Der Ruf nach strengeren Waffengesetzen wurde in den USA zuletzt nach den Angriffen in Colorado und Atlanta wieder lauter.

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James Densley ist Professor für Strafrecht an der Metropolitan State University in Saint Paul, Minnesota. Er hat das "Violence Project" mitbegründet, in den USA die umfassendste Datenbank, die Schusswaffengewalt dokumentiert. DER STANDARD hat mit ihm gesprochen, nachdem die ersten Angriffe mit Schusswaffen nach zwölf Monaten Pause den Ruf nach strengeren Waffengesetzen wieder laut werden ließen.

STANDARD: Nach den Angriffen in Massagesalons in Georgia und einem Supermarkt in Colorado hat Präsident Joe Biden den Kongress aufgefordert, ein Verbot von Sturmgewehren zu beschließen. Wird das Parlament handeln? Oder einmal mehr bremsen?

Densley: Die Vorgeschichte gibt wenig Anlass zu Optimismus. Denken Sie an Sandy Hook, an die 20 Erstklässler, die 2012 in einer Grundschule in Connecticut erschossen wurden. Damals haben sich viele gefragt: Was muss noch passieren, damit die Politik endlich handelt? Und geschehen ist nichts. Diesmal, glaube ich, wird sich aber etwas bewegen. Gewiss, Bidens Vorstoß dürfte auf heftigen Widerstand stoßen. Doch wir haben einen Punkt erreicht, an dem es so nicht weitergehen kann. Jedenfalls hoffe ich, dass wir diesen Punkt erreicht haben.

STANDARD: Was gibt Ihnen Hoffnung?

Densley: Im Zeitalter der sozialen Medien haben markante Stimmen so viel Einfluss, dass sie den Diskurs in den Korridoren der Macht ändern können. Wir haben das mit Black Lives Matter oder der #MeToo-Bewegung erlebt. Die Umfragen, die Diskussion in den sozialen Medien, all das zeigt, wie die große Mehrheit denkt: Es reicht, es müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden.

STANDARD: Der Täter in Colorado hat sein Schnellfeuergewehr erst sechs Tage vor der Attacke gekauft, nach Angaben der Ermittler legal. Was müsste gesetzlich geschehen, um so etwas zu verhindern?

Densley: Folgt man der Waffenlobby, der National Rifle Association (NRA), werden Attentäter oder Kriminelle immer einen Weg finden, um Recht zu brechen. Daraus leitet die NRA ab, dass man neue Gesetze nicht brauche. Mit derselben Logik könnte man sagen, Mörder werden immer Leute umbringen, weshalb Mord nicht per Gesetz bestraft werden sollte. Oder: Es wird immer Autofahrer geben, die rasen, weshalb wir kein Tempolimit brauchen. Blanker Unsinn. In einem ersten Schritt also könnte man eine Wartezeit einführen, sodass keiner, der eine Waffe erwirbt, sie im Laden gleich mitnehmen kann. Es würde einen Zeitpuffer schaffen. Wenn potenzielle Todesschützen der Ärger gepackt hat, könnte so ein Puffer dazu beitragen, dass sie noch einmal nachdenken, statt in ihrer Wut sofort zur Tat zu schreiten. Viele stecken in einer persönlichen Krise, bevor sie ihre Verbrechen begehen. Eine Wartephase nach dem Waffenkauf würde die Möglichkeit bieten, Rat zu suchen, sich in eine Therapie zu begeben. Manchmal würde das schon reichen, um einen Massenmord zu verhindern. Schon klar, eine perfekte Lösung ist das nicht. Aber auch unvollkommene Lösungen führen in der Summe schon weiter.

STANDARD: Noch einmal zum Verbot von Sturmgewehren. Einen solchen Bann gab es bereits. 1994 beschlossen, lief er 2004 aus. Warum wurde er nicht verlängert?

Densley: Eine lautstarke Minderheit glorifiziert diese Waffen, mit dem Argument, dass man in der Lage sein muss, sich zu wehren, falls der Staat seinen Bürgern die individuellen Freiheiten nimmt. Nun sind Massenschießereien, gemessen an dem, was wir täglich an Schusswaffengewalt erleben, relativ selten, auch wenn mancher sie als traurige Routine wahrnimmt. Doch bei jeder vierten kommen Sturmgewehre zum Einsatz, während sonst meist Pistolen die Tatwaffen sind. Das liegt auch an einer Art Nachahmungseffekt. Die Angreifer folgen dem Skript, nach dem schon andere vor ihnen gehandelt haben. Auch der Waffentyp ist oft der gleiche. Damit haben halbautomatische Gewehre wie die AR-15 im Pantheon der Massenschießereien einen fast mythischen Status erlangt. Umso wichtiger ist es, sie zu verbieten. Die meisten gesetzestreuen Waffenbesitzer werden Ihnen im Übrigen sagen, dass sie keine AR-15 brauchen, um auf die Jagd zu gehen oder auf Tontauben zu schießen.

STANDARD: Zu den Fragen, die nach dem Blutbad in Colorado gestellt werden, gehört die nach einem möglichen islamistischen Motiv ...

Densley: Wenn wir ein Etikett draufkleben können, haben wir das Gefühl, dass wir es verstehen. Und die Leute wollen verstehen, besonders nach einer derart sinnlosen Tat. Aber bevor sich diese Täter einer Ideologie anschließen, hat sich etwas ereignet in ihrem Leben. Niemand, der ein erfülltes Leben führt, wacht eines Morgens auf und sagt, so, ich mache jetzt mit bei dieser extremistischen Gruppe. Folglich müssen wir einen Schritt zurücktreten und uns fragen, was jemanden bewogen hat, überhaupt erst in diese Sackgasse zu gehen. Ideologie ist zunächst kein Motiv, auch wenn sie im Laufe der Zeit vielleicht eines wird. Diese Dinge sind komplex, dem müssen wir auch in der Debatte darüber gerecht werden. (Frank Herrmann aus Minneapolis, 26.3.2021)