Der Tatverdächtige aus Georgia sprach von "Sexsucht" und einer "Versuchung", die er durch die Frauenmorde ausmerzen wollte.

Foto: Imago Images/ZUMA Wire

Sie sind jung, männlich und haben massive soziale Probleme. Das trifft auch auf jenen Attentäter zu, der am 16. März in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia in verschiedenen Massagesalons acht Menschen erschoss, sieben der Opfer waren Frauen, sechs von ihnen waren Asian Americans. Der erst 21-jährige mutmaßliche Attentäter ist mit dem bisher bekannten Motiv nicht allein: sexuelle Frustration – in seinem Fall ist es laut eigener Aussage Sexsucht, die sich in massiven Frauenhass übersetzt. 2018 tötete ein 25-jähriger Kanadier zehn Menschen bei einer Amokfahrt, weil er sich für die sexuellen Zurückweisungen durch Frauen rächen wollte. 2014 tötete ein 22-Jähriger in Santa Barbara sechs Menschen und sprach auf Youtube vor der Tat von seinem geplanten "Krieg gegen Frauen" und dass er alle Frauen dafür bestrafen werde, dass sie ihm Sex "entzogen" hätten. Der Polizei waren die Drohungen insbesondere gegen die Frauen auf dem Campus der University of California, wo der Attentäter studierte, bekannt. Sie sahen sie aber nicht als Bedrohung.

Im Netz formieren sich solche Männer unter dem Begrifft "Incels", eine Abkürzung für "Involuntary Celibates", also unfreiwillig enthaltsame Männer. Es ist ein stark wachsendes Phänomen, das sich längst nicht mehr dadurch erklären lässt, dass es Frauenhass schon immer gegeben habe und dieser durch das Netz nur sichtbarer werde. Vielmehr hat das Internet das Problem explodieren lassen – während Behörden allerdings noch immer zu wenig darauf reagieren, obwohl der Hass im Netz gegen Frauen unübersehbar ist und auch die Gewalt an Frauen in der analogen Welt steigt.

Frauenhass vernetzt sich mit Rassismus

Die Aktivitäten der sogenannten Mannosphäre im Netz, also jener Blogs oder Foren, in denen eine extrem frauenfeindliche Weltanschauung vorherrscht, sind stark angestiegen. Eine Studie, für die 30 Millionen Aktivitäten von sechs Millionen Usern analysiert wurden, konnte 2018 zeigen, dass die gegenseitige Vernetzung diesem Phänomen Auftrieb gibt und sich so auch harmlosere Gruppen radikalisieren. Männerrechtler, Pick-up-Artists, die andere Männer darin coachen, wie sie Frauen sexuell "gefügig machen", und Incels treffen aufeinander. Diese Vernetzungen reichen schließlich bis in die rechte Szene hinein, die "an sich eine frauenhassende Ideologie ist", sagt Susanne Kaiser, die ein Buch über maskulinistische Netzwerke geschrieben hat (zum Interview mit Susanne Kaiser). "Antifeminismus und Rassismus hängen tief im Inneren zusammen", sagt sie. Das habe sich auch 2015 klar gezeigt, als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien vor allem von der AfD und den Identitären instrumentalisiert wurden.

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag, hielt 2015 eine inzwischen bekannte Rede, in der er dazu aufrief, "unsere Männlichkeit wieder zu entdecken". Nur so würden "wir" wieder wehrhaft werden. Die sogenannte Flüchtlingskrise wurde als Resultat einer durch den Feminismus verweichlichten Gesellschaft dargestellt, als Kontrollverlust, für den eine Frau verantwortlich war: Kanzlerin Angela Merkel. Damit konnte die AfD mobilisieren, die sich vor 2015 noch in der Versenkung befand.

Auch die Liste an Attentaten, hinter denen eine Verschränkung einer rassistischen und anti-feministischen Gesinnung liegt, ist lang: Das Attentat von Christchurch demonstriert wie kaum ein anderes die Verflechtungen einer Online-Hasskultur mit Offline-Gewalt. Im März 2019 stürmte ein 29-jähriger Australier zwei Moscheen und tötete 51 Menschen. In seinem islamfeindlichen "Manifest" nahm T. Bezug auf die Verschwörungserzählung des "Großen Austauschs". Das rechtsextreme Narrativ beklagt die niedrige Geburtenrate unter weißen Frauen – die der Feminismus ihrer natürlichen Bestimmung beraubt habe. Beim Attentat in Halle nahm sich der rechtsextreme Attentäter via Lifestream auf, als er 2019 versuchte, in einer Synagoge einen Massenmord zu begehen. Und wieder: Der Feminismus sei schuld an niedrigen Geburtenraten und für eine "Massenmigration" verantwortlich. Derselben Verschwörungstheorie hing auch jener 43-jährige Attentäter an, der in Hanau 2020 elf Menschen ermordete.

Grausame Gewaltfantasien

Dieser Hass ist nicht nur eine neuere Version eines alten Problems. Vor allem Incels hätten große soziale Probleme, die sie in der analogen Welt daran hindern würden, sich ein Netzwerk aufzubauen oder sich darin zu bewegen, sagt Kaiser. Es ist also eine Art der Vernetzung, die Incels nur zu Hause, allein vor ihrem Rechner, hinbekommen. Doch genau über diese Kanäle docken sie auch an andere radikale Ideologien an, man wiegelt sich in seinem Hass auf und wirkt damit in die analoge Welt hinein. Frauen im Netz ziehen sich nach massiven Angriffen auf sie oft zurück. Susanne Kaiser kritisiert, dass die Behörden die Auswirkungen der Gewalt in der digitalen Welt auf die analoge Welt noch viel zu wenig wahrnehmen würden.

Diese Erfahrung macht auch die Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn Mena. Herablassende Kommentare – das sei "Alltag" für Frauen, die im Netz über eine große Reichweite verfügten, erzählt sie. Rund 13.000 Menschen folgen ihr auf Twitter, nach jedem Fernsehauftritt werde in den sozialen Netzwerken ihr Aussehen diskutiert, eindringliche Forderungen würden als hysterisch abgetan. Die "harten Sachen", das seien hingegen die Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, die Bohrn Mena regelmäßig per E-Mail oder Brief erhält. Meist sind es detaillierte Schilderungen grausamer Gewaltfantasien, anonyme Absender berichten davon, sie täglich vor ihrer Wohnung zu beobachten. Nachdem auch ihr vierjähriger Sohn mit Mord bedroht wurde, erhielt die Familie Polizeischutz.

Die erste massive Hasswelle erlebte Bohrn Mena am Tag der Geburt ihres Sohnes. "Ich habe nach dem Handy gegriffen, um meiner Familie zu schreiben, und in so einer verletzlichen Situation waren da hunderte Kommentare, weil ich auf 'Unzensuriert.at' zitiert worden war. Ich solle von zehn Flüchtlingen gleichzeitig vergewaltigt werden", erzählt sie. Jeder Bericht auf einem rechten Medienportal spült ihr tagelang Hass ins Postfach. Mehrfach hat Bohrn Mena entsprechende Nachrichten angezeigt. Obwohl die Staatsanwaltschaft in einem Fall den Verfasser ausfindig machen konnte, stellte sie das Verfahren wegen gefährlicher Drohung ein. "Er sei ja geständig und hätte es nicht ernst gemeint, war dann die Begründung, obwohl er mir immer wieder Nachrichten geschrieben hatte." In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Sensibilität für Frauenhass im Netz bei der Polizei und vor Gericht verbessert, berichtet Bohrn Mena. Dennoch muss man Glück haben, um auf Polizist*innen zu treffen, die sich mit Social Media auskennen. Auf der Polizeiwache erst einmal erklären zu müssen, was Twitter und was eine Direktnachricht ist, das sei mühsam und kräftezehrend.

Vorurteilskriminalität in Österreich

Auch die physische Gewalt an Frauen ist trotz eines wachsenden Beratungsangebots und einer größeren Aufmerksamkeit für Gewalt gegen Frauen offenbar nicht in den Griff zu bekommen, eher im Gegenteil: Mit 22 war 2010 die Anzahl an Femiziden noch deutlich niedriger als etwa 2017 mit 34 weiblichen Mordopfern und männlichen Tätern, 2018 waren es sogar 41, und im Jahr 2019 wurden 39 Frauen von Männern ermordet.

Wird Frauenhass als ideologischer Hintergrund von Gewalt gegen Frauen von den Behörden zu wenig gesehen? Und warum wird Frauenhass, der auch bei vielen Terrorakten eine offenkundige Rolle spielt, nicht als Hassverbrechen eingestuft? Als Opfer von Hassverbrechen oder Vorurteilskriminalität gelten Menschen, die vom Täter aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ausgewählt wurden. Wie steht es damit in Österreich?

Auf Anfrage des STANDARD verweist das Innenministerium auf ein EU-Projekt, mit dem Vorurteilskriminalität neu aufgesetzt werden soll. "Die Erfassung von Vorurteilsmotiven ändert sich gerade stark", sagt Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, das an dem Projekt arbeitet. In der alten Systematik, wie sie bis 2019 angewandt worden ist, gab es nur drei Unterkategorien von politischer Kriminalität, die als Hasskriminalität eingestuft wurden: Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus. Das entspricht laut Fuchs nicht mehr den internationalen und europäischen Vorgaben. Im Zuge dieses Projekts gibt es seit November ein neues Erfassungstool in den elektronischen Akten der Polizei: Über einen eigenen Reiter sei bei einem Verdacht auf ein Vorurteilsmotiv dieses einzutragen, erklärt Fuchs. Eine Kategorie ist hierbei auch Geschlecht. Wie oft mit dem seit November 2020 angelaufenen Erfassungssystem die Kategorie Geschlecht eingegeben wurde, darüber wird mit Projektende, voraussichtlich Juli 2021, informiert.

In der Kriminalstatistik, die in Österreich einmal im Jahr veröffentlicht wird, gibt es zwar Angaben zur Täter-Opfer-Beziehung bei Gewaltdelikten, aber keine direkten Hinweise auf Partnerschaftsgewalt. In einer nichtöffentlichen Datensammlung, die für operative Zwecke gedacht ist, gibt es einen Code für "Gewalt in der Privatsphäre".

Die Muster von Gewalt erkennen

Laut einem Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte sammeln und veröffentlichen nur wenige EU-Staaten Daten zu sexistisch motivierten Hassverbrechen – so etwa Belgien und die Niederlande. Spanien führt zwar Sex/Gender als Unterkategorie, die Statistik des Innenministeriums für 2016 weist jedoch nur vier Fälle aus. Wie die Studien-Autorinnen und -Autoren betonen, würden viele Hassverbrechen nicht angezeigt, weshalb zusätzliche Befragungen nötig seien.

Susanne Kaiser ist überzeugt, dass es sowohl bei Terrorakten als auch bei Femiziden enorm wichtig sei, dass die Behörden Frauenhass stärker als Motiv auf dem Radar haben. Bei Femiziden könne man dadurch viel über die Muster von Gewalt lernen. Und bei Terrorakten würde es helfen zu erkennen, dass sich Ideologien einerseits gefährlich verschmelzen können und dass Ideologien wie etwa der Frauenhass schon an sich gefährlich sind. In Kanada hat man nach der Amokfahrt 2018 reagiert: Attentate und Morde durch Incels werden dort als Terrorismus gegen Frauen eingestuft und Sexismus und Misogynie somit als strukturelle Probleme identifiziert. (Beate Hausbichler, Brigitte Theißl, 28.3.2021)