Die mit dem "Weißen Ring" erstellte Broschüre der Österreichischen Bundestheater zum Thema Machtmissbrauch.

Foto: Bundestheater

Deutschland war wieder einmal schneller. 2017 wurde durch den öffentlichkeitswirksamen Anlassfall Harvey Weinstein der Machtmissbrauch in Arbeitsverhältnissen weltweit via #MeToo zum Thema. Insbesondere im Kulturschaffen. Bereits ein Jahr später nahm in Deutschland die vom Kunststaatsministerium mitgeförderte Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt namens Themis die Arbeit auf. Und nun, im März 2021, hat sich auch das österreichische Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS) dazu entschlossen, eine solche Anlaufstelle einzurichten.

Reichlich spät. Denn die öffentlich gewordenen Fälle bei den Festspielen Erl, an der Ballettakademie, am Mozarteum Salzburg oder die über die STANDARD-Recherche ans Licht gebrachten Übergriffe im Damen-Skikader hätten ausreichend Notwendigkeit aufgezeigt, das Problem als strukturimmanent zu erkennen und entsprechend dagegen vorzugehen.

Spezifische Anforderungen

Zwar existieren Beratungsstellen für Gewalterfahrungen, etwa häusliche Gewalt. Eine für den massiv betroffenen Kulturbetrieb kompetente Behörde aber fehlt. Die Anforderungen sind spezifisch: Berufe aus allen Gewerken in Film, Theater, Musik sind oft auf körperliche Nähe angewiesen. Beschäftigungsverhältnisse sind vor allem im freien Schaffen vulnerabel, weil oft projektbasiert. Zudem fußt das Fortkommen nicht selten auf Empfehlungen, es herrscht also eine hohe interpersonelle Abhängigkeit. Auch verwischt die "familiäre" Zusammenarbeit die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem. All das erleichtert Machtmissbrauch.

Das hat auch eine Interviewstudie ergeben, die im Auftrag von Themis (der Name der Berliner Vertrauensstelle bezieht sich auf die griechische Göttin der Gerechtigkeit) durchgeführt wurde und deren Ergebnisse auf www.themis-vertrauensstelle.de nachzulesen sind.

Zwangslage

Themis hat auch jene Frauen beraten, auf deren Beschwerde hin der Chef der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, jüngst zurückgetreten ist. Solche Beschwerden sind allerdings die Ausnahme. Von den etwa 380 Fällen, die Themis (keine Schiedsstelle) bisher beraten hat, haben die Betroffenen in lediglich 14 Fällen eine Beschwerde gewagt. "Wir finden das zu wenig", sagt Themis-Vorständin Eva Hubert, "doch die Angst um die Karriere ist einfach zu groß." Generell wagt es ein Drittel aller Betroffenen (bei Themis: 85 Prozent Frauen) nicht, überhaupt den Namen anzugeben.

Diese Zwangslage bestätigt auch die österreichische Sopranistin Arpiné Rahdjian. Sie war eine der Frauen, die gegen den Leiter der Festspiele Erl namentlich ausgesagt hat. "Ich hab’ zwanzig Jahre am Buckel und Dinge erlebt, die ich nicht hätte erleben dürfen", sagt sie. Rahdjian hat den Operngesang inzwischen aufgegeben. "Nur deshalb kann ich jetzt frei sprechen". Mit Kolleginnen und Kollegen hat sie im Vorjahr die IG freie Musikschaffende gegründet, die zusammen mit der Stimm-IG den politisch Verantwortlichen im Jänner ein detailliertes Konzept für eine Künstlerinnen- und Künstleranwaltschaft vorgelegt hat. Noch ohne Reaktion.

Nicht nur Telefonnummer

Während Themis in Deutschland seit 2018 arbeitet, steht Österreich ganz am Anfang. Im Nationalrat soll aber heute die Einrichtung einer Vertrauensstelle beschlossen werden, mit Zustimmung aller Parteien, ausgenommen der FPÖ. Aber wie diese Stelle aussehen soll, mit welchem Budget sie arbeiten wird und "wo die institutionelle Anbindung erfolgen soll, ist noch offen", so Grünen-Kultursprecherin Eva Blimlinger, die mit Grünen-Sportsprecherin Agnes Prammer zu den treibenden Kräften gehört.

Das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit jährlich 100.000 Euro auf den Weg gebrachte deutsche Modell nahm von Anfang an Fernsehsender, Produzenten- und Schauspielerverbände mit in die Pflicht, sich (auch finanziell) zu diskriminierungsfreiem Arbeiten zu bekennen. So wird ein "genereller Kulturwandel" angestrebt. Themis hat deshalb auch die Präventionsarbeit ausgebaut. Die Nachfrage von Instituten ist groß, sagt Hubert. So weit ist die Politik in Österreich noch nicht. Auch überzeugt das deutsche Modell nicht: "Ich sehe es skeptisch, die betroffenen Institutionen und Verbände mit ins Boot zu holen. Denn dann hätten wir die Belästiger ja mit dabei", sagt Blimlinger.

Der weiße Ring

Hingegen soll die österreichische Vertrauensstelle mit bestehenden Opferhilfeeinrichtungen vernetzt werden, etwa dem Weißen Ring, mit dem auch die Bundestheater zusammenarbeiten. Unter den Künstlerinnen und Künstlern macht sich deshalb die Befürchtung breit, dass diese Vertrauensstelle, die ja noch heuer starten soll, zu einem Feigenblatt der Politik verkommt. Das Schlimmste wäre, sagt Johannes Stöckler, Vorstandsmitglied der IG Freie Musikschaffende, "wenn es dann wieder nur auf eine Telefonnummer hinausläuft, die einen von Stelle zu Stelle schickt". (Margarete Affenzeller, 25.3.2021)