Viele muten sich zu viel zu – andere klagen über ein Motivationstief.

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Überfüllte Hörsäle, gemeinsames Lernen, Studierendenpartys: Was zum Studium für viele dazugehört, fällt Corona-bedingt seit bald einem Jahr flach. Manche Studierende hätten ihre Uni bisher zweimal von innen gesehen, erzählt die Wiener Psychologin und Psychotherapeutin Nicole Trummer, die mehrere Erstsemestrige in Behandlung hat: "Viele sind von zu Hause weggegangen, haben sich auf die Großstadt und das Leben dort gefreut. Und dann kam der Lockdown." Und mit dem Lockdown hat sich manche WG geleert, weil viele nach Hause zu den Eltern gefahren sind. Wer zurückblieb, kämpft mit Einsamkeit und Isolation.

Besonders hart ist die Zeit für jene jungen Studierenden, die in ihrer Universitätsstadt noch kein soziales Netzwerk haben. Für viele ist die "psychologische Studierendenberatung" die erste Anlaufstelle. Hier werden sie telefonisch beraten und bei Bedarf für eine längerfristige Therapie weitervermittelt.

Kathrin Wodraschke, stellvertretende Leiterin der Beratungsstelle, bemerkt seit Jänner wieder einen Anstieg an Anfragen. "Momentan haben wir das Gefühl, dass noch mehr Menschen belastet sind und jemanden zum Reden brauchen", sagt die Psychologin und Psychotherapeutin. Das Wintersemester hätten viele Studienanfänger und Studienanfängerinnen noch in der Hoffnung auf eine Besserung der Situation mit dem Sommersemester hinübergebogen. Doch die ist jetzt nicht in Sicht.

Fehlende Motivation

Viele melden sich bei der psychologischen Studierendenberatung, weil sie unter Motivationslosigkeit oder Antriebslosigkeit leiden. Auch in Jahren ohne Corona hätten sich ab Jänner zudem viele Studierende gemeldet, die über einen Studienwechsel nachdenken, erklärt Wodraschke. Nur fällt die Entscheidung, ob das gewählte Studium zu einem passt, bei virtuellen Lehrveranstaltungen noch einmal schwerer. Ein häufiges Thema sei für Studierende auch Prüfungsangst. "Manche tun sich damit jetzt leichter, weil es derzeit weniger mündliche Prüfungen gibt", sagt die Psychologin. "Andere stressen die virtuellen Prüfungen umso mehr, weil immer wieder technische Probleme auftreten."

Die Psychologin Nicole Trummer hat Studierende mit Anpassungsstörungen aufgrund von der belastenden Lebenssituation in Behandlung. Diese äußert sich durch Sorgen, Ängste und eine depressive Verstimmung. Vielen Menschen sei beim Studium eine soziale Komponente wichtig, die derzeit zu kurz kommt, erklärt Trummer den Hintergrund. Die virtuellen Lehrveranstaltungen und die oft fehlende Möglichkeit, nachzufragen oder sich auszutauschen, würde Betroffene noch zusätzlich stressen. "Und viele merken auch, dass das Studium nicht so ist, wie sie es sich vorgestellt haben", sagt Trummer. Dazu kommen Einsamkeit, finanzielle Sorgen und die Angst vor einer Ansteckung.

Bei manchen äußert sich die schwierige Situation aber noch einmal anders, sagt Trummer: Sie stürzen sich angesichts der Krise in ihr Studium und arbeiten ehrgeizig bis zur völligen Erschöpfung. Manche, so erzählt die Psychologin, sitzen zehn Stunden am Tag vor dem PC, um möglichst viele Lehrveranstaltungen zu stemmen und eine unrealistische Anzahl an ECTS-Punkten zu erreichen. Irgendwann kommt aber der Zeitpunkt, wo sie merken, dass sie sich zu viel zugemutet haben und ihnen ihr Verhalten nicht guttut.

Kontakt suchen

Klar ist: Wer über einen längeren Zeitraum nicht mehr aus dem Bett kommt oder große Angst davor hat, rauszugehen, sollte professionelle Hilfe suchen. Aus ihrer Beratungstätigkeit weiß Wodraschke aber auch, dass es manchen Anruferinnen oder Anrufern schon helfen kann, wenn man ihnen bei der Strukturierung ihres Online-Uni-Alltags hilft.

Ihnen wird beispielsweise geraten, Pläne für den Tag oder die Woche und ein Belohnungssystem zu entwickeln. Wichtig sei auch, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Etwa indem man sich mit einzelnen Studienkollegen oder -kolleginnen draußen trifft oder Zoom-Meetings organisiert. Wichtig ist auch, die Freizeit vom Lernen zu trennen – und realistisch zu planen, um sich nicht zu überfordern: "Wir sind in einer besonderen Situation, in der man sich nicht zu viel vornehmen sollte", betont Wodraschke.

Die gute Nachricht: Der Frühling wird für viele zu einer besseren Stimmung beitragen. Bei wärmeren Temperaturen wird es auch wieder leichter, andere Menschen draußen zu treffen. Und mit dem neuen Semester haben viele auch wieder Motivation gefunden, berichtet Wodraschke.

Anpassungsstörungen sind bei den meisten zeitlich begrenzt, sagt Psychologin Trummer. Man könne davon ausgehen, dass sich viele dieser depressiven Verstimmungen mit einer Rückkehr zu einem Alltag ohne Einschränkungen bessern werden: "Aber diese Pandemie wird Spuren hinterlassen." (Franziska Zoidl, 18.4.2021)