Der Kampf für Frauenrechte in Indien hat ein neues Schlagwort: zerrissene Jeans.

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"Wie du wieder aussiehst, Löcher in der Hose. (...) Was sollen die Nachbarn sagen?" – So ironisierte die deutsche Punkrockband Die Ärzte in den Nullerjahren die kleinbürgerliche Jammerei unter anderem über ein Kleidungsstück: die sogenannte Ripped Jeans, einst Symbol der Punkbewegung und ihrer Gesellschaftskritik.

Vielen Großeltern mag die zerschlissene Hose immer noch missfallen, die Ripped Jeans ist heute allerdings in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie wird von Modehäusern wie H&M und Diesel weltweit vertrieben und auch von Herzoginnen wie Meghan Markle getragen, und kann ziemlich teuer sein. Auch in Bollywood und bei jungen Inderinnen ist die Ripped Jeans sehr beliebt – zum Missfallen konservativer Politiker. Und genau deshalb gilt die zerrissene Hose dort neuerdings wieder als Ausdruck des politischen Dissenses.

Löcher auf Kniehöhe

Ausschlaggebend dafür sind die Aussagen eines hochrangigen Politikers der hindu-nationalistischen Regierungspartei Bharatiya Janata. Tirath Singh Rawat, der Regierungschef des Bundesstaates Uttarakhand, kritisierte öffentlich eine Frau, der er kürzlich begegnet war. Er habe sie "von oben bis unten" angesehen und sei empört darüber, welche Werte sie ihren Kindern vermittle – wegen der Löcher auf Kniehöhe. Frauen in Ripped Jeans seien kein sicheres Umfeld für Kinder. Dieser Trend verwestlichter Eliten würde zu gesellschaftlichem Verfall und Drogenkonsum führen.

Indische Frauen kämpfen mit Ripped Jeans gegen erzkonservative Politiker.

Prompt posteten tausende Inderinnen Fotos von sich auf Twitter – in Ripped Jeans. Lieber eine "zerschlissene Hose als ein zerschlissenes Hirn", so eine Userin. Und: "Jetzt erst recht #RippedJeans." Auch die Opposition schaltete sich ein: Mit Aussagen darüber, wie sich Frauen zu kleiden haben, habe Rawat jene Rhetorik an den Tag gelegt, die zu Gewalt an Frauen ermutige. Rawat entschuldigte sich zwar, aber wich nicht von seinen Standpunkt ab: Zerrissene Jeans seien "falsch".

Fashion-Shaming durch die Politik hat in Indien auch abseits von Ripped Jeans Tradition. Mindestens drei Politiker, zwei Männer und eine Frau, haben in den vergangenen Jahren Vergewaltigungen auf die Kleiderwahl zurückgeführt.

"Vergewaltigungen passieren nicht, weil Frauen kurze Kleidung tragen", schreibt die Frauenrechtlerin Swati Maliwal auf Twitter.

Auch in Europa waren solche archaischen Ansichten vor nicht allzulanger Zeit noch zu mächtig. Im Jahr 1998 hob Italiens Höchstgericht die Verurteilung eines Vergewaltigers auf, weil die Frau, die er vergewaltigt hatte, eine Jeans trug – die Begründung: Ein Vergewaltiger könne enge Jeans nicht alleine ausziehen. Erst 2008 nahm das Gericht sein Urteil und damit die sogenannte "Denim Verteidigung" zurück. (Flora Mory, 23.3.2021)