Eine Mischung aus Tanz und Nummernrevue: der Circa Contemporary Circus im Streaming des FSH St. Pölten.

Foto: FSH St. Pölten

Irgendetwas plus Zusatz "2.0" ist, so haben wir’s gelernt, mit Computer, Technologie und Internet verbunden. Also wäre zu erwarten, dass unter einem Titel wie Humans2.0 für eine Zirkusshow auf jeden Fall technisch aufgerüstete Cyberkörper übermenschliche Kunststücke wie Handstände auf einem Finger aufführen. So kann man sich täuschen.

Der australische Circa Contemporary Circus unter der Leitung von Yaron Lifschitz kommt in seiner Show, die diesen Titel trägt, mit Darstellern aus, deren Leiber offenbar komplett metall- und plastikfrei sind.

"2.0" ist eher die pandemiegerechte Präsentation: Via Onlinestream serviert das Festspielhaus St. Pölten Humans 2.0 als Mischung aus Choreografie und Nummernprogramm, als Kunst und Artistik. Auffällig dabei ist, wie treffsicher die Show jenem Teil des zeitgenössischen Tanzes ins Gestell fährt, der sich durch seine allzu normal gewordene Absage an die körperliche Virtuosität quasi selbst amputiert hat. Und der sich aktuell in einer Nabelschauspielerei übt, die man früher dem Ballett vorgeworfen hat.

Der zeitgenössische Zirkus entstand aus dem Cirque Nouveau der 1970er-Jahre und pocht bereits seit einiger Zeit auf Einlass in die Arenen der nobleren Bühnenkünste. In Stockholm wird er sogar an der Kunsthochschule gelehrt.

Riskante Gratwanderung

Sieht man eine Show wie Humans 2.0, wird klar, an welchen Punkten der Zirkus den Ereignishorizont von zeitgenössischer Kunst erreicht. Zum Beispiel dort, wo er Fähigkeiten von Körpern zeigt, die nicht durch technologische Aufbesserungen industriell kolonisiert und dadurch entwertet werden.

Oder wenn, wie es bei Humans 2.0 zu sehen ist, das weibliche Performance-Potenzial in der zehnköpfigen Besetzung des Stücks männliche Kraftakte spielend überdribbelt. Apropos Kraft: Die Circa-Artistinnen demonstrieren ihrem Publikum glaubhaft, dass der Mythos des schwachen Geschlechts ausgedient hat. Darüber hinaus beherrscht Lifschitz das Finetuning der Genderdarstellung: Die Geschlechterbinarität im Stück ist voller Zwischentöne.

Wer sich wundert, warum bei all dem körperlichen und inhaltlichen Aufwand nicht die Möglichkeiten von Choreografie und Dramaturgie voll ausgeschöpft werden, muss nur akzeptieren, dass die Zirkuslogik sich nicht mit der des Tanzes decken muss. Yaron Lifschitz setzt auf eine riskante Gratwanderung zwischen etlichen Elementen aus dem Tanz, die den künstlerischen Unterbau bilden, und einer Komposition aus Einzeldarbietungen. Trotzdem ergänzen sich Virtuosität und das Poetische hervorragend.

Dass die zeitgenössische Artistik gerade Saison hat, zeigt auch das Wiener Wuk auf seiner Website. Dort ist noch am 26. März und 2. April Arne Mannotts Circus-Show online zu sehen.

Das Festspielhaus St. Pölten zeigt Humans 2.0 bis zum 25. März.

(Helmut Ploebst, 22.3.2021)