Die türkische Lira hat kräftig an Wert eingebüßt. Für Unternehmen ist die Berg-und-Tal-Fahrt einer Währung Gift.

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Schon in der Nacht von Sonntag auf Montag deutete sich das Desaster an. Die Wirtschaftsagentur Bloomberg berichtete, dass sich vorbörslich ein Absturz der türkischen Lira um rund zehn Prozent andeutet.

Tatsächlich waren es dann teilweise bis zu 15 Prozent, die die türkische Lira gegenüber dem Dollar einbüßte. Alle Gewinne, die die Lira seit November letzten Jahres generieren konnte, waren auf einen Schlag dahin.

Der Grund für den Absturz ist derselbe wie für die zeitweilige Erholung der Währung: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion feuerte Präsident Recep Tayyip Erdoğan – als erklärter Gegner hoher Zinsen – Zentralbankchef Naci Ağbal, wie er ihn im November ernannt hatte: über Nacht und ohne Angabe von Gründen.

Finanzmärkte geschockt

Es war das dritte Mal seit Mitte 2019, dass Erdoğan den Notenbankchef entließ. Ağbal war erst seit knapp fünf Monaten im Amt.

Laut der Agentur Reuters waren die Finanzmärkte weltweit geschockt. Denn es war gerade die Politik von Ağbal, die dazu geführt hatte, dass die Lira eine lange anhaltende Talfahrt beenden konnte.

Das wichtigste Mittel von Ağbal, um die Lira wieder zu stabilisieren, war die Anhebung des Leitzinses. Nachdem er den Leitzins bereits kurz nach seiner Amtseinführung von zwölf auf 17 Prozent – bei einer Inflationsrate von 15 Prozent – erhöht hatte, setzte er den Zins Anfang März noch einmal auf 19 Prozent hoch.

Was internationale Investoren und Anleger freute und in den fünf Monaten, in denen Ağbal amtierte, rund 20 Milliarden Dollar dringend benötigtes frisches Kapital ins Land gebracht hatte, brachte einen Teil der inländischen Unternehmen in Schwierigkeiten, weil sich für sie die Kredite verteuerten. Große Unternehmen, die viele Schulden in Dollar haben, profitierten von dem neuen Kurs, kleine Unternehmen, die während der Pandemie sowieso in Schwierigkeiten waren, litten darunter, weil ihre Kredite teurer wurden.

AKP-Mann folgt

Jetzt hat sich bei Erdoğan wieder die Fraktion kleinerer Unternehmen aus dem Umfeld seiner AKP-Partei durchgesetzt. Der neue Zentralbankchef Şahap Kavcıoğlu, ein erklärter Gegner einer straffen Geldpolitik, ist ein international völlig unbekannter Mann, der aus den Reihen der staatlichen Halkbank kommt und zuletzt fünf Jahre für die AKP im Parlament gesessen hat. Er wird auf den internationalen Finanzmärkten kein Vertrauen schaffen können, zumal Erdoğan mit seiner Aktion erneut gezeigt hat, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht mehr existiert.

Über die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak hatte Kavcıoğlu Ağbal scharf angegriffen und sich zu Erdoğans islamisch-grundierter Auffassung bekannt, dass Zinsen schädlich sind und möglichst niedrig sein sollten. Prompt hat er nun den Job bekommen.

Die Konsequenzen kamen ebenso prompt: Für einen US-Dollar muss man über Nacht wieder mehr als acht Lira statt wie zuvor sieben Lira zahlen, und der Euro marschiert auf ein Verhältnis von eins zu zehn zu. Damit werden die Lebenshaltungskosten in der Türkei wieder in die Höhe schnellen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 23.3.2021)