Agrarland trifft Energiewirtschaft.

Foto: Robert Newald

Die geneigten Module schauen Richtung Süden und produzieren zu Mittag am meisten Energie. Die bifazialen Module werden in der Früh und am Abend voll beschienen.

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Wien Energie hat vor kurzem eine ungewöhnliche Stelle ausgeschrieben. Der Energieversorger suchte einen Schäfer. Denn wie sich herausstellte, sind Schafe die besten Nachbarn von Photovoltaikanlagen. Ziegen sind Klettermaxe, sie würden auf die Module springen und Schatten werfen – und sich schlimmstenfalls sogar einen Stromschlag holen. Hasen sind klein und würden sich unter der Abzäunung ins Freie buddeln. Hühner sind nicht Rasenmäher genug. Und Kühe sind schwer und würden die Solarmodule verbiegen, Hirsche sowieso, wenn Brunftzeit ist.

Also Schafe: Die Paneele stehen etwas höher, damit sich die 150 Tiere nicht den Kopf anschlagen. Die Kabel verlaufen unterirdisch, damit die Schafe – ganz genau: Jura-Schafe – nicht reinbeißen. Im April beginnt die Weidesaison. Heuer werden die wolligen Vierbeiner ihr neues Zuhause zwischen den Solarpaneelen in Österreichs größter Freiflächenanlage erst im Mai beziehen. Der Boden litt unter der Baustelle und dem kalten März.

So sehen die Module aus, unter denen künftig Schafe Fraß und Schatten finden sollen.
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Anlage mit zwei Gesichtern

Die Agrar-Solaranlage auf einer ehemaligen Schotterdeponie in Wien-Donaustadt produziert Jahr für Jahr zwölf Gigawattstunden Sonnenstrom für 4.900 Wiener Haushalte. Gemessen an den Klimazielen ist das wenig, schließlich sollen laut Türkis-Grün bis 2030 elf Terawattstunden an zusätzlicher Solarenergie gewonnen werden, mehr als die Hälfte mit Freiflächenanlagen, der Rest auf Dächern und Fassaden. Mit anderen Worten: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen noch rund 500 solcher Freiflächenanlagen entstehen. Die Anlage im Osten Wiens dürfte nicht lange die größte in Österreich bleiben.

Noch ist der Boden braun, uneben und an vielen Stellen aufgeweicht. Aber an manchen Stellen sprießt schon Gras, an anderen werden demnächst Nutzpflanzen gedeihen. Während der größte Teil der Anlage mit schrägen Solarpaneelen zugepflastert ist, die gen Süden schauen, stehen dort vertikale Solarmodule mit Zellen auf beiden Seiten. Die bifaziale – wörtlich: zweigesichtige – Anlage ist nach Osten und Westen ausgerichtet. Dazwischen wird Wien Energie Unterschiedliches anbauen und gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur erforschen, was am besten gedeiht. Auch wie die Solarzellen auf Spritzmittel, Wind und Bodenfeuchtigkeit reagieren, will der Energieversorger herausfinden.

Bei der Landwirtschaftskammer (LKOE) zeigt man sich gegenüber Agrar-Photovoltaikanlagen offen. Allerdings müssen viele Fragestellungen noch erforscht werden, heißt es mit Verweis auf das Tierwohl, die Pflanzenphysiologie und Landtechnik. Je besser diese Fragen erforscht sind, desto bessere Entscheidungsgrundlagen könne man Betriebsleitern bieten.
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Produktivität steigt

Zur Doppelnutzung von Agrarflächen gibt es immer mehr Forschung. Studien legen nahe, dass Solarmodule sogar für eine größere Artenvielfalt sorgen, wenn unter ihnen etwa kleine Blumeninseln entstehen. Je nach Kulturpflanze kann der Bodenertrag sogar erhöht werden, wenn der Acker von Solarpaneelen überdacht wird. Eine Beispielrechnung des Fraunhofer- Instituts kann man sich so verdeutlichen: Sie haben zwei Tröge zu Hause, beide sind exakt gleich groß. In einem bauen Sie Kartoffeln an, im anderen steht eine Solaranlage. Wenn Sie die Solaranlage in den Kartoffeltrog umsiedeln, produzieren Sie dort um 17 Prozent weniger Solarstrom als bisher. Dafür wächst die Kartoffelernte, weil Kartoffel im Schatten besser gedeihen. Anders gesagt: Die Landnutzungseffizienz liegt bei 186 Prozent – im Idealfall. Es kommt freilich darauf an, wie viele Solarmodule man auf den Agrarboden draufpackt und was angebaut wird.

Auf der bifazialen Anlage ist die Bodeneffizienz deutlich geringer als auf der benachbarten, solarmodulgepflasterten Schafweide, zwischen den aufgereihten Solarmodulen ist so viel Platz, dass ein Traktor locker durchfahren kann. Der Flächenverbrauch für die Energiegewinnung ist minimal, der Energieertrag entsprechend kleiner. Auch unterscheidet sich die Energiegewinnungskurve vom Rest der Anlage. Während die südwärts ausgerichteten Paneele zu Mittag ihre Spitze haben, verläuft die Kurve bei den bifazialen Modulen wellenartig. Sie ernten die Morgensonne genauso wie die Abendsonne, die Spitzen fallen auf Vor- und Nachmittag. Auch deshalb stehen die Module so weit auseinander – an den Randtageszeiten sind die Schatten lang.

Die Unterkonstruktion für die bifazialen Module muss deutlich tiefer in den Boden ragen als bei den geneigten Modulen. Der Grund: Im Südosten Wiens ist es windig, und die vertikalen Module sind nicht besonders windschnittig.
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Neue Widmungskategorie

Lukas Hammer, Nationalratsabgeordneter der Grünen, wünscht sich mehr Agrar-Photovoltaik – oder wie er es nennt: Bio-Photovoltaik – in Österreich. Es gehe darum, dass die besten Agrarflächen nicht der Landwirtschaft entzogen werden, aber gleichzeitig für Energiegewinnung genutzt werden. Der Abgeordnete will deshalb ins Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) noch hineinverhandeln, dass die Anreize für Bio-Photovoltaik größer werden.

Für echte landwirtschaftliche Doppelnutzung, wie beispielsweise mit bifazialen Anlagen, soll es keinen Abschlag geben, fordert er. Dann würden Landwirte einen Anreiz haben, Flächen doppelt zu nutzen. Hammer sieht hier auch die Länder und Gemeinden gefordert. Länder könnten eine neue Widmungskategorie für Bio-Photolvoltaik schaffen und Gemeinden somit die Möglichkeit geben, die Doppelnutzung für bestimmte Flächen vorzuschreiben.

Lukas Hammer sitzt für die Grünen im Nationalrat. Er bevorzugt den Begriff Bio-Photovoltaik gegenüber Agrar-Photovoltaik.
Foto: Greenpeace/Twitter

Bei der Landwirtschaftskammer ist man gegenüber Photovoltaik-Anlagen im landwirtschaftlichen Grün aufgeschlossen. Zwar müssen viele Fragestellungen noch hinreichend erforscht werden. "Die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur aktiven Forcierung und Bevorzugung von (echten) Agrar-Photovoltaikanlagen mit innovativen, betriebsintegrierten Doppel- bzw. Mehrfachnutzungskonzepten wird von uns unterstützt und gefordert", heißt es schriftlich gegenüber dem STANDARD.

Nicht alle teilen Hammers Begeisterung für Freiflächenanlagen. Andreas Wirth, Innungsmeister der Elektrotechniker bei der Wirtschaftskammer, sieht Solarenergie auf der freien Fläche schon aus Gründen des Landschaftsschutzes kritisch. Eine Förderung von Freiflächenanlagen sei ein massives Bodenversiegelungsprogramm und ein Anreiz für Investorenprojekte, fürchtet er. Man müsse die Photovoltaik auf Dächern und bereits versiegelten Flächen forcieren, fordert er.

Keine Versiegelung

Die Böden werden durch Photovoltaik gar nicht versiegelt, lautet eine vielfach vorgetragene Replik auf das Landschaftsschutzargument. Beispiel Donaustadt: Die Unterkonstruktion für die Module hat keinen Betonfuß, sie wird einfach tief in den Boden gerammt und kann jederzeit entfernt werden. Zwar ist der Flächenverbrauch durch Solarenergie, der für die Erreichung der Klimaziele bis 2030 notwendig ist, mit jährlich bis zu 9.100 Hektar größer als der jährliche Flächenverbrauch durch Straßenbau, der jährlich bis zu 1.300 Hektar frisst.

Der Unterschied ist, dass Letzteres tatsächlich Böden auf unbestimmte Zeit versiegelt. Zusätzliche elf Terawattstunden aus Solarenergie bis 2030 gehen sich auf Österreichs Dächern schlicht und ergreifend nicht aus, rechnet man etwa beim Bundesverband Photovoltaic Austria vor.

Die Solaranlage ist an dasselbe Netz angeschlossen wie die nahegelegene Windkraftanlage. Dass es zu keiner Überlastung kommt, liegt daran, dass die Windkraft andere Spitzenzeiten hat als die Photovoltaikanlage. Dennoch sorgt Wien Energie für den Ernstfall einer simultanen Sonnen- und Windspitze vor, ein Puffer-Stromspeicher ist geplant und soll bis zum Sommer in Betrieb gehen.

Frage der Akzeptanz

Es sei wichtig, die Akzeptanz der Menschen zu heben, sagt Hammer, viele würden Solaranlagen hässlich finden. Für Hammer ist es jedoch eine ehrliche Art der Energiegewinnung. "Fossile Energie importieren wir beispielsweise aus Kasachstan, Irak, Saudi-Arabien, Russland oder Libyen. Dort werden nicht nur Landschaftsbilder verändert – sondern nachhaltig zerstört", sagt Hammer. Man sehe es nur nicht, weil es nicht vor unserer Haustür stattfindet.

Derzeit sieht man die Wiener Freiflächenanlage kaum. Am südlichen Rand des Areals ist jedoch eine Baustelle, eine Schnellstraße soll dort entstehen. Dann werden auch Autofahrer freie Sicht auf die Solarmodule haben und dann und wann ein Schaf blöken hören, während die wolligen Tiere die Vegetation auf der Anlage stutzen. Einmal am Tag wird der Schäfer nachsehen, ob es ihnen gutgeht. (Aloysius Widmann, 29.3.2021)