Die Gurgelstudie wurde, seit in den Schulen systematisch mit den "Nasenbohrertests", die Antigenschnelltests sind, getestet wird, auch zu einer Art Kontrollstudie dafür, wie viele "falsch negativ" getestete Kinder "übersehen" wurden. Es sind nicht viele.

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Wien – Es ist einer von mehreren U-Turns, die die Ost-Landeshauptleute über Nacht hingelegt haben: Nicht nur, dass sie von geöffneten Thermen, Schanigärten und Geschäften nichts mehr wissen wollen – nun vermuten sie laut dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in den Schulen eine "großer Ansteckungsgefahr". Die Schule sei "lange Zeit" ein Ort gewesen, "wo man nicht besonders gefährdet ist. Das sehen wir jetzt anders", sagte Ludwig am Mittwochabend.

Aber deckt sich diese politische Sichtweise auf die Schulen auch mit dem Blick der Wissenschaft auf die Corona-Lage dort? Geben die Fakten das her, Jana Lasser? Diese ist Komplexitätsforscherin am Complexity Science Hub Vienna (CSH) und an der Med-Uni Wien, und im STANDARD-Gespräch würde sie "die Grundannahme, dass sich die Lage in den Schulen zuzuspitzen scheint, infrage stellen. Die Lage spitzt sich auf jeden Fall allgemein und im ganzen Land zu. Dass die Schulen da jetzt spezieller sind als andere Bereiche, wage ich zu bezweifeln."

Viel mehr Tests in den Schulen

Es stimme schon, dass die Inzidenzwerte, also die Zahl der positiv Getesteten, in den schulrelevanten Altersgruppen aktuell die höchsten seien. Konkret lag die Sieben-Tages-Inzidenz laut Ages in der Woche vom 8. bis 14. März in den Altersgruppen 5–14 bzw. 15–24 Jahre bei 292 bzw. 296, in den Altersgruppen 25–34 bzw. 35–40 hingegen bei 239 bzw. 241. "Das heißt, die Inzidenz in der Schulaltersgruppe scheint gegenüber dieser ,Nicht-Schul-Altersgruppe’ in etwa um einen Faktor 1.2 erhöht zu sein", sagt Lasser.

Bedeutet das automatisch höhere Infektionsraten in den Schulen? Nein, verweist die Expertin auf das "stark erhöhte Testaufkommen in den Schulen". Seit den Semesterferien wird flächendeckend gescreent, zuerst zweimal wöchentlich mittels "Nasenbohrertests", seit voriger Woche dreimal. In ganz Österreich wurden zwischen 8. und 14. März über alle Altersgruppen hinweg etwa 1,8 Millionen Test gemeldet, und zwar "professionell" durchgeführte Tests. Dazu kommen noch extra die in den Schulen durchgeführten rund 1,2 Millionen Antigenschnelltests (positive werden mittels PCR-Labortests überprüft und gehen dann auch in die allgemeine Teststatistik ein).

"Selbst wenn die Sensitivität bei diesen Schnelltests nur 41 Prozent beträgt, wie die Ages ausweist, bedeutet das immer noch eine deutlich erhöhte Anzahl an Tests in den Schulaltersgruppen als im Rest der Bevölkerung", sagt die Komplexitätsforscherin. Oder anders ausgedrückt: "Wir finden bei den Schülerinnen und Schülern Infektionen wahrscheinlicher als bei anderen Altersgruppen."

Lage in den Schulen aktuell "nicht schlimmer" als draußen

Jana Lasser geht auf Basis der vorliegenden Daten also davon aus, "dass es in Schulen aktuell nicht 'schlimmer' ist als im Rest des Landes". Unter dieser Annahme würde sie auch sagen, "dass ein Schließen der Schulen aktuell nicht Priorität" habe. "Das Infektionsgeschehen scheint vermehrt in Haushalten bzw. bei privaten Treffen stattzufinden, die Schulen spiegeln das erhöhte Infektionsgeschehen in der Gesamtbevölkerung nur wider, da Kinder ja jeweils Teil eines Haushalts sind und sich entsprechend dort auch anstecken können."

Darum meint Lasser zur künstlichen Verlängerung der Osterferien in Form von vier zusätzlichen Distance-Learning-Tagen im Osten: "Das wird nicht wahnsinnig viel bringen, weil meiner Ansicht nach die Infektionen zum größten Teil ohnehin außerhalb der Schulen stattfinden und in den Schulen nur entdeckt werden."

Deutlich niedrigere Infektionsrate als im Herbst

Neue Hinweise zur Infektionshäufigkeit an den Schulen liefert die seit Donnerstag vorliegende dritte Untersuchungsrunde der als Gurgelstudie bekannten Schul-Sars-Cov-2-Monitoringstudie. Die Ergebnisse weisen einen deutlich niedrigeren Anteil positiv getesteter Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte aus als die vorige Runde. Im aktuellen Untersuchungszeitraum (1. bis 18. März) waren nur 0,21 Prozent (Schwankungsbreite 0,13–0,36 Prozent) oder 16 der insgesamt 7523 Proben Corona-positiv. Davor (10. 10. bis 16. 11.) lag dieser Wert bei 1,39 Prozent (52 von 3295 Proben, diese Runde wurde wegen des Lockdowns vorzeitig beendet). In Runde eins (28. 9 bis 22. 10.) zeigte sich eine Gesamtprävalenz (Häufigkeit) von 0,39 Prozent (40 von 10.156 Schüler- und Lehrerproben).

So wie in den beiden ersten Runden wurden auch diesmal keine signifikanten Unterschiede zwischen Volks- und Mittelschulen bzw. AHS-Unterstufen, aber auch nicht zwischen Lehrkräften und Schülern gefunden. Erneut ist die Prävalenz in Schulen mit einem Index hoher oder sehr hoher sozialer Benachteiligung höher, wenngleich nicht signifikant.

Gurgeln als Kontrolle für falsch negative Nasenbohrertests

Das Besondere an der aktuellen Gurgelrunde ist allerdings, dass sie auf eine regelmäßig getestete Schulpopulation stößt, aus der idealerweise schon möglichst viele Infektiöse durch die Antigenschnelltests herausgefischt wurden: "Das ist jetzt die Dunkelziffer der Leute, die negativ getestet wurden, in Wirklichkeit aber doch positiv waren", erklärt der wissenschaftliche Leiter der Studie, Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien, im STANDARD-Gespräch. Das erkläre zum Teil die jetzt deutlich niedrigere Prävalenz als in den Vorrunden, es zeige aber vor allem, "dass die Antigentests sinnvoll sind, wenngleich sie nur ein Fünftel bis ein Viertel der infizierten Schüler finden. Die Schnelltests sind alles andere als perfekt, aber es hat einen Effekt, wenn jede Woche hunderte Infizierte mit einer hohen Virenlast aus den Schulen herausgeholt werden."

Vergleicht man das Verhältnis der Inzidenzen in den Schulen mit dem der Gesamtbevölkerung in den Bezirken, in denen die Schulen liegen, zeigt sich im Vergleich zu den zwei früheren Gurgeltestrunden, dass "irgendwas bremst", sagt Wagner. Er plädiert gerade im Hinblick auf Kinder in der Pandemie für "gnadenlosen Realismus" und erklärt: "Die aktuell hohen Inzidenzen bei Kindern zeigen, dass sie sich das Virus natürlich auch in der Schule holen, aber in der gut getesteten Umgebung werden sie schneller gefunden. Nur ist wichtig: Man kann das Virus nicht wegtesten. Man muss Handlungen setzen." Gerade angesichts der ansteckenderen B.1.1.7-Variante: "Auch wir müssen uns weiterentwickeln."

Brückentechnologie und dennoch große Chance

Die "Nasenbohrertests" auf Antigenbasis seien eine "gute Brückentechnologie", aber jetzt dürfe man nicht locker lassen und müsse zum Beispiel Klassen mit einem positiven Kind vollzählig zweimal mit der PCR-Methode testen, anstatt die anderen Kinder bloß ungetestet nach Hause in Quarantäne zu schicken, und schrittweise auf die verlässlicheren PCR-Tests umsteigen.

"Die Schule ist eine unglaubliche Chance zum Testen", sagt Wagner: "Denn mit dieser pandemiedämpfenden Maßnahme kommt man auch in Familien und Gesellschaftsschichten hinein, die sich sonst nicht testen lassen würden. Es geht in die richtige Richtung, aber wir dürfen jetzt nicht stehenbleiben." (Lisa Nimmervoll, 25.3.2021)