Im Gastkommentar beleuchtet Allgemeinmediziner und Public-Health-Wissenschafter Florian Stigler die Risiken vom Einsatz des Astra-Zeneca-Impfstoffs.

Die Astra-Zeneca-Impfung hat nicht nur ein Risiko, sondern auch einen Nutzen.
Foto: AFP / Christof Stache

Wenn die Astra-Zeneca-Impfung tatsächlich zu Sinusvenenthrombosen führen kann, soll ich mich dann noch impfen lassen? Diese Frage stellen sich gerade viele, denn die Medienberichte der letzten Tage waren nicht gerade beruhigend. Zuerst ging es um Thromboembolien als mögliche Nebenwirkung, dann um Sinusvenenthrombosen mit Todesfällen in Deutschland, eine Impfcharge wurde zurückgerufen, und halb Europa hat Impfungen ausgesetzt. Das war alles andere als vertrauenserweckend und definitiv ein massiver Imageschaden für Astra Zeneca.

Wie viele andere haben diese Berichte auch mich zuerst verunsichert. Als Allgemeinmediziner und Public-Health-Wissenschafter möchte ich jedoch versuchen, diese Frage möglichst sachlich zu beantworten. Der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) wurden bis zum 16. März, nach 20 Millionen Astra-Zeneca-Impfungen, insgesamt 18 Sinusvenenthrombosen gemeldet. Aus wissenschaftlicher Sicht ist derzeit unklar, ob diese beziehungsweise wie viele davon durch die Impfung verursacht wurden. Nehmen wir aber zur Veranschaulichung einmal an, dass alle durch die Impfung verursacht wurden und sogar alle zum Tod geführt hätten (was nicht der Fall war). Das wäre also ein Todesfall aufgrund einer Sinusvenenthrombose pro eine Million Impfungen. Was würde das bedeuten?

"1:1.000.000"

Eine Nebenwirkung von weniger als 1:10.000 wird in Beipackzetteln von Medikamenten als "sehr selten" definiert. Eine Nebenwirkung von 1:1.000.000 gilt also als 100-mal seltener als "sehr selten". Ist das berechtigt? Ich denke ja. Denn laut Sterbetafel 2019 der Statistik Austria hat ein 30-jähriger Mann durchschnittlich das Risiko von 1:1.000.000, in den nächsten 14 Stunden zu versterben. Eine 60-jährige Frau hat durchschnittlich das Risiko von 1:1.000.000, innerhalb von zwei Stunden zu sterben. Einfach weil das Leben Risiken hat, die absolute Sicherheit gibt es nicht. Selbst die Anreise zur Impfung ist nicht risikofrei – wer dafür 13 Kilometer mit dem Motorrad fährt, verstirbt mit der Wahrscheinlichkeit von 1:1.000.000. Auch im nächsten halben Jahr durch einen Blitzeinschlag zu sterben ist gleich häufig (basierend auf Daten aus den USA). Das Sterberisiko von 1:1.000.000 ist also derartig gering, dass wir es täglich mehrmals eingehen, ohne uns dabei etwas zu denken.

Risiko und Nutzen

Die Astra-Zeneca-Impfung hat nicht nur ein Risiko, sondern auch einen Nutzen, nämlich die Folgen einer Sars-Cov-2-Infektion zu verhindern. Wenn man sich damit infiziert, liegt das mittlere Sterberisiko bei etwa einem Prozent (es gibt gute wissenschaftliche Argumente, dass dieser Wert sowohl etwas niedriger als auch etwas höher liegen könnte). Die genaue Wahrscheinlichkeit, danach für mehrere Monate an Long-Covid zu leiden, ist noch nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass Covid-19 oftmals zu Thromboembolien führt, so wird diese Komplikation bei mehr als zehn Prozent der im Krankenhaus behandelten Covid-19-Patienten diagnostiziert (also tausende Male häufiger als die zuletzt medial diskutierten 30 Thromboembolien nach fünf Millionen Astra-Zeneca-Impfungen).

Die Entscheidung für oder gegen eine Covid-19-Impfung ist eine persönliche Entscheidung. Auch wenn die sachlichen Argumente derzeit klar dafür sprechen, wird die Verunsicherung vermutlich bei vielen bleiben. Ich persönlich habe eine erste Teilimpfung (Astra Zeneca) erhalten und werde auch die zweite Teilimpfung wahrnehmen. Nach den Medienberichten der letzten Tage werde ich dabei wohl auch ein mulmiges Bauchgefühl haben, obwohl ich weiß, dass das objektiv gesehen unbegründet ist. Vor einem Blitzeinschlag sollte ich eigentlich mehr Angst haben als vor der Impfung. (Florian Stigler, 24.3.2021)