Vor der Menschenmenge gibt sich Benjamin Netanjahu noch selbstbewusst, doch hinter den Kulissen soll er nervös sein und seinen Parteimitgliedern einen Maulkorb verpassen.

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Kein Geschenk zum Dank für ihren braven Einsatz im Wahlkampf, sondern einen Maulkorb: Das erhielten die Parteifreunde Benjamin Netanjahus am Mittwoch von ihrem Chef. Absolut kein Wort zu niemandem, befahl Netanjahu den Abgeordneten seiner Likud-Partei am Tag nach der Wahl. Und die sagten alle bereits zugesagten Interviews artig wieder ab. Zumindest offiziell.

Im Likud herrscht Aufregung, der Premierminister ist nervös: Will er erneut eine Regierung anführen, braucht er dafür jemanden, der ihm jene Macht verleiht, die ihm die Wähler verweigert haben. Nur 52 Mandate gestanden diese dem Netanjahu-Block zu. Er braucht aber mindestens 61, um regieren zu können. So weit das Bild, das die aktuelle Hochrechnung bietet – ein Endergebnis liegt erst am Freitag vor.

Kein Königsmacher

Selbst mit der Rechtspartei von Naftali Bennett kommt Netanjahu auf keine Mehrheit. Bennett hatte sich vor der Wahl nicht festgelegt, mit wem er koalieren würde, damit er nach der Wahl umso mehr für seine Gunst verlangen kann. Ein geschickter Zug, der ihm jetzt aber auch nicht viel bringt – zumal selbst Bennetts sieben Mandate keinen der beiden Blöcke über die 61er-Latte schubsen.

Und hier kommt Mansour Abbas ins Spiel. Der Chef der islamistischen Raam-Partei war vor wenigen Monaten vielen Israelis kein Begriff. Damals war er Teil der Vereinigten Arabischen Liste, doch dann spaltete er sich, wohl auch unter Zutun Netanjahus, vom Araber-Bündnis ab und trat bei der Wahl allein an – mit einem Tabubruch: Er könne sich durchaus vorstellen, Netanjahu zu unterstützen, kündigte er an. Ihm gehe es nämlich allein darum, möglichst viel für die israelischen Araber herauszuschlagen. Wer ihm seine Forderungen erfüllt, sei ihm egal.

Netanjahu, der um Abbas geworben hatte, hätte sich damals wohl nicht gedacht, dass er einst beide brauchen würde: Rechts-außen-Fraktionen und Islamisten. Dass die Rechten nicht mit den Islamisten wollen, ergibt sich von selbst. Wie man es dreht und wendet: Netanjahu bringt keine Regierung zustande, sofern nicht noch ein Wunder geschieht – und Gegner zu ihm überlaufen. Der Oppositionsblock schafft es ebenfalls nicht auf 61 Mandate. Er steht laut Hochrechnung bei 56 Sitzen. Auch hier wäre es Mansour Abbas, dessen fünf Mandate an die Macht verhelfen würden – und auch hier scheitert es wohl an internen Widerständen der rechten Bündnispartner.

Wahlbeteiligung gesunken

Nie zuvor hatten die israelischen Araber so viel Einfluss auf die israelische Politik wie bei dieser vierten Wahl. Die gesunkene Wahlbeteiligung geht zum Gutteil auf ihr Konto – die Zahl der arabischen Nichtwähler stieg dramatisch.

Wenn die Zahl der abgegebenen Stimmen sinkt, dann macht das aber auch den Einzug ins Parlament "billiger": Kleinparteien brauchen weniger Stimmen, um die 3,25-Prozent-Hürde zu überspringen. Bei dieser Wahl gab es gleich vier solcher kleinen Parteien, die um den Einzug zitterten. Dank geringerer Wahlbeteiligung schafften es alle. Den Preis dafür bezahlten die Großen – also Netanjahus Likud.

Auch jetzt, auf der Suche nach Regierungskonstellationen, sind es die Araber, die zum Königsmacher werden. Beide Blöcke brauchen sie. Und in beiden Blöcken gibt es die, die sie nicht wollen. Zwar ist auch ein Szenario denkbar, in dem die Raam-Partei Netanjahu nur aus dem Parlament heraus unterstützt, aber kein Regierungsamt erhält. Auch das ist aber nur mit Bennett denkbar, der das ablehnt – ganz abgesehen von den extremen Rechten, auf die Netanjahu ebenfalls zählt.

Gespräche mit allen

Netanjahu hat aber ohnehin einen anderen Plan im Kopf. Er werde mit allen sprechen, die mit den Werten des Likud sympathisieren, kündigte er in der Wahlnacht an. Soll heißen: mit Mitgliedern des gegnerischen Lagers, das auch die Partei von Ex-Likudnik Gideon Saar umfasst. Er braucht zwei Abgeordnete, um auf 61 Mandate zu kommen. Einfach wird das nicht. Diese Politiker würden ihr Wahlversprechen, keinesfalls mit Netanjahu zu paktieren, über Bord werfen. Der Likud-Chef wird sie beschwören, das Land vor einem fünften Urnengang zu bewahren. Dabei war er selbst es, der die vierte Neuwahl vom Zaun brach, indem er die Vorlage eines Budgetentwurfs verweigerte.

Ein ordentliches Budget gibt es auch nicht, das Defizit erreicht Rekordwerte. Für die Schulden, die entstehen, werden die Israelis noch bezahlen müssen, wenn Netanjahu längst aus dem Amt geschieden ist. Diesen Zeitpunkt möglichst lange hinauszuzögern scheint derzeit sein einziges Ziel zu sein. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 24.3.2021)