Rentabel war das Geschäft mit Essensauslieferungen für Deliveroo bisher noch nicht.

DANIEL LEAL-OLIVAS

Die Gig-Economy beschert Londoner Anlegern den größten Börsengang des vergangenen Jahrzehnts. Der Online-Lieferdienst Deliveroo soll den Berechnungen seiner Investmentbanker zufolge durch den Erstverkauf von 384 Millionen Aktien Anfang nächsten Monats eine Kapitalisierung von bis zu 8,8 Milliarden Pfund (10,2 Mrd. Euro) erzielen. Damit hätte das 2013 in London gegründete und bis heute ausschließlich Verluste erzielende Unternehmen einen höheren Börsenwert als die Einzelhandelsriesen J Sainsbury und Marks & Spencer zusammen. Er sei stolz darauf, "in London an die Börse zu gehen, wo Deliveroo gestartet ist", sagte Firmengründer und CEO Will Shu.

Die Investmentbanker von Goldman Sachs und JPMorgan visieren einen Aktienpreis zwischen 3,90 und 4,60 Pfund an. Von den im besten Fall erzielten 1,77 Milliarden Pfund soll rund eine Milliarde das Firmenkapital aufstocken; der Rest geht an bisherige Investoren wie die Wagniskapitalfirma Index Ventures oder den Internetriesen Amazon. Zukünftige Aktionäre werden nach A und B unterschieden. Besitzer von B-Aktien, angeführt von Shu selbst, erhalten für drei Jahre das 20-fache Stimmrecht von A-Aktionären. Der Vorstandschef will 6,7 Millionen seiner Aktien verkaufen, was ihn auf einen Schlag um bis zu 31 Millionen Pfund reicher machen wird. Sein Anteil am Unternehmen soll in Zukunft bei 6,2 Prozent liegen.

Selbstständige Kuriere

Wie bei anderen Firmen der Gig-Economy beruht das Geschäftsmodell von Deliveroo auf einer Online-Plattform, mit der Kundendaten gesammelt werden. Die Kunden sowie die beteiligten Restaurants bezahlen eine Gebühr, die Kuriere, meist per Fahrrad oder Moped unterwegs, befördern die Warmhaltetasche mit dem markanten Känguru-Emblem als Geringverdiener oder Selbstständige. Dadurch spart das Unternehmen die Sozialabgaben, die für Angestellte fällig würden.

Das wohl bekannteste Gig-Unternehmen, die Taxiplattform Uber, erhielt vergangenen Monat vom Supreme Court eine schwere Watsche: Nach jahrelanger und Millionen von Kosten verursachender Prozessiererei verlor die Firma einen Musterprozess gegen 35 Taxler. Diese waren gegen ihre Scheinselbstständigkeit zu Felde gezogen: Schließlich diktiere Uber ihnen die Arbeitszeiten, verfüge kurzfristig und ohne jede Konsultation geringere Einkommen und agiere auch sonst wie ein Arbeitgeber von Abhängigen, hatten die Kläger erfolgreich argumentiert. Daraufhin kündigte das in San Francisco ansässige Unternehmen vergangene Woche an, die Mitarbeiter auf der Insel würden fortan eine Einkommensgarantie, Urlaubsgeld und Rentenzahlungen erhalten. Der Schritt dürfte den Druck auf vergleichbare Firmen der Gig-Economy erhöhen, mit den eigenen Mitarbeitern besser umzugehen.

An der Londoner Börse LSE herrscht keineswegs nur Begeisterung über die geplante Gig-Bonanza in der Osterwoche. Der "Start einer aufregenden Reise", von dem Deliveroos PR-Berater schwärmen, könne leicht verpatzt werden, maulen Skeptiker und verweisen auf die jährlich dreistelligen Millionenverluste in der Bilanz. Aus dem lukrativen deutschen Markt musste sich die Känguru-Firma 2019 mit eingezogenem Schwanz zurückziehen.

Die LSE-Verantwortlichen hoffen in nächster Zeit auf weitere lukrative Börsengänge von Internetfirmen wie dem Währungsservice Transferwise oder dem Gebrauchtwagenhändler Cazoo. (Sebastian Borger, 24.3.2021)