Eine Aufnahme aus dem Sommer 2020 vom Wiener Karlsplatz – es war eine Zeit der lockeren Maßnahmen.

Foto: Christian Fischer

Seit über einem Jahr wird unser Leben in einem Ausmaß reguliert, das sich die allermeisten vor Corona niemals vorstellen konnten. Das private Leben wird immer weiter eingekreist, hunderte Seiten Verordnungstexte regulieren immer detaillierter den gesamten Alltag. Was wie stark reguliert wird, sollte viel mit der Analyse des Infektionsgeschehens zu tun haben, hängt aber letztlich vor allem von den politischen Entscheidungen ab, die immer unterschiedliche Motivationen haben. Klar ist, dass es in der Pandemiebekämpfung vor allem um eines geht: um Kontaktreduzierung.

DER STANDARD wirft daher nach gut einem Jahr Pandemie einen Blick auf die Einschränkungen des sozialen Lebens – also auf alles, was damit zu tun hat, wann wir welche Freunde und Familienmitglieder treffen durften und wann wir eigentlich komplett allein sein sollen. Nach welchen Vorgaben leben wir eigentlich, seit all das begann?

Grafik: Der Standard

Ein Tag im März

Offiziell begonnen hatte es jedenfalls am 17. März. Da erließ Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die erste Verordnung, die regelte, unter welchen Umständen man seine eigenen vier Wände verlassen darf. Dabei wurde eine Formulierung verwendet, die dem Gesundheitsministerium später zum Verhängnis wurde: So wurde das Betreten öffentlicher Orte generell untersagt – was dem Verfassungsgerichtshof Monate später Anlass geben sollte, die Bestimmung aufzuheben.

Festgehalten wurden Ausnahmen, die das Betreten öffentlicher Orte trotzdem noch erlauben sollten: die berühmten "drei Gründe", von denen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fortwährend sprach. Tatsächlich waren es damals schon fünf Gründe, die vorlagen: Gefahrenabwehr, Helfen, Arbeiten, Einkaufen. In der berüchtigten "Ziffer 5" hieß es: "Wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben" betreten werden sollen. Gegenüber anderen Personen galt ein Mindestabstand von einem Meter.

An dieser Ziffer entzündeten sich heftige Diskussionen. Heißt das nun, man könne ohnehin einfach rausgehen? In den darauffolgenden Monaten wurde an dieser Bestimmung von Verordnung zu Verordnung herumgedoktert. In der Anfangsphase wurden Verordnungen zum Teil sogar am selben Tag immer wieder geändert. Zum Beispiel, was die Home Office Pflicht betrifft: Eine solche war, sofern zumutbar, wenige Stunden lang gültig, bevor sie noch am selben Tag wieder abgeschafft wurde. Große Teile der Bevölkerung kennen sich bis heute nicht aus, was sie im Alltag nun genau dürfen und was nicht und sind entsprechend verunsichert.

Wie viele sind viele?

Von Personenobergrenzen war damals noch keine Rede. Eigentlich, so wurde stets vermittelt, sollte man alleine sein – oder mit Haushaltsmitgliedern. Der berüchtigte Ostererlass, der dann gar nicht kam, ließ die Diskussion eskalieren. Plötzlich hieß es, Treffen in einem geschlossenen Raum seien nur dann erlaubt, wenn daran nur fünf Personen teilnehmen. Was galt dann zuvor, war die Frage, die plötzlich am Tisch lag.

Minister und Beamte wischten diese und andere mehr oder minder elegant weg. Im Endeffekt redete man sich aus der Affäre, in dem man behauptete, die Diskussion sei obsolet, weil der Lockdown ohnehin verlängert werden würde. Eine durchschaubare Ausrede, um nicht zugeben zu müssen, dass der private Raum bis dahin niemals reguliert war, und man dennoch so tat, als sei dem so gewesen. Auch das sollte sich im Laufe der Monaten noch ändern.

Die erste Lockerung

Als Ende April die Lockerungsverordnung kam, ahnten wenige, dass noch viele Verschärfungs- und Lockerungsregelungen kommen sollten. Nach etwa eineinhalb Monaten wurde jedenfalls der erste harte Lockdown beendet. Das Betreten öffentlicher Orte war wieder erlaubt, der berühmte Ein-Meter-Abstand blieb bestehen. Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen waren untersagt.

Ein Punkt, an dem sich bis heute juristische Geister scheiden. Denn er fußt maßgeblich auf einer Gesetzespassage, die eigentlich das Zusammenströmen größerer Menschenmengen zu regulieren erlaubt. Und wie groß ist eine große Menschenmenge? Eine Konkretisierung der Gesetzespassage wurde kürzlich durch den Bundesrat verzögert.

Zehn blieben es nicht lange, schon Ende Mai wuchs die Zahl der erlaubten Personen auf 100, es folgte ein Sommer, der sich im Nachhinein luftig-leicht und kaum reguliert anfühlte – freilich gab es Regeln, doch sie waren locker. Bis es im Herbst plötzlich schnell ging: Aus 100 wurden 50, wurden zehn, wurden sechs Personen, bis man Anfang November ein Experiment startete.

Von light zu hart zu light

Da wurde ein sogenannter "Lockdown light" verhängt, der erstmals eine Ausgangsbeschränkung mit sich brachte, die nur in der Nacht galt. Der Handel blieb hingegen vorerst geöffnet. Dieses Mal wurde jedoch nicht das Betreten öffentlicher Orte in Bausch und Bogen untersagt, stattdessen wurde das Verlassen der eigenen vier Wände beschränkt – ein legistischer, aber kein praktischer Unterschied.

Zwischen 20 und 6 Uhr brauchte man also wieder einen der bekannten Gründe zum Rausgehen. Aus der zuvor umstrittenen "Ziffer 5" wurde jedoch der "Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung". Eine Regelung, die für viel Interpretationsspielraum sorgte.

Privater Raum als Tabu

Und: Erstmals wurde auch – zumindest ein Stück weit – in den privaten Raum eingegriffen. Denn von nun an galten Veranstaltungsregeln auch für Scheunen, Garagen und Keller – der unregulierte Radius drehte sich von da an nur noch um den tatsächlichen Wohnbereich – also jenen Räumen, in denen man auch lebt.

Dass der nach wie vor frei von Corona-Regeln ist, ist entgegen dem Glauben vieler, aber keine Selbstverständlichkeit. Ihn nicht zu regulieren, war bislang eine bewusste Entscheidung der Regierung. Jene Novelle, die der Nationalrat im März 2021 geschaffen hatte und die vorläufig vom Bundesrat blockiert wurde, würde auch da einige Türen öffnen: Laut Medizinjuristen Karl Stöger ginge dann der Handlungsspielraum des Gesundheitsministers so weit, dass er eine Test- oder Maskenpflicht (aber keine Bewilligungspflicht) für Veranstaltungen im privaten Raum einführen könnte.

Was bleiben würde, ist die Frage der Kontrolle. Dass die Polizei derartige Corona-Regeln im privaten Wohnraum kontrolliert, schließt die Gesetzeslage weiterhin aus, doch auch das wäre nicht unveränderbar.

Immergleiche Mittel

Seit Mitte November nun tritt man auf der Stelle. Es ist seither nicht gelungen, die Infektionszahlen wieder auf ein niedriges Maß zu drücken. Der nächste Lockdown kam, aus den fünf Gründen wurden neun – auch zu diesem Zeitpunkt sprach der Kanzler weiterhin von drei oder vier Gründen. Außerdem wurde etwa erstmals explizit festgehalten, dass man sich auch auf den Weg machen darf, um den Lebenspartner zu treffen, um eine Wohnung zu suchen oder um wählen zu gehen.

Intendiert war zudem, auch soziale Kontakte abseits des Lebenspartners zweifelsfrei zu ermöglichen – was für wochenlange Verwirrung sorgte. So wurde festgeschrieben, dass der Kontakt zu "einzelnen engsten Angehörigen" und "einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich Kontakt gepflegt wird" möglich ist.

Nach ausufernden Debatten und Uneinigkeit selbst unter Topjuristen wurde in den rechtlichen Begründungen festgehalten, dass immer nur eine Person auf einen Haushalt treffen darf. Eine Regel, die bis heute gilt, wenn Ausgangsbeschränkungen herrschen.

Weihnachten als Ausreißer

Anfang Dezember ging das Land wieder in den Lockdown light – einen Ausreißer gab es zu Weihnachten. Da wurden die Ausgangsbeschränkungen ausgesetzt, und zehn Personen aus zehn Haushalten durften zusammenkommen – was für damalige Verhältnisse gesellschaftliche Großereignisse ermöglichte. Und die Disziplin zu Silvester, wo längst wieder der harte Lockdown galt, wohl gemindert hatte. Bemerkenswert an der Weihnachtsregel war noch etwas: Sie galt explizit auch für den privaten Wohnbereich. Zu diesem Zeitpunkt machte sich selbst unter nachrichtenaffinen Personen endgültige Verwirrung breit.

Seit Ende Jänner muss man im öffentlichen Raum zwei Meter Abstand halten. Eine aus infektiologischen Gründen, wie Experten betonen, sinnvolle Änderung. Jedoch auch eine, die Treffen noch schwieriger machen: So gelingt es etwa den meisten bei Treffen nicht, durchgängig immer zwei Meter auseinander zu stehen. Eine Tatsache, die, zumindest in Wien, zu teils rigorosen Polizeikontrollen führt.

Und obwohl sich Mutationen weiter ausbreiten und die Infektionszahlen kaum sanken, wurde Anfang Februar gelockert: Die Ausgangsregel galt wieder nur mehr in der Nacht, was Treffen angeht, einigte man sich auf die sperrige, aber exakte Formulierung, dass die tagsüber von vier Menschen aus zwei Haushalten und sechs Kindern erlaubt sind. Wieder einmal nahm man den Anlauf der Regionalisierung: Das Land wurde in drei Zonen unterteilt, wo null, vier oder 100 Personen zusammenkommen dürfen – trotz Anschobers Wunsch, den Lockdown auszudehnen.

Präziser, aber nicht mehr wirkungsvoll

Drei Dinge sind es auch, die bei der Analyse aller erlassenen Verordnungen offenkundig werden. Erstens: Sie wurden professioneller – laufend wurden Details präzisiert und Lücken geschlossen. Dass zum Teil die Gesetze an die Verordnungen angepasst wurden – nicht umgekehrt –, halten viele Juristen für fragwürdig. Bedenkt man etwa, dass etwa das Covid-19-Maßnahmengesetz erst geboren werden musste.

Zweitens: Auch wenn es im Sommer offenkundig verschlafen wurde, rechtzeitig in das Infektionsgeschehen einzugreifen, so wurde der private Bereich im zweiten Halbjahr 2020 mit auffälliger Strenge reguliert. In manchen Perioden waren Handel und Freizeitbetriebe offen, gleichzeitig durfte man aber nicht einmal eine Hand voll bester Freunde und Freundinnen sehen.

Drittens, und das ist das größte Problem, vor dem man steht: Die Maßnahmen, wirken offenkundig nicht mehr so, wie sie sollten. So wurschtelt man zwischen Lockdown und Lockdown light. Das ist – auch aus rechtlicher Sicht – problematisch. Auf eine flächendeckende Impfung zu warten, sollte bestenfalls Plan B sein. Die Herausforderung bleibt, Bereiche mit der nötigen Härte zu beschränken, die dem Virus die Luft abzuschnüren und mit der größtmöglichen Freiheit dort zu operieren, wo es möglich ist. Denn die Maßnahmen werden und können erst dann fallen, wenn die Pandemie eingedämmt ist. Egal, wie lange das dauert. (Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl, 4.4.2021)