Es reicht nicht, sich auf die Errichtung, den Energiebedarf oder den Standort zu konzentrieren, man muss alle drei Faktoren berücksichtigen. So lässt sich die Meinung von Expertinnen und Experten zum Thema Klimaschutz im Bausektor wahrscheinlich am besten zusammenfassen. Und das gelte vor allem in Österreich, will man hierzulande das Ziel der Europäischen Union, bis 2050 flächendeckend klimaneutral zu werden, unterbieten und das Ganze bis 2040 schaffen.

Die Forschungsplattform Reconstruct hat daher kürzlich Expertinnen und Experten eingeladen, darüber zu diskutieren, wie Österreich dieses Ziel erreichen kann. Eines steht fest: Es sind radikale Änderungen nötig.

Kompetenzverknüpfung

Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, stellte vor allem die Wichtigkeit der Kooperation her aus: "Erst die Verknüpfung von praktischer und wissenschaftlicher Kompetenz erlaubt es, den umfassenden Herausforderungen des Systemwandels zu begegnen."

Deswegen gab es auch zahlreiche Vorstellungen von Projekten, die genau diese Kompetenzmischungen umsetzen, um Klimaneutralität im Gebäudesektor voranzutreiben.

So ein Projekt ist das Quartier Suurstoffi im schweizerischen Risch-Rotkreuz. Das Areal, das auch "Dorf im Dorf" genannt wird, hat sich auf die Fahnen geschrieben, CO2-neutral zu funktionieren. Die Energie fürs Heizen und Kühlen wird durch Erdspeicher und Gebäudeabwärme generiert, Strom liefern verschiedene Solaranlagen.

Ein Netz aus Gebäuden

Darüber hinaus funktioniert das rund 165.000 Quadratmeter große Areal autofrei – Ladestationen für E-Autos gibt es in der unterirdischen Garage – und ist dank des direkt daneben liegenden Bahnhofs auch für weitere Strecken attraktiv.

In eine ähnliche Kerbe schlägt das Projekt "Nest". Es ist ein Forschungsgebäude der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) nahe Zürich, in dem zahlreiche Experimente entwickelt werden, um den Bausektor so klimafreundlich wie möglich zu machen.

Im "Nest" nahe Zürich wird auf allen Ebenen experimentiert.
Foto: Roman Keller / Empa

Ein Fokus liegt auf der Vernetzung von Gebäuden über Gas-, Strom-, Wärme- und Informationsnetze. "Damit kann ein Maximum an erneuerbarer Energie lokal gewonnen und verwendet werden. Zudem wird die motorisierte Individualmobilität mit einbezogen – so wird auf eine Neuordnung der gesamten Energiedistribution hingearbeitet", sagt Peter Richner, stellvertretender Direktor des Empa, auf der Konferenz.

Die Wichtigkeit der Mobilität ist auch etwas, das die IG Lebenszyklus im Leitfaden "Klimaneutrale Gebäude: Berechnung, Empfehlung und Ausblick" herausgearbeitet hat. So wurden drei verschiedene Standorte – die Wiener Innenstadt, der Wiener Bezirk Donaustadt und die Peripherie Bad Vöslaus – miteinander verglichen. Ergebnis: Die Summe der verbrauchten Tonnen CO2 liegt im Mehrfamilienhaus in Bad Vöslau höher als in der Wiener Innen- oder der Donaustadt, da an der Peripherie immer noch vermehrt Wege mit dem Auto und nicht mit den umweltfreundlicheren öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

Kreislauf etablieren

Gleichzeitig fand man in den Berechnungen heraus, dass ein Wiener Bauordnungshaus, das mit Fernwärme geheizt wird, fast den gleichen Energiebedarf besitzt wie ein Öko-Musterhaus, bei dem keine Kosten gescheut wurden. Der Neubau ist also bereits auf einem guten Weg, der Bestand macht den Expertinnen und Experten hingegen zu schaffen.

Laut IG Lebenszyklus sind es vor allem die Gründerzeithäuser, die um ein Vielfaches schlechtere Werte beim Energiebedarf aufweisen. Eine ganzheitliche Sanierung des Bestandes und der gleichzeitige Abgang von fossilen Energieträgern für die Wärme- und Stromversorgung würden einen großen Schritt bedeuten.

Des Weiteren empfiehlt die IG Lebenszyklus in ihrem Leitfaden den Einsatz von klimafreundlichen Baustoffen, etwa Holz, und die Einführung einer ressourcenorientierten Kreislaufwirtschaft, in der recyclingfähiges Bauen auch auf langfristige Sicht Nachhaltigkeit bietet. Und es brauche vor allem eines: sinnvolle politische Maßnahmen.

Will Österreich das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität im Jahre 2040 einhalten, reicht es also nicht, das Geld auf ein Pferd zu setzen. Nur das Zusammenspiel der vielen Faktoren führt dazu, dass der Gebäudesektor seinen Teil zum CO2-Abbau beiträgt. (Thorben Pollerhof, 30.4.2021)