75 Prozent der Wiener bezeichneten störend abgestellte Leihscooter als Ärgernis. Manche der Anbieter mussten bereits wieder aufgeben.

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Was am Konjunktiv blöd ist, verrät sein Name: Der Konjunktiv ist die Möglichkeitsform. Ein "wäre" ist kein "ist" – das gilt auch in Fragen der urbanen Mobilität. E-Scooter sind dafür ein gutes Beispiel: Darüber, dass die Flitzer perfekt für die sogenannte letzte Meile wären, also etwa zur Überbrückung der Strecke zwischen U-Bahn-Endstation und Stadtrandsiedlung, herrscht Einigkeit. Da reichen einander ÖAMTC und VCÖ, Stadtregierung und Stadtraumumverteilungsinitiativen wie "Platz für Wien" die Hand. Auch dass sie innerstädtisch Autofahrten ersetzen könnten, ist unbestritten – und dass schlau eingesetzte Sharing-E-Mobility zum Erreichen der Klimaziele beitragen würde. Wären, könnten, würde: Konjunktiv.

Das Gegenteil der Möglichkeitsform ist der Indikativ: das, was ist. Die Fakten. Roller, die Gehsteige blockieren etwa. Die im Zentrum in Haufen Stolperfallen bilden, an der Peripherie aber kaum zu finden sind. Oder auf dem Gehsteig Slalom fahrende Userinnen und User.

Natürlich ist das polemisch – aber eben auch nicht falsch. Genau deshalb stehen die mietbaren Mikromobilitätsdevices seit ihrer Markteinführung in Wien in der Kritik. Was dabei übersehen wird: ihr Potenzial. Das soll heuer – in der soeben beginnenden Rollsaison – evaluiert werden. Mit einem Jahr Verspätung: Die Detailbeobachtung hätte schon im April des Vorjahres beginnen sollen, doch dank Corona fehlen auswertbare Zahlen und Erkenntnisse.

Um das zu verstehen, muss man in die Vergangenheit blicken.

Als der Leihrollertrend 2018 nach Wien schwappte, fuhren Politiker bereitwillig Gehsteig-Fotorunden. Man jubelte über die Neuerfindung urbaner Mobilität. Mit Gründen: Wien hatte sich gerade mit Mühe der Heuschreckenplage chinesischer Schrottleihräder (die zu entsorgen sich die Betreiber durch Fluchtkonkurse erspart hatten) entledigt. Die Roller, die Lime, Bird, Circle und Co nun in Umlauf brachten, waren eine willkommene Ablenkung vom Raddebakel: Sie wirkten zukunftsorientiert und wertig. Das System versprach Ordnung. Schon weil das Laden und das Warten Betreuung erforderten.

Scooter-Wars

Dass US-Medien da längst von "scooter wars" schrieben, weil global aktive Verleiher einander durch das Überschwemmen der öffentlichen Räume aus dem Geschäft zu drängen versuchten? Dass manche nur durch Mengen- und Verteilungsregulative und teils sogar Fahrverbote den Wildwuchs in den Griff bekamen? Uninteressant: In Wien wird das Recht, Fehler anderer zu wiederholen, seit je großgeschrieben.

Und so warfen auch in Wien binnen kurzer Zeit bis zu acht Anbieter Unmengen Gerät fast unreguliert in die Stadt. Nicht dort, wo es urbane Mobilität tatsächlich verbessert hätte – etwa in Randlagen –, sondern ausschließlich dort, wo der meiste Umsatz zu machen ist: im Zentrum. An Hotspots touristischer Mobilität.

Das Ergebnis war erwartbar: Gefahren wurde überall – nur nicht dort, wo es erlaubt war. Geparkt ebenso. Wenig verwunderlich: Da die Betreiber die Roller immer auf dem Gehsteig bereitstellten, wurden sie von den Nutzern auch dort genutzt und stehen gelassen. Die Wienerinnen und Wiener ärgerten sich. 75 Prozent bezeichneten störend abgestellte Roller als Ärgernis. Die Stadt reagierte. Zunächst, 2019, wurde limitiert. Auf 1500 Roller – pro Anbieter. Außerdem wurden No-Go- und Go-slow-Zonen definiert, in denen – gesteuert durch die GPS-Daten – das Tempo automatisch gedrosselt wurde oder das Beenden von Fahrten (und somit das Taxameterabstellen) nicht möglich war. Betreiber mussten falsch stehende Roller entfernen.

Die letzte Meile

Seit letztem April sollen auch Kontingentierungen der Idee des Last-Mile-Vehikels helfen: Nur ein Drittel der Roller darf im Zentrum, ein zweites Drittel innerhalb des Gürtels aufgestellt werden – das dritte Drittel muss "außen" stehen. Zumindest in der Früh: Die Ortsdaten aller Leihroller werden um sieben Uhr morgens von allen Betreibern der Stadt geschickt. Auch das Abstellen auf weniger als vier Meter breiten Gehsteigen ist seither verboten – und in Wien-Neubau wagt man das Undenkbare: Autoparkraum wurde Scooterparkraum.

Nicht nur der Ärger, auch die (Nicht-)Nutzung der Potenziale der Scooter ist überall gleich: Internationale Studien, dass sie in europäischen mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erschlossenen Städten nicht Autofahrten, sondern Fuß- und Öffi-Wege ersetzen, gibt es etliche. Seit 2019 auch von den "Platz für Wien"-Köpfen Barbara Laa und Ulrich Leth, Verkehrsplaner an der TU Wien.

Mit den im April 2020 modifizierten Rollerregeln sollten aber nicht nur Missstände bekämpft, sondern auch Erfahrungen gesammelt werden. Angedacht, so der im Rathaus für Scooteragenden zuständige Leo Bubak (MA 65, Verkehrsrechtliche Angelegenheiten), habe man, anhand der Erkenntnisse Rahmenbedingungen zu definieren. Eben um die Rollerei von der Spaß- zur Klimamobilität zu machen. Etwa durch Auflagen, Fahrzeuge so zu platzieren, dass nicht nur der Hauptbahnhof (außerhalb des Gürtels!), sondern auch am Rand gelegene Zonen und Park-and-Ride-Parkplätze erschlossen und das Konzept "Mit dem Roller zur U-Bahn" realistisch wird.

Nicht zuletzt geht es da aber auch um die Klimabilanz. Der Fahr-Stromverbrauch ist da – vergleichsweise – irrelevant, die Gesamtökobilanz dennoch negativ. Schuld daran, zitiert Ernst Kloboucnik, der ÖAMTC-Bereichsdirektor für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, die North Carolina State University, sind nicht nur die Herstellung von Fahrzeug und Batterie: Fast 50 Prozent des ungünstigen CO2-Fußabdruckes machen Transport und Wartung der Leihscooter aus.

Der Roller-Rollout

Rechtlich wäre ein neues Regulativ einfach zu etablieren: Die Betriebszulassungen gelten bis auf Widerruf. Die Betreiber agieren deshalb "handzahm", heißt es im Rathaus. Kein Wunder: Jene Daten, die der Lockdown 2020 "verfälschte" und die neue Vergaberegeln bringen könnten, werden jetzt erhoben.

Der Sommer-Roller-Rollout findet gerade statt: Laut Wiens Mobilitätsagentur sind derzeit 4400 Leihroller unterwegs – bis zu 6000 könnten es bei vier Anbietern werden. Der Markt, sagen diese, vertrüge rund 8000. Doch genau um diesen Konjunktiv, beteuern Betreiber und Stadt, gehe es nicht. Wichtiger sei eine andere Beweisführung: die, dass E-Scooter auch in der Praxis ein sinnvoller Beitrag zum Mobilitätsmix nicht nur sein könnten, sondern sind. (Tom Rottenberg, 24.3.2021)