Der Adel geht mit der Herausforderung des Urinierens im öffentlichen Raum weit entspannter um als unsereins.

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Seit einem Jahr macht Corona Scherereien ohne Ende, und jede einzelne Schererei ist in den Medien des Langen und Breiten erörtert worden. Mit einer Ausnahme: den Folgen dieser Lockdowns auf das Urinieren in der Stadt.

Wenn man in vorpandemischer Zeit beim Spazierengehen überraschend austreten musste und, wie meistens, kein öffentliches Klo in Sicht war, betrat man kurzerhand das nächste Beisl, bestellte einen Kaffee oder ein Achtel und ging dann seinem eigentlichen Vorhaben nach: ab aufs Häusl, die Sache in die Hand nehmen und schauen, wie sie abläuft.

Was aber, wenn kein Beisl offen hat? Ich erinnere mich, dass ich bei einem Spaziergang zu Beginn des ersten Lockdowns 2020 am Gürtel von einem mächtigen Harndrang ereilt wurde und im letzten Moment einen barmherzigen Busch erspähte, der sich klaglos von mir benetzen ließ und Sichtschutz gegen die vorbeifahrenden Polizeiautos bot. Dauerlösung ist das keine, aber auch das Tragen von Inkontinenzwindeln nach dem Vorbild von #DiaperDon ist keine Lösung. Wer stakst schon gern ständig eingenässt herum?

Nonchalance der Adeligen

Da lob ich mir die Nonchalance, mit der Prinz Ernst August von Hannover eine analoge Situation meisterte, indem er bei der Expo 2000 umstandslos an den türkischen Pavillon pieselte. Die Presse machte ein Mordstamtam, und die Bild Zeitung trieb sogar Augenzeuginnen auf ("Wir konnten den Urinstrahl deutlich sehen"). Die Türken hielten sich aber cool zurück. Sie waren wohl froh, dass Ernst August nicht auf die große Seite gemusst hatte. Und zudem war er ja betrunken.

Diese Story zeigt, dass der Adel mit der Herausforderung des Urinierens im öffentlichen Raum weit entspannter umgeht als unsereins. Die Gründe liegen auf der Hand: Wer hätte anno dazumal einem Grafen oder Baron vorzuschreiben gewagt, wo er auf seinen Gehöften oder Gestüten hinzupischen habe? Das hat sich natürlich in der adeligen DNA niedergeschlagen.

Wenn Sie heute in Wien Leute sehen, die unbekümmert eine Stange Wasser an eine Hausecke stellen, handelt es sich höchstwahrscheinlich um keine Bürgerlichen, sondern um einen schiffenden Edelmann beziehungsweise eine schiffende Edelfrau. Wir sollten uns an ihrem Freimut ein Beispiel nehmen. Und wenn schon nicht ständig, so doch wenigstens in diesen finsteren Lockdown-Zeiten. (Christoph Winder, 28.3.2021)