Er gehörte zu jenen cinephilen Nouvelle-Vague-Nachzüglern, die auch zuerst über das Kino schrieben, ehe sie selbst in die Praxis wechselten: Bertrand Tavernier, 1941 als Sohn des Lyrikers René Tavernier in Lyon geboren, war Kritiker bei der Filmzeitschrift Cahiers du Cinéma, wechselte dann ins Drehbuchfach und assistierte bei Jean-Pierre Melville, bis er mit der Simenon-Adaption Der Uhrmacher von St. Paul (L’horloger de Saint-Paul) 1974 ein beachtliches Debüt vorlegte.

Damals schon mit dabei: Schauspieler Philippe Noiret, der lange sein Stammschauspieler war. Die berühmteste Kooperation war wohl Der Saustall (Coup de torchon, 1981), der von einem verspotteten Polizisten in Westafrika erzählte, der sich, gedemütigt durch seine Frau, auf einen Rachezug begibt.

Genre und Sozialkritik

Die Verquickung von Genre und Sozialkritik war Taverniers höchste Gabe, wobei er die Dramatik des großen Kinos in einer langen Karriere mit einer persönlichen Handschrift zu einen wusste. Festlegen ließ er sich nie leicht, Tavernier konnte sich für vieles begeistern, ob historisch oder mit starkem Gegenwartsbezug wie im Polizeidrama L.627.

Mit Romy Schneider realisierte er 1980 Death Watch – Der gekaufte Tod, einen prophetischen Sci-Fi-Thriller, in Round Midnight (1986) ging er seiner Neigung zum Jazz nach und besetzte Dexter Gordon als alkoholkranken Saxofonisten im Paris der 1950er-Jahre. 1995 gewann Tavernier mit Der Lockvogel (L’appât) den Goldenen Bären der Berlinale.

Von seiner Kinoliebe zeugen eine Dokumentation über den französischen Film und sein formidables Lexikon zum US-Kino. Für sein umfassendes Repertoire erhielt der französische Filmemacher 2015 bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Ehrenlöwen für sein Lebenswerk. Die Jury bezeichnete ihn damals als nonkonformistischen und couragierten vielseitigen Autor. Unter Berufung auf das Institut Lumière meldet die französische Presseagentur AFP nun, dass Travernier 79-jährig verstorben ist. (Dominik Kamalzadeh, 25.3.2021)