Ob Werner Kogler auf den Brief geantwortet hat? Iris Floimayr-Dichtl lacht: Sie weiß, dass ich weiß, dass man auf offene Briefe nicht antwortet. Nicht, wenn man Adressat ist. Erst recht nicht, wenn man darin aufgefordert wird, eine 180-Grad-Wende zu machen. Schon gar nicht, wenn der Brief von einer Nobody nach "oben" geschickt wurde.

Obwohl das nicht stimmt. Iris Floimayr-Dichtl ist nicht "niemand". (Ja, ich weiß, niemand ist "niemand" – aber ich bleibe bewusst in der Kategorisierungswelt von "Fußvolk" und "Entscheidungsträgern". Ohne -Innen.) Sie betreibt ein Unternehmen, das im Oktober 2013 als One-Woman-Show am Donaukanal begann, heute aber im öffentlichen Raum nicht mehr zu übersehen ist. Weil eine Armada an Kinderwägen auffällt. Oder – eh klar – auffiel. Sogar kinder(wagen)losen Männern: Iris Floimayr-Dichtl ist "Mamafit".

Foto: ©mamafit.at/Miriam Mehlman

Mamafit ist, was der Name verspricht: ein Fitnessprogramm für Mütter. "Entworfen" von einer Frau, die mit den gängigen Angeboten von Workouts für Schwangere und "frische" Mamis so unzufrieden war, dass sie die Sache selbst in die Hand nahm. Trainingsangebote mit einem Mix aus Ausdauer, Kraft, Koordination und Stretching und dem Hauptfokus auf rückbildungsorientiertes Kraftworkout, sagt die Gründerin, habe sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes anderswo zwar auch gefunden. Aber das Setting passte nicht: Floimayr-Dichtl wollte im Freien und in der Gruppe trainieren. Extra Geld für Babysitter hatte sie keines – aber eine "Babybespaßung" sollte das Training auch nicht sein. Und, nein, bitte auch kein Singen, kein Tanzen, kein Bäumeumarmen und keine "Begleitideologie".

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Dass sie mit diesem Anspruch nicht allein war, zeigte sich rasch: Obwohl sie im kalt-nass-windigen Spätherbst 2013 ihren ersten Outdoorkurs angeboten hatte, erweiterte sie das Programm schon im Frühjahr 2014. Heute hält Floimayr-Dichtl bei 100 Kursen und 40 zertifizierten Trainerinnen in 35 Parks in ganz Österreich. Ja eh: hielt. Denn dann kam … ehschonwissen.

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Natürlich können Sie jetzt fragen, was eine durch die Lockdown-Regeln stillgelegte Mütter-Trainingsgruppe in einer Laufkolumne zu suchen hat. Ganz einfach: Weil "laufen" mehr als rennen ist. Und wenn ich mein Themenfeld hier immer wieder nach oben, im Sinne von "macht Spaß, betrifft aber weniger Leute" erweitere und über "befreundete" Disziplinen wie Schwimmen, Radfahren oder Langlaufen fabuliere, ist der Blick auf tatsächlich gesundheitsrelevante Bewegung in einer doch deutlich breiteren Zielgruppe wohl auch zulässig: Es gibt – zum Glück – deutlich mehr Mütter als TriathletInnen.

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Dass Sport- und Trainingsprogramme vor und nach einer Geburt ein bisserl anders ausschauen sollten, dass Frauen in dieser Phase auch beim Sporteln andere und spezifische Fragen, Bedürfnisse und Themen haben, liegt wohl auf der Hand. Auch dass diese Problemstellungen gaaaanz geringfügig relevanter als Laufschuhberatung, Schwimm- oder Lauftechnik sind. Und unaufschiebbar.

Schon bei "meinen" Themen rät man (nicht nur ich) vom reinen Online-Coaching ab. Und vor der Konsultation von "Dr. Google" zur Bestimmung von Belastungszonen und Co wird regelmäßig eindringlich gewarnt. Mit Gründen.

Aber bei der Frage "Sport im siebenten Monat?" (am besten noch während der ersten Schwangerschaft) soll das gehen?

Eben.

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Das Blöde an der Sache hat einen Namen: Lockdown. Und auch wenn im Straßenbild und im privat-öffentlichen Leben davon so gut wie nichts mehr zu sehen oder spüren ist: Die Regeln gelten immer noch. Ja, auch wenn sich im Sport immer mehr Trainingsgruppen und Vereine entweder schlicht nix mehr scheißen (excuse my French) oder sich mit fadenscheinigen Ausreden ("Wir sind alle zufällig auf dieser Wiese und machen halt zufällig grad alle Ausfallschritte") durchzumogeln versuchen – und damit mittlerweile sogar meist durchkommen.

Schließlich sind ja auch einschreitende PolizistInnen weder blind noch blöd: dass Sport weniger zum Problem als zur Lösung beiträgt, dass Augenmaß, Abstände und Vernunft in angeleitetem Training meist besser und genauer eingehalten werden … und so weiter.

Foto: ©mamafit.at

Doch genau genommen hat eine Funkstreife, die an einer Trainingsgruppe vorbeirollt, gar keine andere Wahl als einzuschreiten: "It's the law, stupid."

Und ein Trupp von 20 Schwangeren oder Kinderwagenschieberinnen im gemächlichen Laufschritt lässt sich halt auch mit geschlossenen Augen und weggedrehtem Kopf dann nimmer als "Zufallstreffen" nichtwahrnehmen. Ganz abgesehen davon, dass Iris Floimayr-Dichtl weder ihre (freiberuflichen) Trainerinnen noch ihre Kundinnen "verbrennen", also doch recht saftigen Strafdrohungen aussetzen, will: "Ginge es nur um mich, wäre ich schon lange wieder mit Angeboten und Gruppen draußen aktiv – aber so kann ich das nicht verantworten."

Foto: ©mamafit.at

Kurz: Während sich viele andere rauswurschteln oder rausreden können,und während die, die frech genug sind, sich dumm zu stellen ("Eeecht? Das gilt auch für uns?"), damit meist durchkommen, sind die die "Blöden", die sich den Regelbruch nicht leisten können, die Ausnahmen aber ziemlich dringend brauchen würden.

Wobei: "stupid"? Es ist das Gegenteil von dumm, wenn Frauen vor und nach der Geburt weder bewegungslos daheim verharren oder egal wo unkontrolliert und wild drauflostrainieren, sondern unter Anleitung dosiert wieder in Bewegung kommen. Und dass Gruppe hilft, wenn man oder frau mit einer Situation keine oder wenig Erfahrung hat, muss wohl nicht eigens ausgeführt werden.

Verboten ist es trotzdem.

Foto: ©mamafit.at

Deshalb hat Iris Floimayr-Dichtl an Werner Kogler, den Sportminister, einen offenen Brief geschrieben. Hat auf die Unverhältnismäßigkeit von Maßnahmen hingewiesen, hat gefragt, wieso Spitzensport wichtiger als Frauengesundheit ist, hat sich über Lockerungen für Kinder und Jugendliche im Schul-, Vereins- und Freizeitsport zwar gefreut, aber eben doch Sinn und Hausverstand beim Zeichnen des "großen Bildes" hinterfragt. Und keine Antwort bekommen. Aber das war eh klar.

Foto: ©mamafit.at/miriam mehlmann

Ich habe mit der Trainerin deshalb ein Videogespräch geführt: Worum es ihr geht, erklärt Iris Floimayr-Dichtl darin ausführlich. Und was "Mamafit" tut, aber auch andere in Parks und öffentlichen Räumen mit ähnlichen Konzepten aktive Gruppen tun, zeigen die dazu- und darübergelegten Bilder und Videos.

Falls Ihnen das zu wenig mit "Laufen" zu tun hat, tut es mir leid. Es ändert aber nichts an der Botschaft:

Wenn die Politik Sport, Bewegung als "Teil der Lösung" sieht, sollten sich auch Wege finden lassen, gerade jene, die dafür aus gutem Grund Anleitung brauchen, wieder "mitspielen" zu lassen. (Tom Rottenberg, 23.3.2021)

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"Mit wem darf ich laufen?": Was sportlich gerade erlaubt ist

DER STANDARD