abertausenden Zetteln, die quer durchs Land verteilt werden? Wie die gesamte Szene der Corona-Skeptiker ist auch die der Flyerverteiler eine heterogene, sie deckt weite Teile des politischen Spektrums ab, beinhaltet die organisierte Rechte genauso wie Einzelgänger.

Besonders aktiv ist etwa Jürgen Lessner. Er nennt sich selbst "der Zettelmann". Von ihm stammen jene hochformatigen, blau-roten Zettel, die dem STANDARD zuhauf zugesandt wurden und auf denen häufig die Corona-Querfront angeführt ist, eine Gruppierung rund um den mehrfach verurteilten Neonazi Gottfried Küssel.

Im Gespräch mit dem STANDARD sagt Lessner, manchmal gehe er selbst von Haus zu Haus. Die meisten Flugblätter aber würden Flyerhelfer verteilen, Dutzende davon wurden bis vor kurzem auf seiner Website genannt, in mehreren Bundesländern sind sie unterwegs. Gelistet waren die Vornamen von Einzelpersonen, aber auch Organisationen – darunter die Querfront. Seinen Helfern schickt Lessner viele Flyer per Post. Warum er das macht? "Weil die gekauften Medien nur Lügen verbreiten, damit man alternative Informationen hat", schreit er ins Telefon, das Gespräch bricht er nach wenigen Minuten ab.

Die Verteilung der Flyer der Neuen Wahrheit. Erneut gilt: Je größer der Punkt, desto mehr Flyer waren im Bezirk.

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Die Verteilung der Flyer der Initiative Heimat und Umwelt. Davon wurden dem STANDARD am meisten zugesandt.

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Tags darauf will sich Lessner per Mail doch erklären. "Ich bin Nichtraucher, Antialkoholiker, Vegetarier und nehme keine Drogen. Ich liebe mein Land und ich liebe die Natur", schreibt er. Sein Leben lang habe er die SPÖ gewählt, letztens sogar die Grünen. Mit Neonazis habe er schon gar nichts zu tun, Küssel habe er nicht gekannt, als er für dessen Organisation warb. Zu Beginn der Pandemie habe Lessner die Maßnahmen der Regierung noch gutgeheißen, schreibt er, "der C-Virus ist definitiv existent". Doch seit dem Frühsommer seien die Maßnahmen einfach zu hart.

Freiwillige Helfer sind auch bei Inge Rauscher aktiv, von ihr stammt etwa das gelbe Hochglanzexemplar mit Maskengesicht drauf. Sie gibt außerdem seit Jahren die Zeitschrift "Wegwarte" heraus, auch die landet mitunter ungefragt in Postkästen.

Rauscher wird vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als "außerparlamentarische Rechte" bezeichnet. "Die Verteilung erfolgt teilweise durch die Post, teilweise persönlich durch Aktivisten", gibt sie an. Die Motivation dahinter: Für die massive Zerstörung durch die Corona-Maßnahmen gebe es "keine durch Fakten und Beweise untermauerte Rechtfertigung; sie dienen nicht der Gesundheit, sondern der Durchsetzung einer weltweiten Transhumanismus-Agenda."

Die Finanzierung

Flyer kosten Geld. Zwar, so zeigen Recherchen des STANDARD, wird in der Szene der Corona-Skeptiker auch unter anderem mit Merchandisingprodukten und Busfahrten Geld verdient, dafür wird aber zumindest auf den vorliegenden Exemplaren nicht aktiv geworben. Stattdessen sind in den Impressen der Flugblätter häufig Vereine gelistet, die wiederum um Spenden bitten.

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Wie viel Geld sie einnehmen, will niemand der kontaktierten Akteure angeben. Wie viel sie brauchen, lässt sich aber erahnen: Über 600.000 Flyer hat Lessner nach eigenen Angaben unter die Leute gebracht. Am Anfang, so erzählt er, habe er sie selbst ausgedruckt und geschnitten, später habe er in einer Druckerei drucken lassen.

465.000 Stück sollen in Druckereien gefertigt worden sein. Davon passen drei auf ein A4-Blatt. Selbst günstige Internetangebote kommen bei dieser Menge auf mehrere Tausend Euro. Das meiste von dem, was er zum Flyern brauche, zahle Lessner aus eigener Tasche, gibt er an, über einen eigens gegründeten Verein sammle er zudem Spenden.

Auch in Rauschers "Wegwarte" heißt es, diese finanziere sich über "freiwillige Kostenbeiträge österreichischer Bürger". Im Impressum der Website von Heimat und Umwelt ist zwar kein Verein angegeben, aber eine IBAN, an die man Spenden überweisen kann.

Die Gefahr

Organisierte Falschinformation, breit angelegte Verunsicherung und das Verteilen von zweifelhaften Fakten in den Briefkästen fremder Leute sind nicht illegal. Aber es macht etwas mit den Menschen – mit Sendern und Empfängern. Gerade in einer digitalen Welt wird der Briefkasten zu etwas Persönlichem – während man den Spam-Ordner im Mailpostfach nicht mehr im Griff hat, sind Briefe etwas Besonderes. Auch die STANDARD-Leserinnen und -Leser berichteten von Unwohlsein und vom Erschrockensein, gerade persönlich adressierte und handgeschriebene Schreiben verwirren und verunsichern.

Ingrid Brodnig veröffentlichte kürzlich das Buch "Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern". Flyer oder Briefe, so sagt sie, seien eine "noch aufdringlichere Form von Meinungsmache" als Inhalte in sozialen Medien. Immerhin sind diese schnell erstellt, wohingegen ein Brief Aufwand bedeutet – ihn sogar persönlich abzuliefern noch viel mehr. Das heißt noch lange nicht, dass man, sobald man einen Flyer in der Hand hält, alles, was man bisher geglaubt hat, über Bord wirft. "Doch gerade bei Verunsicherten kann das schon eine zusätzliche Angriffsfläche für Desinformation darstellen", sagt Brodnig.

Und auf der Senderseite? Da gibt es einerseits rechte Netzwerke, die mögliche Skeptiker instrumentalisieren, das stellte auch schon der Verfassungsschutz fest. Dass ihre Links auf den verschiedenen Flugblättern landen, zeigt, wie gut ihnen das gelingt.

Und es gibt Menschen, die vehemente Skeptiker oder Verschwörungsgläubige sind und die im Alleingang solche Schreiben aufsetzen. Die handeln in ihren Augen in guter Absicht: "Sie sind wütend und wollen ihre Nachbarn warnen", sagt Brodnig. Doch bei jenen, die in Verschwörungstheorien abgedriftet seien, sei es eher unwahrscheinlich, dass man sie mit ein, zwei guten Argumenten und einfühlsamen Worten einfach wieder zurückholen könne. (Gabriele Scherndl, 20.3.2021)