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Anfang März nahmen der mittlerweile zurückgetretene Gesundheitsminister Marek Krajčí (li.) und Premier Igor Matovič (re.) im ostslowakischen Košice eine Ladung Sputnik V entgegen. Seither ist das Land im Krisenmodus.

Foto: TASR via AP / Frantisek Ivan

Der Bub auf dem Cartoon der slowakischen Tageszeitung "Denník N" spricht vielen aus der Seele. Offenbar hat der resignierte Gesichtsausdruck seines Vaters beim Nachrichtenschauen die politische Neugierde des Knirpses geweckt. Die Frage, die sich wohl nicht nur ihm aufdrängt: "Und wenn wir gar keine Minister mehr haben, wird dann alles gut?"

Tatsächlich fällt die Regierung in Bratislava gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Im Kabinett jagt ein Rücktritt den nächsten. Allein am Mittwoch verzichteten Außenminister Ivan Korčok und Bildungsminister Branislav Gröhling auf ihre Ämter. Und niemand weiß, wie es weitergehen soll, mitten in der Pandemie, in einem Land, dem der Mord am Journalisten Ján Kuciak vor drei Jahren und die anschließenden Korruptionsenthüllungen immer noch in den Knochen sitzen.

Ausgelöst wurde die aktuelle Krise durch einen Alleingang von Premierminister Igor Matovič: Der Chef der konservativ-populistischen Partei Oľano (Einfache Leute und unabhängige Persönlichkeiten) vereinbarte im Februar mit Russland die Lieferung von zwei Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs Sputnik V – und zwar nur einen Tag nachdem sein eigenes Kabinett genau diesem Plan eine Absage erteilt hatte.

Empörte Reaktionen

In den Reihen der Koalitionspartner sorgte das naturgemäß für Empörung. Bereits Anfang März forderte der damalige Wirtschaftsminister Richard Sulík, Chef der neoliberalen SaS (Freiheit und Solidarität), Matovič zum Rücktritt auf. Herbe Kritik kam auch von der kleinsten der insgesamt vier Regierungsparteien, der rechtsliberalen Gruppierung Za ľudí (Für die Menschen). Lediglich die Rechtspopulisten von der Partei Sme rodina (Wir sind Familie) hielten Matovič zunächst noch die Stange, mittlerweile gibt es aber auch dort Absetzbewegungen.

Die Sputnik-Bestellung war jedoch nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der seit einem Jahr amtierende Matovič gilt als unberechenbar und streitsüchtig, die Regierungspartner kamen mit seinem Stil immer weniger zurecht. Die Vorwürfe reichen von chaotischem Corona-Management, etwa durch verabsäumtes Contact-Tracing bei den viel beachteten Massentests, bis hin zur Gesprächsverweigerung innerhalb der Regierung.

Angriff auf Koalitionspartner

Auch der Druck auf Gesundheitsminister Marek Krajčí wurde immer größer. Als dieser vor zwei Wochen zurücktrat, hofften viele auf eine Beilegung der Krise. Doch just auf Krajčís Abschiedspressekonferenz stellte sich Premier Matovič demonstrativ hinter seinen Parteikollegen, bezeichnete dessen Rücktritt als "absurd" und blies einmal mehr zum Generalangriff auf die Koalitionspartner.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Wirtschaftsminister Sulík stellte Matovič ein Rücktrittsultimatum, das am Mittwoch, ablief. Auch er selbst, der Arbeitsminister, die Justizministerin und die bereits genannten Chefs des Außen- und des Bildungsministeriums haben mittlerweile ihre Ämter niedergelegt.

Am Dienstag forderte sogar Staatspräsidentin Zuzana Čaputová den Premier zum Rücktritt auf. Die Regierung sei "keine GmbH, in der Gesellschafter ihre weiteren Funktionen aufgrund persönlicher Interessen vereinbaren", sagte sie in einer öffentlichen Erklärung. Matovič aber hatte seinen Rückzug inzwischen an Bedingungen geknüpft. So etwa will er ein Ressort mehr für seine Partei – und selbst in der Regierung vertreten bleiben.

Angst vor alten Seilschaften

Trotz des wütenden Streits wollen die meisten Beteiligten Neuwahlen vermeiden. Grund ist die Sorge vor einem Wiedererstarken der linkspopulistischen ehemaligen Regierungspartei Smer und vor allem das Schielen auf einen möglichen Wahlerfolg der Smer-Abspaltung Hlas von Expremier Peter Pellegrini.

Mit einer Rückkehr der alten Seilschaften, so die Befürchtung, würden auch die mafiösen Verfilzungen zwischen Politik, Geschäftemacherei und Justizapparat wieder Fuß fassen, die nach dem Mord am Journalisten Kuciak zum Vorschein gekommen waren. Gewiss, ein starkes Motiv zum Weitermachen – aber außer dem eigenen Machterhalt ist derzeit kaum ein anderes in Sicht. (Gerald Schubert, 24.3.2021)