Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger: "Es gibt nicht nur den Aspekt der gesundheitlichen Auswirkungen zu betrachten."

Foto: apa / helmut fohringer

Wien – Seit 2018 lassen die Neos vom Meinungsforschungsinstitut Sora jährlich ihren "Freiheitsindex" erheben. In den beiden ersten Jahren war das Ausmaß der empfundenen Freiheit konstant: Drei Viertel der Befragten gaben an, sich frei oder eher frei zu fühlen. Dann kam 2020, mit ihm die Pandemie und die daraus folgenden Einschränkungen – und immer noch antworten zwei Drittel der Menschen: Sie fühlen sich (eher) frei.

2.188 Personen wurden für den Index im August und September 2020 befragt, im Jänner und Februar 2021 wurde bei einer kleineren Stichprobe noch einmal nachgefragt. Die Ergebnisse sind laut Sora repräsentativ für die österreichische Bevölkerung.

Junge fühlen sich stärker eingeschränkt

Wesentliche Unterschiede werden deutlich, wenn man den wirtschaftlichen Hintergrund der Befragten berücksichtigt: Jene 36 Prozent der Personen, die mit ihrem Einkommen sehr gut auskommen und sich finanziell ausreichend abgesichert fühlen, bewerten verschiedene Freiheitsfaktoren im Schnitt mit 6,6 auf einer Skala von null bis zehn. Für die 22 Prozent der Befragten, die sich schlecht abgesichert fühlen, liegt dieser Wert dagegen nur bei 4,1.

Die Studie erzielt hier auch unterschiedliche Ergebnisse nach dem Alter aufgeschlüsselt: 72 Prozent der unter 29-Jährigen empfinden ihre Freiheit als durch die Krise stark eingeschränkt, bei Menschen ab 60 beträgt die Zustimmung nur 49 Prozent.

Einschränkung der Demonstrationsfreiheit

Was die Einstellung zu möglichen Einschränkungen der Freiheit für die Sicherheit betrifft, können sich 2020 mehr Personen eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit vorstellen als in den Vorjahren: 30 Prozent befürworten das "sehr" oder "ziemlich", zuvor waren es 24 beziehungsweise 22 Prozent.

Dieser Aspekt war auch der einzige, wo Sora einen Effekt je nach Fragestellung feststellen konnte. Jene Befragten, denen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit auch als Einschränkung der Freiheit vermittelt wurde, stimmten ihr eher zu als jene, bei denen auf die Erhöhung der Sicherheit verwiesen wurde.

"Freie Hand" für die Bundesregierung

Einigermaßen beunruhigende Zahlen liefert der pinke Freiheitsindex für die Einstellung zur Demokratie: Der Aussage "Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir darauf achten, dass die demokratischen Spielregeln eingehalten werden" stimmen zehn Prozent der Befragten eher nicht oder gar nicht zu. Und ganze 22 Prozent finden, "die Bundesregierung braucht jetzt freie Hand – auf die Demokratie kann dabei keine Rücksicht genommen werden".

Noch höher sind die Werte, was die Forderung nach "Zurückhaltung" für Medien und Opposition betrifft: Rund 40 Prozent der Befragten finden, diese Kontrollinstanzen sollten sich "in Krisenzeiten mit ihrer Kritik an der Bundesregierung zurückhalten".

Vertrauen in die Maßnahmen sinkt

Einen sinkenden Trend beobachten die Sora-Forscherinnen und -Forscher beim Vertrauen in die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Hielten bei der Befragung im Spätsommer 2020 noch mehr als zwei Drittel der Befragten die Regeln für wissenschaftlich gut begründet, war es im Frühjahr 2021 nur noch etwas weniger als die Hälfte. Gleichzeitig ist die Sorge um Infektionen im Familien- und Freundeskreis gleich hoch geblieben.

Und: 44 Prozent der Befragten haben nach eigenen Angaben den Überblick über die aktuell gültigen Regeln verloren.

Neos wollen über soziale Sicherungssysteme reden

Für Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sind die Einschätzungen zur den Demokratiefragen "ganz schwierige Nachrichten, sag ich ganz ehrlich". Aber auch die unterschiedlichen Antworten je nach ökonomischem Status sollten ihrer Meinung nach zu denken geben: "Es gibt eben nicht nur den Aspekt der gesundheitlichen Auswirkungen zu betrachten."

Dass Arbeitslose und Selbstständige stärker von der Krise betroffen sind, sei zwar nicht überraschend, aber in der politischen Debatte immer noch nicht genug berücksichtigt. Mittelfristig müsse man über die "sozialen Sicherungssysteme in Österreich" sprechen, sagt Meinl-Reisinger.

Eigentum und Demokratie

Auch die schwindende Wahrnehmung der Möglichkeit zum Vermögensaufbau besorgt Meinl-Reisinger: Zwei Drittel der Befragten stimmen der Aussage zu "Egal wie sehr man sich anstrengt: Es ist kaum mehr möglich, mit eigener Leistung Eigentum zu erwerben". Das sei auch ein Effekt der Niedrigzinspolitik, glaubt die Neos-Chefin – in Verbindung mit der fehlenden "financial literacy", die Menschen den Zugang zum Kapitalmarkt versperre. "Das hat letztlich Auswirkungen auf das individuelle Freiheitsempfinden und damit auf die Demokratie in Österreich", sagt Meinl-Reisinger. (Sebastian Fellner, 22.3.2021)