Benjamin Netanjahu wirbt diesmal mit Plakaten auf Arabisch – um Stimmen von arabischen Israelis.

Foto: AFP / Ahmad Gharabli

Es ist Frühling in Israel, entlang der Bundesstraße 65 in Richtung Umm El-Fahm wuchern Klee und wilder Senf grüngelb um die Wette. Aus dem Wildwuchs ragen Werbetafeln: Automarken, Autoversicherer, Autoverschrotter. Seit neuestem lacht auch das riesige Konterfei des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu von einem Billboard. Sein Gesicht, per Photoshop aufgefrischt, trägt ein vergnügtes Lächeln. Daneben steht in arabischer Schrift: "Wir alle für Abu Yair".

Abu Yair heißt "Vater des Yair" – so würde man Benjamin Netanjahu, dessen älterer Sohn Yair heißt, auf Arabisch nennen. Netanjahus Likud-Partei ließ die Werbetafeln hier anbringen, ausgerechnet wenige Hundert Meter entfernt von jenem Platz, auf dem jeden Freitag Massen an wütenden israelischen Arabern demonstrieren – nicht nur, aber auch gegen Netanjahu.

Proteste gegen Gewalt

Sie werfen der Regierung vor, nichts gegen die tödliche Gewalt in arabischen Städten zu tun. Manche sind überzeugt, dass Netanjahus Rechtsregierung die Mafiagewalt nicht nur ignorierte, sondern sogar in Kauf nahm. "Israelische Rechtsparteien profitieren davon, wenn die Kriminalität in arabischen Städten steigt", sagt Mouhammad, ein Kleinunternehmer aus Umm El-Fahm, im STANDARD-Gespräch.

Am Dienstag wählt Israel ein neues Parlament. Es ist die vierte Wahl binnen zwei Jahren, aber diesmal ist vieles anders. Der größte Wandel betrifft Netanjahus Verhältnis zu den israelischen Arabern.

Im Wahlkampf vor der letzten Wahl, die vor einem Jahr stattfand, erklärte Netanjahu: Wer seinen Rivalen Benny Gantz wähle, wähle damit auch die israelischen Araber – es sollte eine Warnung sein. Diesmal erklärte Netanjahu die Araber zu seinen Freunden. Kein jüdischer Spitzenkandidat ließ sich in diesem Wahlkampf so oft in arabischen Gemeinden blicken wie der Premier.

Es ist der Angst vor dem Machtverlust, die Netanjahu antreibt: Alle Umfragen sagen seinem Rechtsblock nur eine, wenn überhaupt, hauchdünne Mehrheit voraus. Jeder Parlamentsabgeordnete, der seine Koalition unterstützt, ist willkommen. Also diesmal auch arabische.

Arabische Liste vor Absturz

Netanjahu weiß aber auch, dass jetzt der beste Zeitpunkt ist, um in Städten wie Nazareth oder Umm El-Fahm um die Gunst der Menschen zu werben. Der Frust ist groß, Lockdowns und Rekordarbeitslosigkeit haben die Waffengewalt noch verschärft. Den Strafzettel dafür bekommt nicht die Regierungspartei, sondern jene Liste, die in den arabischen Gemeinden von über 80 Prozent gewählt wird: Umfragen sagen ihr einen Absturz voraus.

Das frühere Bündnis aus vier arabischen Parteien ist seit diesem Wahlkampf um einen Partner ärmer. Mansour Abbas kehrte mit seiner Ram-Partei der Allianz den Rücken und erklärte, fortan Netanjahu zu unterstützen.

Sein Abschied aus der Liste war von öffentlichem Streit begleitet – unter anderem darüber, welche Haltung man zu Homosexuellenrechten einnehme. "Sie streiten über Schwule, über solche Kleinigkeiten, anstatt sich um das Gewaltproblem zu kümmern", ärgert sich Mouhammad. Er ist nicht der Einzige. Viele israelische Araber, schätzen Politologen, werden diesmal nicht wählen gehen. Und einige, die wählen, werden ihre Stimme jüdischen Parteien geben. Auch der Netanjahus. Eine Umfrage schätzt, dass bis zu zwei Mandate der Likud-Partei diesmal von arabischen Stimmen kommen könnten.

Stimme für die Mächtigen

Auf den ersten Blick sei das absurd, sagt Thabet Abu Rass, Co-Direktor des Thinktanks Abraham Initiatives. Immerhin war es Netanjahus Partei, die das Nationalstaatsgesetz auf den Weg brachte, mit dem der jüdische Charakter Israels festgeschrieben und die hebräische Sprache zur einzigen Amtssprache erklärt wurden. "Aber es gibt eine neue Generation, die sagt: Wir sind Bürger, wir wollen mitbestimmen." Und sie tun es auch, indem sie ihre Stimme dem geben, der das Sagen hat und an den Geldhebeln sitzt – und nicht den arabischen Parteien, die von einer Regierung ausgeschlossen waren. Dass Netanjahu im Wahlkampf ein Anti-Gewalt-Paket für die arabischen Städte versprochen hat, gibt ihnen Hoffnung.

Dass die Versprechen eingelöst werden, hält Yousef Jabareen, Abgeordneter der Vereinigten Liste, für unrealistisch. "In kurzer Zeit verwandelte sich der Rassist Netanjahu in den freundlichen ‚Abu Yair‘ – das ist eine gefährliche Manipulation", meint er. "Ich glaube, dass die arabischen Wähler das durchschauen."

Wenn sich die Umfragen bewahrheiten, dann könnte jedoch die kleine Abspalterfraktion von Mansour Abbas zum Zünglein an der Waage werden. Mit vier Sitzen in der Knesset könnte seine Unterstützung den Ausschlag geben, ob Netanjahu an der Macht bleibt. Und damit, so meint Thabet Abu Rass, stehe eines fest: "Niemals in der israelischen Geschichte waren arabische Stimmen so bedeutend wie jetzt." (Maria Sterkl aus Umm El-Fahm, 23.3.2021)