Von Sonnenaufgang bis -untergang ist keine Menschenseele zu sehen. Außer dem Knistern des Lagerfeuers ist auch kein Mucks zu hören. Das Holz dafür haben wir in mühevoller Kleinarbeit gesammelt und gestaunt, wie viel davon herumliegt in der Ramlat Al Wahiba. Der Oman-Reiseführer behauptet jedenfalls, diese Wüste bestehe ausschließlich aus Sand.

Die omanische Wüste Ramlat Al Wahiba besteht nur aus Sand – sagt der Reiseführer. Wer sie selbst durchquert, nimmt viele Schattierungen wahr.
Foto: istock/Sepp Friedhuber

Knapp vor Einbruch der Dunkelheit an diesem kühlen Jännerabend 2020 das Quietschen alter Bremsen. Eine omanische Frau parkt ihren Pick-up neben unserem Dachzelt-Jeep, steigt aus und setzt sich zu uns an das gerade entfachte Lagerfeuer. Ihren beiden Söhne bedeutet sie, derweil auf der Ladefläche zu warten.

Stille und Ruhe

Mehr als ein Jahr später wartet die ganze Welt. Darauf, dass die Realität da draußen wieder alles widerlegen darf, was an Halbwahrheiten in Reiseführern steht: Von wegen, es gebe nur Sand in der Wüste. Wir warten darauf, wieder mit eigenen Augen zu sehen, wie anders als angekündigt Reisen oft verlaufen. Zum Glück. Sonst könnten wir ewig daheimbleiben und in Selbstisolation Reisedokus schauen. Oder ehrfürchtig-bedächtig im "Baedeker" blättern.

Seit kurzem wissen zumindest wir Europäer, wie die Ferne wieder näherrücken soll. Ein Grüner Pass, der genau genommen ein digitales europäisches Gesundheitszertifikat ist, wurde für Juni 2021 angekündigt. Geimpfte, Genese oder Getestete genießen damit bald wieder mehr Reisefreiheiten. Klingt ein wenig dystopisch und ist es vermutlich auch. Da schick ich mich doch lieber gedanklich zurück in die Wüste.

Mutterseelenallein

Auf Arabisch fragt die omanische Mutter der Burschen auf der Ladefläche, welchen Stoff unser Bub gerade in der Schule lernt. Wir verstehen leider kein Wort, können die Frage aber nach intensivem Gestikulieren und minutenlangem Radebrechen erraten. Als wir schließlich mit der Antwort an der Reihe sind, wird uns allen bewusst: Bestimmt dauert es noch einmal eine Ewigkeit, bis minimale Mengen an Informationen ausgetauscht sind.

Sich allein fühlen – konnte man das zuletzt nicht auch ganz gut, ohne zu verreisen?
Foto: imago images/Andia

Wir entscheiden uns für freundliches Schweigen und blicken einander noch eine Zeitlang unsicher lächelnd an. Dann steht die Frau auf, geht zurück zu ihrem Pick-up und verschwindet hinter der nächsten Düne. Es ist stockdunkle Nacht geworden im Oman. Wir sind wieder mutterseelenallein.

Sehnsucht nach Ferne

Sich allein fühlen – konnte man das zuletzt nicht auch ganz gut, ohne zu verreisen? Vereinsamung und die Suche nach Einsamkeit sind aber grundlegend unterschiedliche Dinge. Auch ist die absolute Stille in der Wüste so ziemlich das exakte Gegenteil von trügerischer Ruhe im Homeoffice, wo lautstark und im Sekundentakt Mail-, Whatsapp- und andere Nachrichten aufpoppen. Vermutlich denke ich in diesen Tagen deshalb so gern an die Begegnung mit der Einsamkeit und an das gemeinsame Schweigen mit der omanischen Frau. Es ist nicht lange her, erscheint aber wie eine ferne Zeit.

Am 19. März 2020 verkündete Außenminister Schallenberg, dass Flugzeuge aus anderen Ländern nicht mehr in Österreich landen dürfen. Ab dann hieß es auch: "Wir raten dringend von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen ab." Unbedingt notwendig war eine Flugreise in den Oman schon vor Corona nicht. Und doch werde ich auch danach wieder das Bedürfnis nach Ferne verspüren.

Vielsagend angeschwiegen

Warum eigentlich? Abwechslungsarme Landschaften und Gespräche, die zu nichts führen, kann man auch beim ökologisch korrekten Wandern in den Alpen haben. Und versprechen wir einander sowie dem Klima nicht andauernd, dass nach der Krise alles anders werden muss? Stimmt schon, aber ich werde ich mich auch dann noch auf die völkerverständigenden Aspekte des Reisens berufen. Also darauf, dass ich kein Wort Arabisch spreche und wir einander in grauer Corona-Vorzeit so vielsagend in der Wüste angeschwiegen haben.

Wer auf dem Smartphone bald den Grünen Pass vorweisen kann, wird wieder mit der Welt verbunden.
Foto: APA/PETRA EDLBACHER

"Eigentlich gibt es kaum etwas Schöneres auf Erden als Durst, den man stillen kann", hat Lawrence von Arabien über seine vielen Reisen durch die Wüste gesagt. Ich hoffe, er meinte damit auch den großen Wissensdurst, den man auf Reisen stillt. Ich bin jedenfalls süchtig danach, immer mehr zu erfahren über das vermeintlich Fremde. Es offenbart sich zuallererst im Gemeinsamen.

Mit der Welt verbunden

So kam die Frau am Lagerfeuer als Erste darauf, ihre arabischen Fragen vom Smartphone übersetzen zu lassen. Daran habe ich als junger weißer Mann in dem Moment gar nicht gedacht. Die Moderne passte nicht zu dem, was ich mit den Augen wahrnahm: eine vergleichsweise alte, traditionell gekleidete Frau mit groben Händen. Aus ihrer Idee mit der Onlineübersetzung wurde zwar nichts – kein Empfang –, aber es gab trotz meiner Vorurteile ein so offensichtliches verbindendes Element: das Smartphone.

Wer auf diesem wichtigsten Gerät unserer Zeit bald den Grünen Pass vorweisen kann, wird wieder mit der Welt verbunden. Erst so werden wir erneut jene Reisefreiheit genießen, die vor Corona zu den unantastbaren Grundpfeilern der Europäischen Union gehörte. Österreich möchte den digitalen Passierschein sogar streberhaft in abgespeckter Variante schon ab April einsetzen. Aber bestimmt nicht, damit ich im Oman wieder Feuerholz in der Wüste aufklauben kann.

Sehnsucht in Dosen

Das Ausbleiben der ausländischen Gäste hat ein tiefes Loch im Budget der Tourismusnation Österreich hinterlassen. Durch den neuen Freibrief für Reisende soll es wieder gestopft werden. Vermutlich würde man aus Budgetgründen also auch mich im Urlaub lieber hier sehen als im Ausland. Frei nach dem Motto: Soll’s der heimischen Wirtschaft wieder gutgehen, ist Wegfahren nicht so gut. Doch ich habe schon andere Pläne.

Als die Frau und ihre Buben mit dem Pick-up verschwunden waren, machten wir uns an die Zubereitung des Abendessens. Dazu genügte uns im Oman ein Dosenöffner, und für vollendetes Glück ein Gaskocher.

An die lauwarme Mahlzeit aus Kichererbsen mit Dosentomaten denke ich im Wiener Lockdown häufig. Vor allem, wenn wir uns vom fancy Haubenlokal hie und da zur Belohnung das Mehr-Gänge-Menü für daheim abholen. Schmeckt natürlich super – aber ich ziehe diesem trotzdem jede nicht daheim geöffnete Dose um ein Vielfaches vor. (Sascha Aumüller, 24.3.2021)