Johannes Zuber (IMP, links) und Julius Brennecke (IMBA) PCR-testen sich und ihre Familien zweimal pro Woche. Wenn sie nicht kurz für ein Foto posieren, tragen sie selbstverständlich Masken und halten Abstand.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Es dürfte noch einige Monate dauern, bis alle, die das wollen, geimpft sind. Neue Mutationen, die ansteckender sind und oft einen ernsteren Krankheitsverlauf mit sich bringen, dominieren jetzt schon in vielen Regionen. Ein zusätzlicher längerfristiger Ansatz könnte auch in einer Lockdown-müden Gesellschaft für niedrige Fallzahlen sorgen.

Diese Überzeugung vertreten Julius Brennecke vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) und Johannes Zuber vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP). Die Vision der Wissenschafter ist ein System, welches das regelmäßige PCR-Testen eines Großteils der Bevölkerung mit möglichst kleinem Aufwand für die Einzelnen zulässt.

Die wichtigsten Elemente des Modells, das die Molekularbiologen und ihre Teams weiterentwickelt haben und das in ersten Pilotprojekten getestet wurde: Die Beteiligten nehmen zweimal pro Woche selbst zu Hause die Gurgelprobe mit Kochsalzlösung oder führen, wenn sie nicht gurgeln können, damit eine Mundspülung durch. Die Probe geben sie in der nächsten Drogerie oder an der Arbeitsstelle ab.

Mehrere Proben werden zusammengeführt ("gepoolt") und PCR-getestet. Die Entwicklung und Etablierung der Verfahren wurden vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) sowie vom Wissenschaftsministerium gefördert. Die Stadt Wien übernahm die Strategie für das Projekt "Alles gurgelt", das allen Wienerinnen und Wienern ermöglicht, sich bis zu viermal wöchentlich kostenlos einem PCR-Test zu unterziehen.

Mehrere Proben werden zusammengeführt ("gepoolt") und PCR-getestet.
Foto: Imago / Hanno Bode

STANDARD: Laut Ihren Modellberechnungen müssten sich für Wien circa 70 Prozent der Bevölkerung an einem solchen Projekt beteiligen, um ohne Lockdown die Fallzahlen entscheidend zu senken. Ist das realistisch?

Julius Brennecke: Das wird sicher keine leichte Aufgabe, aber wir sind überzeugt davon, dass es technisch machbar ist. Man brauchte von den Einzelnen nicht mehr als das morgendliche einminütige Gurgeln vor dem Zähneputzen, zweimal pro Woche. Psychologisch gesehen betrachten wir das Konzept als ein vereinendes Programm, das auch Kritiker der Lockdown-Maßnahmen ins Boot holen kann: Wenn alle mitmachen, können wir das Virus in seiner Ausbreitung kontrollieren und die Gesellschaft – unter Einhaltung der Masken- und Abstandsregeln – offen halten.

Johannes Zuber: Wenn alle Haushalte mit Schulkindern mitmachen, reichen 50 bis 60 Prozent Beteiligung. Dann wäre die Ausbreitung so weit eingeschränkt, dass die Erkrankten noch gut versorgt werden können. Unserer Meinung nach kann in Bildungseinrichtungen und Betrieben auf persönlicher Ebene gut motiviert werden, wenn die Leitung vermittelt: Die Teilnahme ist freiwillig, aber wir freuen uns, wenn alle mitmachen. Damit schaffen wir einen sicheren Arbeitsplatz und schützen Risikopatienten und deren Familien.

STANDARD: An Ihren Instituten wenden Sie das Prinzip schon seit knapp einem Jahr an.

Zuber: Wenn man zur Arbeit kommt und weiß, alle sind getestet, fühlt man sich sicher. Über den Sommer hatten wir etwa zehntausend negative Tests – ohne einen falsch positiven. Daten aus Neuseeland und Island zeigen: Die Falsch-positiv-Rate liegt bei sauberem Arbeiten und der empfohlenen Anwendung mit zwei PCR-Primern eher bei 0,01 Prozent oder darunter. Ab Juni haben wir unsere Monitoring-Strategie in anderen Projekten eingesetzt, etwa in der von Michael Wagner (Uni Wien, Anm.) geleiteten Schulstudie oder bei der regelmäßigen Testung von Mitarbeitern in Seniorenheimen.

STANDARD: Wie steht es um die Laborkapazitätsgrenzen?

Zuber: Aktuell ertrinken viele Labore in Arbeit, vor allem weil sie so lange mit der Probenvorbereitung beschäftigt sind. Wenn man ihnen das abnimmt und die Proben vorher kombiniert, könnte ein kleines Labor, das heute 300 Einzeltests macht, problemlos 10.000 Personen testen. So kam uns die Idee der Pooling-Zentren: Proben werden angenommen, registriert, zusammengekippt und in ein Format überführt, das zu den Geräten des jeweiligen Labors passt. Bei unserer Kooperation mit der Caritas brauchen zwei Mitarbeiter unter zwei Stunden, um 1000 Proben in hundert Zehner-Pools zu überführen. Das wäre mit Schutzausrüstung auch in einer Turnhalle machbar.

Brennecke: Wenn man unser Konzept in ganz Österreich anwenden würde, müssten täglich ein bis 1,5 Millionen Menschen PCR-getestet werden. Aktuell werden an einem guten Tag 50.000 getestet. Wir sind uns sicher, dass mehr möglich ist: Wenn statt 50.000 Einzelproben genauso viele Pools mit 20 Proben getestet werden, wäre man schon bei einer Million. Das Pooling ist eine Standardmethode der Molekularbiologie und mit Gurgelproben unkompliziert. Es funktioniert nur, wenn die Virusverbreitung in der Bevölkerung einen gewissen Schwellenwert nicht überschreitet. Sonst muss man in zu vielen Pools mit positivem Resultat nachschauen, wer infiziert ist. Um zu zeigen, dass das Projekt funktionieren kann, wäre eine Modellregion mit etwa 100.000 Menschen ideal.

STANDARD: Auch in gepoolten Tests wäre noch immer genügend Virus-RNA für aussagekräftige Tests vorhanden, selbst wenn jemand noch nicht hochinfektiös ist?

Brennecke: Genau. Selbst in Fünfziger-Pools sind PCR-Tests deutlich sensitiver als Antigenschnelltests.

Zuber: Bei selbstabgenommenen Antigentests verpasst man leider 60 Prozent der Infektiösen. Antigentests können nützlich sein, weil sie hochinfektiöse Personen recht gut erkennen. Aber die Rate an falsch negativen Ergebnissen ist einfach zu hoch, um die Virusverbreitung ausreichend zu hemmen. Im Gegensatz dazu werden beim PCR-Tests alle infektiösen Personen sicher gefunden, und ein geringer Anteil von Menschen, die ihre Proben falsch entnehmen oder das System betrügen, würde nicht sehr ins Gewicht fallen.(Julia Sica, 4.4.2021)