Der Europäische Gerichtshof sah keine "individuelle Betroffenheit" der Klagenden.

Foto: imago images/Patrick Scheiber

2018 beschloss die Europäische Union in ihrem Klimapaket eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2030. Zehn vom Klimawandel betroffenen Familien aus Europa, Kenia und Fidschi war das nicht genug. Sie klagten gegen die EU-Gesetze und forderten ambitioniertere Ziele. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies die Beschwerde nun wegen Unzulässigkeit zurück. (EuGH 25.3.2021, C-565/19 P Carvalho u.a./Parlament und Rat)

Die Familien hatten sich als "People’s Climate Case" zusammengeschlossen und das EU-Klimapaket per Nichtigkeitsklage angefochten. Gleichzeitig forderten sie eine Erhöhung des Reduktionsziels auf 50 bis 60 Prozent. Menschen in und außerhalb Europas würden schon jetzt die Auswirkungen der Klimakrise spüren. Die europäische Gesetzgebung schütze die Grundrechte der Bürger aber nicht ausreichend, argumentierten die Klägerinnen.

Keine "individuelle Betroffenheit"

Bereits im Mai 2019 hatte das Europäische Gericht die Nichtigkeitsklage in erster Instanz aus formalen Gründen zurückgewiesen. Die Antragstellerinnen seien aufgrund mangelnder "individueller Betroffenheit" nicht dazu befugt, die EU-Klimagesetze anzufechten. Die Tatsache, dass sich der Klimawandel auf bestimmte Personen anders auswirken könne als auf andere, führe nicht zur Klagebefugnis. Andernfalls würden die im EU-Vertrag aufgestellten Anforderungen "ausgehöhlt" und "ein Klagerecht für jedermann" geschaffen werden.

Der People’s Climate Case legte gegen die Entscheidung Berufung beim Europäischen Gerichtshof ein und hoffte auf eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung: Die strengen formalen Vorgaben der "individuellen Betroffenheit" seien laut Klägerinnen mit dem Anliegen eines effektiven Grundrechtsschutzes nicht zu vereinbaren.

Der EuGH folgte nun der Entscheidung des Erstgerichts und bestätigte die Abweisung der Beschwerde. Allein das Vorbringen, ein Rechtsakt der Union verletze die Grundrechte, führe noch nicht zur Zulässigkeit der Klage. Diese Auslegung entspreche auch den ausdrücklichen Bestimmungen des EU-Vertrags und den Vorgaben der EU-Grundrechtecharta.

"Für Klimaklagen vor dem EuGH ist das eine grundlegende Entscheidung", sagt Daniel Ennöckl, Professor für Umweltrecht an der Universität Wien. Mit dem Festhalten an der bisherigen Rechtsprechungslinie sei es so gut wie unmöglich, als Einzelperson oder NGO die Klimaziele der EU zu bekämpfen. Auf Klimaklagen vor nationalen Gerichten habe die Entscheidung allerdings keinen Einfluss.

EU verschärft Klimaziele dennoch

Das vom People’s Climate Case geforderte Reduktionsziel wird wohl dennoch Realität werden. Im Rahmen des Green Deals schlug die EU-Kommission im September 2020 vor, die Zielvorgabe für die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 auf mindestens 55 Prozent anzuheben. Vergangenen Dezember einigte sich auch der Europäische Rat auf den neuen Richtwert.

Rechtsgrundlagen für die Senkung sind das EU-Emissionshandelssystem, die Lastenteilungsverordnung mit den Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten und die Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft. Bis Juni 2021 sollen für alle drei Rechtsakte aktualisierte Gesetzesvorschläge vorliegen.

Änderung der Rechtsprechung gefordert

Mit sogenannten Nichtigkeitsklagen können Rechtsakte der Europäischen Union wie Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse angefochten werden. Für private Kläger ist diese Möglichkeit allerdings stark eingeschränkt. Sie können nur dann gegen Rechtsakte vorgehen, wenn sie "unmittelbar und individuell betroffen" sind. Wie genau diese "individuelle Betroffenheit" definiert wird, ist allerdings strittig.

Der Europäische Gerichtshof folgt der sogenannten Plaumann-Formel. Demnach ist man nur dann klagebefugt, wenn man sich durch persönliche Eigenschaften im Vergleich zu anderen Betroffenen besonders hervorhebt. In der Praxis führt das oftmals zu erheblichen Rechtsschutzlücken. Viele Rechtswissenschafter fordern daher seit Jahren eine Abkehr von der restriktiven Rechtsprechungslinie.

Daniel Ennöckl verweist auf einen Satz im Rechtsmittel an den EuGH: "Es kann doch nicht sein, dass, wenn alle betroffen sind, niemand betroffen ist, und weil jeder zum Klimawandel beigetragen hat, niemand dafür verantwortlich ist." (Jakob Pflügl, 25.3.2021)