Angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise und seiner sinkenden Popularität hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan das Interesse daran verloren, selbst die letzten Reste einer liberalen und demokratischen Fassade aufrechtzuerhalten. Er folgt damit dem Vorbild seines neuen Verbündeten, des russischen Präsidenten Wladimir Putin, und weicht so immer stärker von seinem früheren politischen Kurs ab.

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan kann schalten und walten, wie er will.
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Mit dem geplanten Verbot der prokurdischen Partei HDP kommt Erdoğan, der einst den Frieden mit den Kurden gesucht hat, seinem nationalistischen Koalitionspartner entgegen und entledigt sich auch gleich einer politischen Konkurrenz, die sein Streben nach absoluter Macht bremsen könnte. Mit dem Ausstieg aus der einst von ihm unterschriebenen Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen vor Gewalt befriedigt er das religiös-konservative Lager auf Kosten von Millionen Türkinnen, die massiver Diskriminierung und Brutalität ausgesetzt sind. Die Reaktion des Auslands auf diese Schritte ist ihm egal; Europa hat weder Anreize noch wirksame Sanktionen gegenüber der Türkei im Köcher.

In der politischen Sphäre kann Erdoğan schalten und walten, wie er will. Bloß über die freie türkische Marktwirtschaft hat der Langzeitherrscher wenig Kontrolle. Und hier sind seine Eingriffe weitaus weniger überlegt.

Milliardenschulden

Der türkische Wirtschaftsboom, der seine Popularität einst begründete, stand stets auf wackeligen Beinen; er war mit ausländischen Milliardenschulden und gewaltigen Leistungsbilanzdefiziten finanziert. Um das Vertrauen der Geldgeber zu erhalten, muss die Zentralbank mit einer straffen Geldpolitik die türkische Lira stabilisieren und die Inflation eindämmen. Doch Erdoğan, der von Wirtschaft nichts versteht, will das nicht akzeptieren und ruft regelmäßig nach Zinssenkungen, um so das Wachstum anzukurbeln.

Wenn ein Zentralbankchef die Zinsen stattdessen erhöht, wird er gefeuert. Naci Ağbal ist der dritte Notenbanker, der seit Mitte 2019 auf diese Weise sein Amt verloren hat. Die Folge ist jedes Mal eine neuerliche Währungskrise, die die Inflation anheizt und den türkischen Mittelstand hart trifft.

Auch diesmal wird Erdoğan keinen Ausweg aus diesem ökonomischen Dilemma finden, das durch seine Sprunghaftigkeit noch verschärft wird. Stürzt die Wirtschaft weiter ab, dann schwinden seine Chancen auf auch nur halbwegs ehrliche Wahlsiege. Die logische Konsequenz für Erdoğan sind noch mehr Repression und der Weg in die offene Diktatur. (Eric Frey, 22.3.2021)